Interview des Kommissionspräsidenten: Im Bett mit Jean-Claude
EU-Kommissionspräsident Juncker führte ein Interview im Bett. Über den Homestory-Moment eines Mannes, bei dem Privates schon lange politisiert wird.
Als Deutschlandradio-Redakteur Mario Dobovisek am Mittwochmorgen kurz nach acht Jean-Claude Juncker in der Leitung hatte, sagte dieser nicht: „Haters gonna hate“. Er sagte auch nicht: „Mir schnurz, was ihr denkt.“ Stattdessen offenbarte der Präsident der europäischen Kommission dem kichernden Dobovisek: „Ich sitze hier quietschfidel auf meinem Bett und rede mit Ihnen.“ Im Subtext ist das freilich das Gleiche.
Der Moderator hatte gefragt, ob ein angekündigter Brief Theresa Mays zur erbetenen Fristverlängerung des Brexits schon eingetroffen war. Er sei noch nicht im Büro gewesen, entgegnete Juncker. Die Vorstellung des womöglich im Pyjama auf der Bettkante hockenden Juncker war ein frühes Highlight des gut elfminütigen Gesprächs über Brexit, Orban und innereuropäische Kräfteverhältnisse. In Wahrheit gab sich dort einer selbstbewusst nahbar, dessen Persona ohnehin alleweil politisiert wird.
Seit Amtsantritt 2014 begleiten den Finanzfachmann Tratschereien darüber, wann, wie und mit welchen Auswirkungen er sich an Bier, Rotwein und Gin Tonic labe. EU-feindliche Blogs, aber auch Bild, Junge Freiheit und Kronenzeitung in Österreich degustieren regelmäßig genüsslich die Gerüchte, Juncker habe ein Alkoholproblem. Doch auch seriösere Medien wie Spiegel, Süddeutsche oder Neue Zürcher Zeitung greifen die Spekulationen auf.
Oft läuft es darauf hinaus, dass der Kommissionschef vermeintlich oder tatsächlich ein kränkelndes Europa symbolisiere. Im November 2018 beschäftigte sich ein größerer Teil des Internets mit einem Video, auf dem zu sehen sein sollte, dass Juncker angeblich mit zwei verschiedenfarbigen Schuhen auf einer Pressekonferenz zum EU-Südafrika-Gipfel auftauchte. Faktenfinder entkräfteten das infame Gerede. Und wenn Juncker wegen einer Ischias-Entzündung Unterstützung braucht, wird gefragt, ob vielleicht doch Alkohol für seinen schwerfälligen Gang verantwortlich sei.
Quietschfidel und patriarchal
Mit seiner „Quietschfidel“-Schalte konterte der scheidende Kommissionspräsident nun denen, die in seinem körperlichen Zustand und Privatleben einen Gradmesser über den Zustand der EU erkennen wollen. „Ich fühle mich eigentlich relativ munter. Oder klinge ich nicht so?“, fragte Juncker und klang dabei: eigentlich relativ munter.
Wenn man aus dem Tun des Präsidenten etwas über Europa lernen will, sollte man eher seine Steuernachlasspolitik als Premier Luxemburgs betrachten. Oder sein patriarchales Gebaren gegenüber Kolleg*innen. Denen wuschelt er gerne durch die Haare oder legt seine Hand länger auf den Arm als üblich. Das, fand der Spiegel Anfang des Jahres, seien indes doch nur „Männergesten, nicht abwertend gemeint oder bösartig“. Darauf einen Schnaps.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!