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Interesse für UmweltschutzPubertieren statt Vögel retten

Immer mehr Kinder in Großbritannien entfremden sich immer weiter von der Natur. In Deutschland ist der Trend ähnlich – mit fatalen Folgen.

Kinder können mit Natur nur noch wenig anfangen. Bild: dpa

BERLIN taz | Wie viele Eier legt ein Huhn am Tag? Wie heißen die Früchte der Rose? Ist doch egal! Natur ist einfach langweilig. Das finden zumindest immer mehr Kinder in Großbritannien. Vier von fünf Heranwachsenden sind nicht genügend mit der Natur verbunden, fanden Wissenschaftler der Universität Essex im Auftrag der britischen Umweltschutzorganisation RSPB heraus. Sie hatten 1.200 Kinder im Alter zwischen acht und zwölf Jahren zu ihrem Natur-Erleben befragt.

Das hat fatale Folgen für die Umwelt: „Die Natur ist in Not, und die Verbindung von Kindern zur Natur ist damit sehr eng verknüpft“, sagt RSPB-Geschäftsführer Mike Clarke zum Guardian. „Wenn Kinder Natur verstehen, schätzen sie sie und geben später darauf acht“, ergänzt Hugh Dames, Leiter der Waldschule in Levisham.

Deutsche Experten sehen das ähnlich. „Das Interesse an der Natur hat stark abgenommen“, sagt Rainer Brämer. Der Soziologe leitet den „Jugendreport Natur“, für den seit 1997 im Auftrag von Umwelt- und Jagdverbänden deutschen Schülern ähnliche Fragen wie den Briten gestellt werden, zuletzt 2010. Dabei zeigte sich, dass Gymnasiasten wie Hauptschüler in Stadt und Land ähnlich naturentfremdet sind.

„Die Distanz wird größer und setzt immer früher ein“ sagt Brämer. Viele Pubertierende fänden Natur einfach nur noch öde. Warum ist das so? Eltern fürchteten sich heute zunehmend, ihre Kinder auf eigene Faust in die Natur zu lassen, sagt der Soziologe. „Aber auch die Medienwelt ist viel faszinierender, abwechslungsreicher, schneller“, so Brämer. „Man hat schneller eigene Erfolge, das Ego wird gepinselt.“ In der Natur laufe das viel langsamer ab. Die Freude und das Erlebnis, etwa ein Tier zu beobachten, gehe verloren.

Die Emotionen fehlen

Brämer sieht das kritisch: Wer mit Facebook oder Computerspielen aufwachse, habe eher Entwicklungsdefizite. Schlimm sei es, dass sich das Desinteresse bis ins Erwachsenalter fortsetze. „Alle sind sich einig, dass die Natur geschützt werden muss“, sagt Brämer. Aber die Menschen würden nichts mehr mit aussterbenden Vogelarten oder verunreinigten Gewässern verbinden. „Die emotionale Verbindung fehlt.“

Für den Naturschutz sei das problematisch, weil damit auch die Bereitschaft sinke, eigene Opfer zu bringen. „Erst in den letzten Jahren ist auch im Naturschutz die Erkenntnis angekommen“, betont Brämer, „dass Engagement für die Natur etwas mit Freude und Erlebnis zu tun hat.“

Übrigens: maximal eins, Hagebutten.

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21 Kommentare

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  • N
    Naturbeobachter

    Natur erleben und erkunden ist für Jugendliche möglich, so wie sie es möchten, ohne nervige, besorgte oder was was ich was für Erwachsene:

    http://www.naturbeobachtung.de/

  • AS
    Alte Socke

    Die Alternative:

    Jugendliche können mit anderen Jugendlichen die Natur so erleben und erkunden, wie sie es wollen, ohne nervige Erwachsene. (Oder noch schlimmer: Unter der Fuchtel von Besserwissern aus den etablierten Verbänden.)

    Einfach beim DJN vorbeisurfen:

    http://www.naturbeobachtung.de/

  • Sorry, aber Natur kann nun einmal wirklich langweilig sein oder noch schlimmer. Wenn ich im Schlepptau von Vogelfreaks bei Nieselregen und 10° durch ein Mittelgebirge tappse und jede Amsel als Sensation gilt, sofort ein riesiger Feldstecher gezückt wird und man dann buchstäblich im Regen steht, bitte, geht's noch? Wer auf diese Weise Kinder und Jugendliche für die Natur und für Umweltschutz begeistern will, ist einfach nur weltfremd.

     

    Von Sarah Wiener als Köchin halte ich relativ wenig, aber ihr Ansatz, Kindern die Natur näher zu bringen, finde ich wesentlich mehr erfolgversprechend. Sie zeigt Kindern, wo das Essen her kommt und was man alles dafür tun muss, dass es wächst und gedeiht. Sie erntet gemeinsam mit den Kindern und schreckt auch nicht davor zurück, sie mit dem Schlachten zu konfrontieren. Das ist ehrlich, manchmal eklig, bis die Kinder sich daran gewöhnt haben, aber vor allem spannend.

     

    Im Übrigen halte ich die Sichtweise von Natur- und Ökofreaks für fast genauso gestört wie die der englischen Kids, die im Artikel an den Pranger gestellt werden. Zuallererst sollte die Natur kein Heiligtum sein, sondern die Quelle für unsere Nahrung und unsere Gesundheit. Wenn man sie als das verstanden hat, hegt und pflegt man sie von ganz allein.

    • D
      Desillusionist
      @MrScoville:

      "(...) Zuallererst sollte die Natur kein Heiligtum sein, sondern die Quelle für unsere Nahrung und unsere Gesundheit.(...)" - Das mag Ihre Meinung sein, ist aber nur ein Glaubenssatz, der keine Allgemeingültigkeit beanspruchen kann. Ich sehe es viel einfacher: Wozu ist die Natur da? Keiner weiß es. Wozu ist der Mensch da? Keiner weiß es. Wir wissen NICHTS über Ursachen, Intentionen oder Ziele der uns umgebenden Welt oder unserer eigenen Spezies. Aber es gibt, und das sind eben keine Verstandes- oder Vernunftkriterien, die Möglichkeit der Faszination durch das Leben um uns herum und der Empathie mit den Geschöpfen. "Es gibt zwei Arten, sein Leben zu leben:

      Entweder so, als wäre nichts ein Wunder, oder so, als wäre alles eines. Ich glaube an Letzteres." - Albert Einstein

    • @MrScoville:

      Sie halten von Sarah Wiener relativ wenig, finden es aber spannend und erfolgsversprechend, was sie macht. Wollen Sie ernst genommen werden oder gehören Sie vielmehr zu denen, die Menschen ohne eigene Initiative begutachten, in dem Glauben, ihr Daumen hoch oder runter würde von großem Interesse sein ?.

  • Gestern hat mir gerade eine Frau, die in einer Farm arbeitet erzählt, dass ein 9jähriges Arbeiterkind aus dem VorstadtBlock nicht wußte was ein Schaf ist.

    Hammer echt!

     

    nzuli sana ist übrigens Kisuaheli und heißt: "sehr schön".

  • EL
    Ernst Lehmann

    Wo in den Städten haben die Kinder und Jugendlichen denn noch die Möglichkeit, wirkliche Natur erleben? Selbst in Feld und Wald sieht man ja noch kaum Tiere, da hauptsächlich Monokulturen zu sehen sind. und die Grünen haben auf ganzer Linie versagt. Sie reduzieren Naturschutz auf alternative Energiegewinnung und gentechnikfreie Landwirtschaft.

  • P
    Pouch

    In Leipzig durften Eltern mit ihren Kindern monatelang den Leipziger Auwald nicht betreten, weil Umweltradikale angeblich einen Eisvogel gesehen hatten und dies sofort dem Umweltamt zugetragen hatten. Ohne einen Beweis wurde der Auwald gesperrt.

    Wie sollen so Kinder die Natur erkunden dürfen, wenn grüne Radikale dies verhindern? Gehts noch verlogener?

  • F
    Frischluft

    Wenn junge Menschen nicht mehr experimentieren dürfen, wenn ihnen nicht erlaubt wird, Grenzen auszuloten und auch mal zu überschreiten, wenn ihnen nicht erlaubt wird, wild zu sein, Tabus zu brechen und die Werte der Gesellschaft zu überprüfen, dann ist das Ende der Evolution erreicht. Dann sind wir alle nur noch Sklaven der Industrie und deren Produktionsmethoden. Unsere Werte basieren auf den Produkten der industriellen Produktion und nicht mehr auf gesellschaftspolitischem Konsens.

  • B
    Baum

    Junge Menschen suchen sich ihre Vorbilder. Wenn den Erwachsenen alles egal ist, dann braucht man sich nicht zu wundern, dass die jungen Menschen keine Werte haben. Wenn Generationen von Deutschen nur noch vor der Glotze sitzen oder ins Handy starren, was soll dabei herauskommen?

  • TR
    Türgen Rittjin

    "Umweltschutz" hat inzwischen etwas Inflationäres und Beliebiges.

    Dank "Vorbilder" wie Roth oder ströbele wirken Umweltschützer wie unbelehrbare Ewiggestrige. Dabei ist umweltschutz keine unwichtige Sache, wird aber oftmals als Vorwand herangezogen, auf plumpe Art steuern zu erhöhen

  • H
    Hamburger

    Kontakt zur Natur hatte man früher ab dem 6. Lebensjahr über das Angeln erhalten.

    Zwischenzeitlich alles verboten oder so stark reglementiert, dass es nicht mehr relevant ist.

     

    Ebenso sind die Einschränkungen der Naturnutzung (wird jedes Jahr schlimmer) nicht gerade förderlich, Kinder an die Natur heranzuführen.

    Befahrensverbote für Kanus, vorgeschriebene Wanderwege in den Dünen etc. etc.

    Kinder wollen nicht auf Wegen bleiben....

  • D
    Desillusionist

    "(...) sind nicht genügend mit der Natur verbunden (...)" - wer definiert, was "genügend" ist? Diese Formulierung ist einfach Unsinn. Es gab Zeiten, da war die Welt ausserhalb der Städte und Ortschaften für Menschen vorwiegend Gegenstand diffuser, heute bizarr anmutender Ängste. Wenn Menschen sich heute nicht mehr für die Welt ausserhalb ihrer 4 Wände interessieren, wird sich das in ihrem Verhalten und auf längere Sicht auch in den Reproduktionsraten äußern. Denn genetisch sind wir allesamt Jäger, Sammler und Ackerbauern - daran ändern Google und Facebook garnichts.

    Ich bin froh über jeden Städter, den ich nicht beim Trampeln und Lärmen dort antreffen muss, wo ich Pflanzen und Tiere beobachten kann. Sitzt ruhig weiter brav vorm Bildschirm und lauft mir bloß nicht über den Weg!

    • @Desillusionist:

      Ich finde ihr ernsthaftes Interesse an Flora und Fauna schön, nur Ihr letzter Satz mit dem "nicht über den Weg laufen" geht mir doch etwas quer runter.

       

      Natur als exklusive Veranstaltung - darf doch eigentlich auch nicht sein.

       

      Wie @Hamburger sagt, Kinder wollen auch mal "quer Beet laufen". Ich meine schon, dass sich JEDER weitgehend frei in der Natur bewegen dürfen müsste wenn er/sie sich denn benehmen kann.

       

      Als Landwirt habe ich kein Problem damit wenn fremde Reiter über meine Stoppelfelder rasen - ich finde das gut, sieht toll aus so im gestreckten Galopp. Neulich kam ich vorbei als eine Familie in unserem Wald picknickte - die guckten ganz verschreckt und dachten ich sei der Jäger und wollte sie verscheuchen.

      Ich hab gesagt: "kein Problem, wenn Sie alle Sachen wieder mitnehmen, können Sie wegen meiner auch noch eine Nacht hier Zelten..." Um unseren Jäger kein Unrecht zu tun, der ist ein ganz Netter und verjagt auch keine "Waldläufer" - es sei denn er sitzt in der Dämmerung bei Büchsenlicht auf einen Bock an.

      Viele andere Jäger sind da aber überpingelig und machen die Leute schon an wenn sie mal mit Eimerchen zum Brombeersuchen in den Waldrand gehen.

       

      Ich habe den Eindruck dass die meisten Leute aus der Stadt eben weil sie überall weggejagt werden so eine Art "Klemmbeziehung“ zu Natur haben. Man fühlt sich von vornherein unterbewußt als unerwünscht bzw. nicht zugehörig, Es fehlt die Selbstverständlichkeit de Naturerlebnisses und somit auch der Bezug was sich bei Jugendliche dann auch in diesen schrecklichen Müllexzessen äußern kann.

       

      Mal so als Theorie. Kann aber auch ganz anders sein...

  • Na da hat doch die Unterhaltungsindustrie ganze Arbeit geleistet. Die Kinder wollen nichts anderes mehr.

     

    Erinnert mich an dieses Problem, bei dem die Lebensmittelindustrie ganze Arbeit geleistet hat:

    https://www.taz.de/Starkoechin-uebers-Verhaeltnis-zum-Essen/!114044/

  • Auf der einen Seite werden den Kindern von Jägern und Naturschützern und Anglern der freie Zugang zu Wäldern und Flüssen kategorisch verwehrt. Das war zu meiner Kindheit nicht so.

     

    Auf der anderen Seite hinterlassen die Jugendlichen an den wenigen noch zugänglichen freien Picknik, Aussichts und Badestellen verheerende Müllhalden aus Plastikmüll, Einweggrills und zerschlagenen Glasflaschen.

     

    Ich bin wegen dieser Situation ratlos und sehr traurig.

    • D
      Desillusionist
      @Waage69:

      Für Jäger und Angler mag das beschriebene Verhalten zutreffen, sofern es sich nicht um privaten Grund und Boden handelt, muß man sich das aber nicht gefallen lassen. Bei Naturschützern sehe ich das etwas anders. Es gibt Situationen, da müssen die Menschen leider konsequent ferngehalten werden, z.B. brütender Schwarzstorch oder andere Vögel, die sehr empfindlich auf Störungen während der Brut reagieren. Was Naturschützer aber häufiger anmahnen, ist ein naturverträgliches Verhalten im Freien. Dazu gehört auch, Waldwegen zu folgen, nicht überall mit dem Mountainbike unterwegs sein zu wollen und sich leise zu verhalten. Daß wem sich nicht benehmen kann der Zutritt verwehrt werden kann, halte ich für legitim und praktiziere es für meine Wohnung schliesslich genauso.

    • @Waage69:

      Doch, das war früher auch schon so, wir haben uns nur nicht drum gekümmert.

      Mit den Jugendlichen, die alles zumüllen, hast Du zwar Recht, da ist es aber eh schon zu spät. Interesse für die Natur weckst Du nicht bei 16-jährigen. Wenn ein 6-jähriger jedoch "angefixt" wird, wird er als 16-jähriger vermutlich auch zurückhaltender beim Müllmachen sein.

      • @Yves Yaltenbrucker:

        Es dürfte in erster Linie an Vorbildern mangeln.

         

        Blöde Emotionen über Blümelein und Getrei sind sicher auch eher befremdlich; selbst Kinder merken schnell wenn diese verarscht werden.

         

        Einfach mitnehmen und so sachlich erklären wie möglich, habe auf diesme Weg die beste Resonnanz bei Kindern und Jugendlichen bekommen.

         

        Glück auf!

         

        Karl

  • U
    Umwelter

    Eine Antwort könnte das Umweltzentrum Licherode sein. Nachahmenswert!

  • H
    Harald

    Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.