Interview mit Berliner Grünen-Chefs: „Die AfD passt nicht zu Berlin“
Kann noch verhindert werden, dass die AfD ins Abgeordnetenhaus einzieht? Die Grünen-ChefInnen Jarasch und Wesener über den Umgang mit den Rechtspopulisten.
taz: Frau Jarasch, Herr Wesener, wie heißt bei Ihnen Grünen-intern die AfD?
Bettina Jarasch: Keine Alternative für Deutschland.
Wir meinen: Es ist Ihre härteste Konkurrenz in diesem Wahlkampf.
Daniel Wesener: Es ist eine Herausforderung für uns und alle anderen demokratischen Parteien. Was die unmittelbare Konkurrenz angeht, sagen die meisten Analysen, dass es zwischen Grünen und AfD die mit Abstand geringsten Überschneidungen gibt – nicht nur inhaltlich, sondern auch bei der Wählerwanderung. Wir Grüne sind quasi die Anti-AfD. Das bedeutet aber nicht, dass sich für uns damit die Auseinandersetzung erübrigt hat. Im Gegenteil.
Die AfD könnte Ihnen die Bilanz versauen: Wenn sie ins Abgeordnetenhaus einzieht, dürfte es für eine rot-grüne Koalition in keinem Fall reichen.
Jarasch: Das ist doch keine Frage grüner Wahlchancen. Wir wollen, dass bei der Berlin-Wahl im Herbst die politische Trendwende gelingt. Das heißt, den Durchmarsch der AfD stoppen, hier in der Hauptstadt, die zu Recht stolz auf ihre Weltoffenheit ist.
Was heißt für Sie „stoppen“: Die AfD nicht über die Eintrittshürde von fünf Prozent und damit nicht ins Parlament hineinkommen zu lassen?
Jarasch: Laut der letzten Umfragen könnte die AfD in Berlin zweistellig werden. Damit wollen wir uns nicht abfinden.
Die Grünen: Die Partei geht mit einem Spitzenquartett ins Rennen um die Abgeordnetenhauswahl am 18. September. Dazu gehören die beiden Fraktionschefinnen Ramona Pop und Antje Kapek und die beiden ParteichefInnen Bettina Jarasch und Daniel Wesener. In Umfragen liegen die Grünen derzeit zwischen 17 und 19 Prozent. Da mindestens fünf, vielleicht sogar sechs Parteien (die FDP liegt bei 5 Prozent) den Einzug ins Parlament schaffen werden und selbst die SPD als aktuell stärkste Partei derzeit deutlich unter 30 Prozent liegt, stehen die Chancen für eine Zweierkoalition und damit für Rot-Grün schlecht, für Rot-Grün-Rot indes ganz gut.
Die AfD: Die Rechtspopulisten haben am Wochenende ihre Wahlliste aufgestellt; Spitzenkandidat ist Georg Pazderski, Offizier im Ruhestand. Die AfD liegt in Umfragen bei 9 bis 13 Prozent.
Das ist ein niedriger Anspruch für eine weltoffene Hauptstadt, eine Stadt, in der in den vergangenen drei Legislaturperioden rechte Parteien nicht den Hauch einer Chance hatten.
Wesener: Die AfD hat schon heute das gesellschaftliche Klima vergiftet. Mit ihrer Hetze gegen Flüchtlinge hat sie für eine Atmosphäre der Aggression und Angst gesorgt. Sie ist deshalb mit dafür verantwortlich, dass es immer mehr gewaltsame Übergriffe auf Menschen gibt, die eigentlich bei uns Schutz suchen. Gleichzeitig inszeniert sich die AfD als Anti-Establishment-Partei und Opfer der Medien. Eine solche Partei löst in Berlin kein Problem, sondern ist selber eins.
Laut der jüngsten Umfrage sehen das in Berlin 13 Prozent anders, also fast jeder siebte Wähler. Woher kommt diese große Zahl?
Wesener: Wir wissen, dass es in Deutschland einen harten Kern von Menschen mit einem rassistischen Weltbild gibt, die grundsätzlich gegen Einwanderung und unsere offene Gesellschaft sind. Die AfD erreicht darüber hinaus viele Menschen, die angesichts der Entwicklungen der vergangenen Monate verunsichert sind und die nicht den Eindruck haben, dass die Politik die aktuellen Probleme bewältigt.
Jarasch: Es gibt generell eine Verunsicherung in der Gesellschaft, obwohl es dem Land wirtschaftlich gut geht und die Finanz- und Eurokrise überstanden scheint. Die AfD ist ja nicht zufällig in der Eurokrise entstanden. Auf diese Verunsicherung wollen wir Grüne Antworten geben.
Sie sagen, dass die Milieus von AfD und Grünen weit voneinander entfernt sind, gleichzeitig aber wollen Sie offensiv mit der Situation umgehen – wie erreichen Sie denn die AfDler?
Wesener: Bei klassischen Protestwählern, die jeweils das neueste Angebot auf dem Markt suchen, oder Leuten, die ohnehin eine große Übereinstimmung mit der AfD haben, ist das schwer. Wir können aber diejenigen erreichen, die aufgrund von Ängsten oder Enttäuschung über die bisherige Politik überlegen, AfD zu wählen.
Genau die meinen wir ja. Wie wollen Sie die vom rechten Rand wegkriegen?
47, ist eine der beiden LandeschefInnen der Grünen. Sie ist Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken und gehört zum Reala-Flügel.
Wesener: Indem wir einerseits sehr deutlich machen, wofür die AfD jenseits der Flüchtlingspolitik eigentlich steht – nämlich für ein Frauen- und Familienbild von vorgestern, für eine autoritäre und zutiefst ungerechte Politik. Die AfD ist eben nicht die Partei der kleinen Leute und für mehr Mitsprache, sondern das genaue Gegenteil. Hier müssen wir sie auch stellen. Andererseits sagen wir den Menschen, was wir Grüne tun, damit Berlin lebenswert und weltoffen bleibt.
Aber auch diese Gruppe wird nicht an Ihre Wahlkampfstände oder zu Ihren Veranstaltungen kommen und schon gar nicht Ihr Wahlprogramm lesen. Uns bei der taz geht es genauso, weil ebendiese Wähler im Zweifelsfall die taz nicht lesen. Wie wollen Sie mit denen in die Diskussion kommen?
Jarasch: Ein Wahlkampf bietet bekanntlich viele Gelegenheiten, mit Menschen ins Gespräch zu kommen – und das werden wir nutzen.
Ganz geht die Verunsicherung, von der Sie sprechen, auch am grünen Milieu nicht vorbei. Wenn beispielsweise in die Sporthalle nebenan Flüchtlinge einziehen, finden das auch Ihre Wähler nicht alle toll.
40, ist auch seit März 2011 Co-Chef der Berliner Grünen. Er war Mitarbeiter von Christian Ströbele und gilt als Vertreter des linken Parteiflügels.
Jarasch: Wie gesagt, den Analysen zufolge sind unsere Wählerinnen und Wähler am wenigsten in der Versuchung, zur AfD zu wechseln. Aber natürlich wollen auch sie nach Vorfällen wie in der Kölner Silvesternacht hören, was wir Grüne dagegen unternehmen und wie wir für öffentliche Sicherheit sorgen. Auch wir Grüne müssen ganz klar sagen, wie wir uns die Unterbringung und Integration der Geflüchteten konkret vorstellen und was wir anders machen würden. Beim Umgang mit der AfD werben wir außerdem für ein breites Bündnis für eine hohe Wahlbeteiligung.
Die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt hat das Gegenteil gezeigt: Dort boomte die Partei, obwohl so viele Menschen zur Wahl gingen wie seit 1998 nicht mehr.
Wesener: In Berlin hat die Vergangenheit gezeigt, dass eine niedrige Wahlbeteiligung im Regelfall vor allem den Rechten nutzt. Die Berlinerinnen und Berliner können am 18. September das Zeichen setzen: Die AfD hat in dieser Stadt keine Chance.
Sehen es die anderen Parteien auch so?
Wesener: Ich kann nur hoffen, dass alle erkannt haben, dass bei der AfD kein Kuschelkurs, sondern nur klare Kante hilft. Beim rot-schwarzen Senat habe ich leider den Eindruck, dass er noch nicht kapiert hat, dass der ständige Koalitionskrach der AfD Auftrieb verleiht.
Sie sagen, SPD und CDU haben in Berlin die AfD stark gemacht?
Jarasch: Sie bieten ihr in jedem Fall Steilvorlagen. In einer Situation, in der eine so große Zahl von Flüchtlingen untergebracht werden muss, erwarten die Leute zu Recht, dass die Regierung zusammensteht und das Problem gelöst kriegt – und nicht, dass sich SPD und CDU in der Flüchtlingspolitik nur streiten oder beim Scheitern gegenseitig hämisch zuschauen.
Wenn Ihre Strategie nicht aufgeht und die AfD ins Abgeordnetenhaus einzieht: Wie wollen die Grünen mit ihr im Parlament umgehen?
Wesener: Es ist für jedes Parlament eine Herausforderung, wenn rechtspopulistische Parteien dort eine Bühne haben. Erfahrungen, wie seit eineinhalb Jahren in Brandenburg, zeigen, was funktioniert und was nicht. Dabei müssen die demokratischen Parteien einen Weg finden, wie man die AfD inhaltlich isoliert und ihr gleichzeitig den Mythos vom Opfer nehmen kann.
Die AfD hat am Wochenende ihre Liste gewählt; es ist jetzt klar, wer sehr wahrscheinlich mit Ihnen ab Herbst im Parlament sitzen wird. Nicht gerade sehr erfreulich, oder?
Jarasch: So weit ist es noch nicht. Wer im Parlament sitzen wird, entscheiden im Herbst die Berlinerinnen und Berliner. Was wir von den einzelnen AfD-Kandidaten halten – es sind wirklich fast nur Männer –, treibt uns nicht an. Unser Ziel ist klar: Wir wollen, dass Berlin vielfältig und weltoffen bleibt und wir werden immer wieder deutlich machen, wie wenig die AfD zu unserer Stadt passt.
Die AfD hat sich, nicht zuletzt auch mit ihrer Landesliste, deutlich rechtsaußen positioniert. Überrascht Sie das?
Wesener: Die AfD gibt sich nach außen gerne bieder-bürgerlich. Aber die Übergänge ins rechtsextreme Spektrum sind fließend, auch personell. In ihren Reihen tummeln sich ehemalige NPDler, die Verbindungen reichen bis weit in die Neonazi-Szene. Diese Zusammenhänge müssen wir sichtbar machen, damit niemand behaupten kann, er wisse nicht, mit wem wir es da zu tun haben.
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