Internationaler Frauentag 2012: Linke Männer beim tapferen Weibchen
Am Frauentag dienen die Männer der linken Bundestagsfraktion in sogenannten Frauenberufen. Schaufensterpolitik, klar. Aber erhellend ist sie doch.
Die Chefin kommt um zehn. Stefan Liebich wartet schon vor dem frisch sanierten Haus in Prenzlauer Berg. Liebich schaltet sein gewinnendstes Lächeln ein, nimmt Haltung an und sagt zu ihr: „Herzlichen Glückwunsch zum Frauentag!“
Die Chefin freut das. Liebich, der Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, ist heute schon der Zweite, der ihr gratuliert. Ihr Ehemann – „ein Westler“ – hat ihr zu Hause Blumen geschenkt. „Das hat er sich nach dem Mauerfall gleich angeeignet“, sagt Annett Kuschan und schließt ihren Salon auf.
Kuschan ist an diesem Nieseldonnerstag Stefan Liebichs Chefin. Wie alle Männer aus seiner Fraktion macht er am 8. März ein Praktikum in einem sogenannten Frauenberuf. Die weiblichen Abgeordneten besetzen derweil das Bundestagsplenum und halten die Reden. So haben sie es Anfang des Jahres bei einer Klausur beschlossen.
Fraktionschef Gregor Gysi arbeitet in einer Berliner Kita, Steffen Bockhahn aus Mecklenburg-Vorpommern ist in Rostock unterwegs mit den „Putzfeen“ einer kommunalen Wohnungsgesellschaft, Parteichef Klaus Ernst gibt in Schweinfurt Essen aus. Und Stefan Liebich will im Salon Kuschan mitanfassen. Er hat Erfahrung mit so was.
Neunzig Prozent Friseurinnen und zehn Prozent Friseure
Im Sommer 1989, als die DDR in den letzten Zügen lag, hat er in Berlin-Marzahn beim Friseur gejobbt. Er hat Kaffee gekocht und Haare gefegt, erinnert sich der 41-Jährige; die „Friseusen“, wie sie damals noch hießen, waren freundlich zu ihm. Und schon als 17-Jähriger hat er sich gefragt, wieso das eigentlich vor allem ein Frauenberuf ist.
„Warum gibt es in Deutschland neunzig Prozent Friseurinnen und nur zehn Prozent Friseure – aber der bekannteste Friseur heißt Udo?“, fragt Stefan Liebich. Tatsächlich ist der Schwabe Udo Walz Deutschlands berühmtester Friseur. Er selbst nennt sich Coiffeur. Und dabei hat Walz nicht mal die Meisterprüfung.
Annett Kuschan, die Chefin, ist Friseurmeisterin. Bevor der erste Kunde kommt, erzählt sie von ihrer Branche, während Praktikant Liebich Kräutertee kocht und in kleinen Schälchen serviert. „Für Männer“, sagt die 41-Jährige, „steht nun mal der Verdienst im Vordergrund, für die ist der Friseurberuf unattraktiv. Und wenn doch, dann sind sie der Inhaber.“ Und warum zieht es Frauen in einen Beruf, der schlecht bezahlt ist? „Man kann den gut mit Kind ausüben“, erklärt Kuschan. Also wenig Geld, um Zeit für die Familie zu haben?
Kuschan ärgert sich, wenn sie von Fünf-Euro-Löhnen hört, von Friseurinnen, die zusätzlich Arbeitslosengeld II beantragen müssen, um von ihrer Arbeit leben zu können. „Das kommt von diesen Dumpinglöhnen“, schimpft sie, „zehn Euro für einen Haarschnitt – so was gehört verboten. Das ist schließlich ein Handwerk!“ Bei ihr kosten Waschen und Schneiden 43 Euro.
Kein Penis? –25 % Lohn
Was den gehobenen Standard, die Qualität des Berufs ausmacht, das demonstriert sie jetzt mal am ersten Kunden. Praktikant Liebich wird in die Geheimnisse der Bürstenmassage eingeweiht. Mit einer ergonomischen Echthaarbürste streicht er dem Kunden systematisch vom Nacken zum Wirbel. „Das dient der Reinigung und Durchblutung. Schön im Fluss bleiben!“, mahnt die Chefin. Liebich stellt sich nicht ungeschickt an – der Mann schließt vertrauensvoll die Augen. „So was Tolles gab’s damals in Marzahn nicht“, sagt Liebich nach getaner Arbeit.
Er ist sich klar darüber, dass das hier – dieser Friseurtag mit Plaudern, Massage und Teetrinken – Schaufensterpolitik ist. Dass es wohlfeil ist, am 8. März einmal im Jahr den tapferen Weibchen zur Seite zu stehen und sich dabei auch noch von der Presse begleiten zu lassen. Aber es ist eine annehmbare Idee, um zu zeigen, wie Arbeit in diesem Land mitunter immer noch in Frauen- und Männerberufe aufgeteilt sind. Immerhin.
Auf dem Weg zurück in die Redaktion sieht die Autorin überall Flugblätter im Stadtbild. „Kein Penis? –25 % Lohn“ steht da an Werbetafeln und Tramstationen. Das ist Berlin. Grob, aber inhaltlich auf den Punkt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an