Intergeschlechtliche Kinder in Bremen: Keine Anlaufstelle für Eltern
Wenn Eltern von intergeschlechtlichen Kindern Hilfe benötigen, müssen sie nach Emden, Hamburg oder Lübeck fahren. Denn in Bremen gibt es keine Beratungsstelle.
Der Senat nennt das „Rat & Tat Zentrum für queeres Leben“ als „bekannten Träger, an den sich Betroffene, Angehörige und Fachkräfte gleichermaßen wenden“. Er sagt aber auch: „Eine eigene Plattform über Beratungs- und Informationsangebote für Eltern über Intergeschlechtlichkeit bei Kindern ist nicht eingerichtet.“
Als zweite Anlaufstelle wird die Beratungsstelle von Pro Familia genannt. Aber auch dort gibt es keine Beratung für Eltern intergeschlechtlicher Kinder. „Wir verweisen die betroffenen Eltern nach Hamburg an den Verein Intersexuelle Menschen oder an die Beratungsstelle für Intersexualität nach Emden“, sagt Alix Schröder, psychologische Psychotherapeutin bei Pro Familia. Dasselbe sagt auch das Rat & Tat Zentrum.
Bei dem Verein intersexuelle Menschen in Emden bieten betroffene und extra dafür geschulte Eltern Beratungsangebote für andere Eltern an. Michael Evern, Lehrer an der Bremer Paul-Goldschmidt-Schule, kennt über seine Arbeit viele intergeschlechtliche Kinder. Er weiß, dass es in Bremen eine betroffene Familie gibt, die andere Eltern berät. „Man muss diese Kontakte aber erst einmal finden, denn viele Eltern halten sich bedeckt, weil sie entweder ihre Kinder schützen oder sich nicht dafür rechtfertigen wollen, dass ihr Kind intergeschlechtlich ist.“
Als intergeschlechtlich oder -sexuell werden Menschen bezeichnet, deren Chromosomen, Keimdrüsen, Hormonproduktion oder körperliches Erscheinungsbild keine eindeutige Zuordnung zu einem Geschlecht erlauben.
Das kann bei der Geburt auffallen: etwa wenn die Klitoris eines Babys sehr groß ist.
Obwohl medizinische Leitlinien davon abraten, Kinder aus kosmetischen Gründen am Geschlecht zu operieren, ist nach einer Studie die Anzahl dieser Operationen zwischen 2005 und 2014 nicht zurückgegangen.
Dabei will Bremen eigentlich „gezielt Beratungsangebote für trans*- und intergeschlechtliche Menschen aller Altersgruppen und ihre Angehörigen in Bremen“ fördern. So steht es im Aktionsplan gegen Homo-, Trans*- und Interphobie für das Land Bremen, den die Bürgerschaft vor vier Jahren beschlossen hat. Es handele sich um Maßnahmen, die man noch umsetzen wolle, sagt David Lukaßen, Sprecher von Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne).
In der Senatsantwort steht auch, dass einige Krankenhäuser betroffenen Eltern „im Rahmen einer Sprechstunde Informationsgespräche“ anböten. Was genau Inhalt dieser Beratungsgespräche ist, ob sie einen psychosozialen oder medizinischen Charakter haben, steht dort nicht.
Außerdem heißt es in der Antwort, dass einige Krankenhäuser eng mit den DSD-Zentren (Disorders of Sex Development) in Berlin, Hamburg und dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in Lübeck und Kiel zusammenarbeiteten. „In den DSD-Zentren erhalten die Eltern in der Regel die Kontaktdaten der Selbsthilfegruppen“, heißt es in der Senatsantwort. Anlaufstellen für Notsituationen nach der Geburt werden nicht genannt.
Sofia Leonidakis, queerpolitische Sprecherin der Linksfraktion, hat für all das kein Verständnis. „Es kann doch nicht sein, dass es in Bremen keine fachliche Beratung für Eltern gibt“, sagt sie. Des Weiteren kritisiert sie, dass Ärzt*innen nicht hinreichend geschult würden. In der Antwort des Senats wird lediglich darauf hingewiesen, dass Ärzt*innen laut ihrer Berufsordnung dazu verpflichtet seien, sich regelmäßig fortzubilden. Doch inwieweit sie sich weiterbilden, dafür seien Ärzt*innen selbst verantwortlich.
Jährlich kommen in Bremen laut Statistischem Landesamt zwischen 130 und 190 intergeschlechtliche Babys auf die Welt. Zwischen 2005 und 2017 betraf dies 1.975 Menschen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich