Interview mit Fluglärmgegnerin: "Flüge in Wildwest-Manier"
Marela Bone-Winkel stand beim Kampf gegen die BER-Flugrouten in der ersten Reihe. Nun kümmert sie sich auch in Tegel um den Lärmschutz.
taz: Frau Bone-Winkel, eine der ersten Amtshandlungen von Hartmut Mehdorn als neuer BER-Chef war die Forderung, den Flughafen Tegel offen zu lassen. Wie fanden Sie das?
Marela Bone-Winkel: Jemand hat mal gesagt, man müsse sich mit Blick auf die Berliner Flughäfen immer das Schlimmste ausdenken. Das tritt dann ein. Es macht einen schon sprachlos, was da passiert.
Steht denn ein Weiterbetrieb von Tegel wirklich zur Debatte?
46, ist Politik- und Wirtschaftswissenschaftlerin. 2010 gründete sie die Bürgerinitiative "Keine Flugrouten über Berlin". Für die Initiative sitzt sie in der Fluglärmschutzkommission Tegel.
Fakt ist, dass Tegel noch Jahre offen bleibt. Aber der Planfeststellungsbeschluss erlaubt ja den neuen Flughafen nur, wenn die anderen geschlossen werden. Den anzufechten werden sie wohl nicht wagen. Das würde man nie mehr so genehmigt bekommen.
Sie haben den Fluglärmprotest am BER mit initiiert. Der öffnet nun am Sankt-Nimmerleins-Tag, und bis dahin jagen die Airlines so viel wie möglich über Tegel raus. Jetzt sind Sie in die Tegeler Fluglärmschutzkommission berufen worden. Da gibt es viel zu tun, oder?
Allerdings. Zum Beispiel ist sicher, dass die dort geltenden Flugrouten nicht genutzt werden. Es wird in Wildwestmanier kreuz und quer über Berlin geflogen. Das kann man vielleicht eine kurze Zeit lang aushalten, aber da Tegel nun länger aufbleibt, muss man aktiv werden.
Wie?
Zuerst, indem man öffentlich macht, dass hier offiziell festgelegte Routen missachtet werden, um mehr Flugzeuge rausschicken zu können. Dabei gibt es sogar das „Tegeler Modell“, das unter bestimmten Umständen vorschreibt, die Flugrouten länger einzuhalten als sonst. Warum wird das missachtet? Das muss die Flugsicherung begründen.
Nach dem BER-Debakel wurde der Flugplan in Tegel ausgeweitet. Die Fluglärmschutzkommission hat das gebilligt. Auf welcher Grundlage eigentlich?
Es gibt eine Ausnahmegenehmigung. Die Fluggesellschaften haben nun mal ein Recht darauf, das Kontingent an Flügen abzuwickeln, das ihnen zugesagt worden ist. Und den Sommerflugplan 2012, der noch für den BER geplant war, hätten sie einklagen können. Der musste also gewährleistet werden. Aber jetzt gilt es zu unterbinden, dass die Ausnahme zur Regel wird.
In Tegel galt früher Nachtruhe ab 23 Uhr – bis auf Postflüge.
Das wurde auf 23.30 Uhr ausgedehnt und mit Ausnahmegenehmigung auch darüber hinaus. Wenn das noch weiter aufgeblasen wird, fragt man sich, warum man nicht frechweg rund um die Uhr fliegt. Tegel bewältigt inzwischen das dreifache Fluggastaufkommen der ursprünglichen Planung. Das muss auf der Lärmschutzseite unbedingt abgefedert werden.
Warum spielt dieses Thema für die Politiker und in den Medien keine Rolle?
Weil man auf die Anhörungsrechte in Berlin und Brandenburg keinen Wert gelegt hat. Lärm hat man hinzunehmen, ist die Botschaft. Lärmschutz wird als Luxusproblem abgetan. Das sieht man auch an Tegel. Hier müsste es Umweltverträglichkeitsprüfungen geben. Gibt es aber nicht.
In Brandenburg bekommen die Häuser Lärmschutz, rund um Tegel nicht. Wieso nicht?
Man ignoriert den Lärmschutz, indem man sagt: Ach, ist doch nur ein bisschen länger, nur noch ein paar Monate. Und noch ein paar Monate. Diese Salamitaktik muss aufhören.
Wen vertreten Sie jetzt eigentlich in der Tegeler Fluglärmschutzkommission?
Ich sitze dort für die Bundesvereinigung gegen Fluglärm. Und meine Aufgabe ist es, das tatsächliche Ausmaß der aktuellen Probleme offenzulegen. Wie oft wird das Nachtflugverbot verletzt? Wie hoch ist die Lärmbelastung wirklich? Wie lange soll das anhalten? Bald kommt der Sommerflugplan, und von der Politik heißt es immer nur: Wir müssen doch, man kann doch nicht. Im Moment sind viele gesetzliche Vorgaben ausgehebelt. Wenn sich die Fluggesellschaften an die gültigen Routen hielten, ergäbe das automatisch eine Beschränkung der Flugbewegungen. Und sehr schnell tauchte die Frage auf, ob man Flüge nach Schönefeld-Alt verlagern kann und muss.
Die Politiker argumentieren, Sie hätten keine Handhabe gegen die Fluggesellschaften.
Ja, im Moment ducken sich alle nur weg. Aber man muss den Politikern darlegen, welche Lärmschutzmaßnahmen auf sie zukämen, wenn man eine richtige Informationslage über die Lärmbelastung hätte. Dann könnte der eine oder andere schnell seine Meinung revidieren. Und man müsste fragen, wie sicher dieses Kreuz-und-quer-Gefliege ist. Es gibt Experten, die das für riskant halten. Ich will nicht sagen, dass Tegel ein unsicherer Flughafen ist, aber es hat zuletzt relevante Zwischenfälle gegeben.
Vom Fluglärm rund um Tegel sind extrem viele Menschen betroffen. Wie wirkt sich das auf die Gesundheit aus?
Dazu gibt es Studien. Es ist davon auszugehen, dass durch das Nachtfliegen ein ständiger Weckreiz entsteht, der Herz-Kreislauf-Probleme nach sich zieht. Es ist auch erwiesen, dass es bei Kindern zu Lernstörungen kommt. Die Kosten, die das verursacht, muss die Gesellschaft tragen, für die haftet niemand persönlich. Den Fluggesellschaften sind sie schlicht und einfach egal.
Es gibt aber auch ökonomische Folgen: Leute haben Wohneigentum in Pankow, Reinickendorf oder Spandau gekauft, weil sie davon ausgingen, dass Tegel vor der Schließung steht.
Ja, da gibt es einen Wertverlust. Und es ist bemerkenswert, dass man den völlig entschädigungsfrei und anhörungsfrei hinzunehmen hat. Weder in Tegel noch am BER gibt es einen Vertrauensschutz. Den einen hat man gesagt: Keine Sorge, über euch verlaufen die Routen nicht. Bei den anderen hieß es: Der Flughafen wird zugemacht. Auf so was muss man sich verlassen können. Es war eine offizielle Auskunft, dass Tegel geschlossen wird, das erfuhr man nicht am Stammtisch. Und wenn das Recht auf Vertrauensschutz und Planungssicherheit verletzt wird, werden demokratische Grundrechte verletzt.
Werden denn die Standards für Lärmschutz, die jetzt in Tegel gesetzt werden, später auch für den BER maßgeblich sein?
Die Schallschutzmaßnahmen am BER sind höher. Die Schutzziele sind im Vergleich zu anderen Flughäfen relativ hoch. In Tegel ist das alles ausgehebelt. Da ist einfach alles so, weil es immer so war. Einer detaillierten Nachprüfung würde es nicht standhalten. Das Problem ist: Man kann nur die Flugrouten beurteilen, nicht den tatsächlichen Lärm. Darin stecken ein gewolltes Versagen des Systems und ein gewisser Freifahrtschein für die Airlines. Im Grunde müsste man Fluggesellschaften belohnen, die sich an die Routen halten.
Und solange das keine Option darstellt?
Mein erstes Ziel ist: offenlegen, dass die bestehenden Routen Makulatur sind. Das lässt ja auch Rückschlüsse zu, wie die Verantwortlichen mit den BER-Routen umzugehen gedenken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“