Internationale Strafverfolgung: Chomeinis Blutrichter in Hannover?
Vieles spricht dafür, dass der iranische Geistliche Hossein Ali Nayyeri in Hannover behandelt wird. Die deutsche Justiz prüft einen Strafantrag.
Etwa 200 Menschen – hauptsächlich Exiliraner*innen – sind zu einer Kundgebung gekommen. Sowohl progressive Demonstrant*innen, wie die Mediziner*innen der Gruppe „Parsi Med“, als auch Monarchist*innen, die sich den Schah zurückwünschen, beteiligen sich.
Einer der Monarchisten hat einen Strick an einem Galgen dabei. Durch die Straße getrennt demonstrieren sie die zweite Woche in Folge in der gleichen Sache. „Bedienen der Mörder ist Beihilfe zum Mord und Terrorismus!“, steht auf dem Schild eines älteren Mannes. Bereits Mitte Juli habe die Community der Exiliraner*innen davon erfahren, dass der iranische Richter Hossein Ali Nayyeri sich in Hannover aufhalte, sagt die Menschenrechtsaktivistin Mina Ahadi. Ihr lägen interne Schilderungen aus dem INI vor, die das bestätigten.
Hossein Ali Nayyeri ist ein hochrangiger Geistlicher und Berater des iranischen Justizchefs. Im Jahr 1988 wurde er, auf Befehl Ajatollah Chomeinis, zum Vorsitzenden der „Todeskommission“ ernannt. Er entschied über die Massenhinrichtung tausender politischer Gefangener – unter ihnen Kommunist*innen und Volksmudschahedin. Im Halbstundentakt seien die Menschen im Dutzend an Gabelstaplern gehängt worden, heißt es in den Memoiren von Chomeinis Stellvertreter.
Mit Entschiedenheit Urteile gefällt
In einem Interview mit dem staatlichen „Islamic Revolution Documentary Center“ äußerte Nayyeri sich zu den Vorwürfen: „Wir mussten mit Entschiedenheit Urteile fällen“, rechtfertigt sich der Richter. Wie viele Menschen hingerichtet wurden, ist unklar. Amnesty International wirft dem Regime vor, Spuren zu verwischen und spricht von etwa 5.000 Toten. Andere Schätzungen kommen auf bis zu 30.000 Ermordete.
Ulrike Becker, Forschungsleiterin des Berliner Thinktanks „Mideast Freedom Forum“, fordert die Strafverfolgungsbehörden zum Handeln auf. Nach dem Weltrechtsprinzip sei es möglich und geboten, Nayyeris Verbrechen in Deutschland zu ahnden. „Die Verfolgung von schweren Menschenrechtsverbrechen darf nicht aus außenpolitischer Rücksichtnahme verschleppt werden, bis der Todesrichter das Krankenhaus wieder verlässt“, sagt Becker.
Vorgemacht hatte es im vergangenen Jahr Schweden. Dort wurde Hamit N. für seine Beteiligung an den Hinrichtungen 1988 wegen Mordes und Verbrechen gegen das Völkerrecht zu mehr als 30 Jahren Haft und Schadensersatzzahlungen verurteilt.
Der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen, Volker Beck, stellte am 7. Juli 2023 eine Strafanzeige gegen Nayyeri. „Während die Opfer der Menschenrechtsverbrecher in den iranischen Gefängnissen ermordet und zu Tode gefoltert werden, gehen die Verantwortlichen ungeschoren in Deutschland ein und aus“, kritisiert Beck.
Seit dem 18. Juli prüft die Staatsanwaltschaft Hannover, ob eine Zuständigkeit nach dem deutschen Strafgesetzbuch besteht. Dass Nayyeri tatsächlich im Krankenhaus in Groß-Buchholz sei, habe man bisher nicht bestätigen können, teilte die Behörde mit. Es habe aber Nachforschungen gegeben. Einen von Beck über Dritte vermittelten Zeugen zu kontaktieren, gehörte wohl nicht dazu.
Einiges spricht dafür, dass der Todesrichter zumindest als Patient willkommen wäre. Geleitet wird das INI, ein Erfolgsunternehmen mit 48 Millionen Euro Jahresumsatz, von dem renommierten Neurochirurgen Majid Samii.
Der 1937 im Iran Geborene präsentiert sich auf Instagram als Mann von Welt: beim Geburtstag des Anwalts Götz Fromberg mit Gerhard Schröder oder beim Handshake mit dem Sprecher des iranischen Parlaments Mohammad Ghalibaf. Zahlreiche Ehrungen hat Samii sein chirurgisches Können bereits eingebracht – unter anderem das Bundesverdienstkreuz. Drei Dependancen hat das INI weltweit. Anteile am Unternehmen halten der Klinikbetreiber Asklepios und die Norddeutsche Landesbank.
Ein Betreten des Glaskomplexes ist seit 19. Juli wegen „krankenhaushygienischer Maßnahmen“ nicht möglich. Das Gesundheitsamt der Region Hannover teilte der taz mit, die Klinik habe drei Nachweise des seltenen Pilzerregers Candida Auris gemeldet. Alle vom Gesundheitsamt entnommenen Umgebungsproben seien allerdings unauffällig gewesen.
Die Klinik verschließt sich
Unter der Woche herrscht in der Klinik reges Treiben. Den ganzen Tag gehen Patient*innen ein und aus. Vor einer Woche seien zwei Limousinen der iranischen Botschaft vorgefahren, erzählt ein Exiliraner der in Dauerkundgebung steht. Eine Angestellte an einem Seiteneingangwill will sich zu den Gerüchten und dem Medienrummel nicht äußern, fügt dann aber nickend hinzu: „Vertrauen Sie einfach Ihrem Bauchgefühl.“
Eine schriftliche Anfrage der taz ließ das INI unbeantwortet. Am Telefon will man sich nicht zum Fall äußern und beruft sich auf den Datenschutz – für jemanden, der doch angeblich gar kein Patient ist. Die Bild berichtet, es habe eine Krankenakte für Nayyeri gegeben, die nun gelöscht worden sei. Gegenüber der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung dementiert der Chef der Klinik, dass der Todesrichter im INI behandelt werde. Samii betont aber auch, er würde im Zweifel aus ärztlichem Pflichtbewusstsein auch Putin behandeln.
Nayyeri wäre nicht der erste hochrangige Vertreter des iranischen Regimes, der in Hannover behandelt wird. Vor fünf Jahren war der mittlerweile verstorbene Todesrichter Mahmud Haschemi Shahroudi als Patient im INI. Shahroudi war Leiter der iranischen Justiz und auch ihm wurden schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.
Der ehemalige Botschafter des Iran in Deutschland, Ali Majedi, beschrieb jüngst in einem Interview, wie viel diplomatisches Geschick notwendig gewesen sei, um damals eine Polizeieskorte für Shahroudi zum Flughafen Hamburg zu bekommen. Bereits damals hatte Volker Beck Anzeige erstattet. Der Richter konnte jedoch unbehelligt ausreisen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israel und Hisbollah
Waffenruhe tritt in Kraft