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Intendantin haftet für ihre Millionenausgaben

Das Urteil im Streit mit der ehemaligen RBB-Intendantin Patricia Schlesinger ist ein überfälliger Schritt und hat Auswirkungen auf den gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ab sofort gilt das Haftungsprinzip

Herrscherin in Haftung genommen: Patricia Schlesinger Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa/picture alliance

Von Steffen Grimberg

Das Urteil des Berliner Landgerichts im Streit der ehemaligen RBB-Intendantin Patricia Schlesinger und ihres früheren Senders wirkt auf den ersten Blick wenig spektakulär.

Schlesinger hat Anspruch auf Zahlung des vertraglich mit ihr vereinbarten Ruhe­geldes nach ihrem Rausschmiss als Intendantin. Der RBB kann dafür Schadensersatz geltend machen, unter anderem wegen falsch abgerechneter Reisekosten und Dienstwagennutzung. Da Schlesinger erst mal als Testballon nur auf die Nachzahlung eines Monats geklagt hatte, geht es auf beiden Seiten um nicht besonders hohe fünfstellige Beträge. So what?

Jede Menge. Denn das Urteil eröffnet dem RBB den Weg, noch ganz andere Summen von seiner ehemaligen obersten Chefin zu verlangen. Indirekt bestätigt der Richterspruch – dessen genaue Begründung allerdings noch nicht öffentlich vorliegt – ein bislang im öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch nie gesehenes Haftungsprinzip. Ein*e In­ten­dan­t*in ist die oberste Herr­sche­r*in ihres Senders. Auf die so ehrgeizige wie macht- und durchsetzungsbewusste Patricia Schlesinger traf diese Bezeichnung noch in besonderem Maße zu. Doch dass eine Herr­sche­r*in auch wirklich haftet, ist neu.

Das unter Schlesinger zwar nicht eingeführte, aber weiter ausgebaute System von Bonuszahlungen an die RBB-Geschäftsleitung und eine freihändig von ihr eingeführte ARD-Zulage sieht das Gericht als unzulässig an. Der Spaß hat den RBB nach eigenen Angaben zusammen rund 1,8 Millionen Euro gekostet – und nach dem am Mittwoch ergangenen sogenannten Grundurteil hat der Sender hier Anspruch auf Schadensersatz. Die genaue Höhe steht noch nicht fest, doch eigentlich ist sie wurscht. Denn das Entscheidende ist, dass das Gericht klar feststellt, dass Schlesinger haftet – und zwar für den gesamten Schaden.

Diese Feststellung dürfte noch immens wichtig werden, weil das dickste Brett beim Kampf ums große Geld beim RBB noch aussteht. Hier geht es darum, wer für die Millionen Euro beim Desaster um das einst so stolz geplante digitale Medienhaus gerade­stehen muss. Allein die Planungsphase, aus der das Projekt nie herauskam, schlug mit 18 Millionen Euro zu Buche, die abgeschrieben werden mussten. Auf mindestens 13,6 Millionen Euro beziffert der RBB die konkrete Schadenssumme für sich als Sender. Und die hätte er nun gern von Schlesinger wieder.

Weil dieser Aspekt jetzt vom laufenden Verfahren abgetrennt wurde, muss ein neues her. Doch auch in diesem wird der Spruch des Landgerichts eine entscheidende Rolle spielen. Denn er fängt eine im öffentlich-rechtlichen System bisher bestehende Lücke ein, die nach dem RBB-Skandal bereits die Berliner wie die Brandenburger Landespolitik zu Recht massiv kritisiert hatte. Weil Schlesinger als oberste Instanz des RBB zwar Spielregeln für andere erlassen konnte, für sie als Intendantin aber offiziell keine konkreten Compliance-Regeln galten, schien sie trotz erwiesener Verantwortlichkeit davonzukommen.

Egal wie die weiteren Verfahren beim RBB jetzt weitergehen, ist das ein Gewinn. Und dann sind da ja noch die Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft Berlin. Sie ermittelt weiterhin gegen Schlesinger, ihren Ehemann und den ehemaligen RBB-Verwaltungsratsvorsitzenden Wolf-Dieter Wolf, der Verdacht lautet auf Vetternwirtschaft und Vorteilsnahme. Sollten sie auch strafrechtlich belangt werden, wird es vermutlich richtig teuer.

Egal wie die weiteren Verfahren beim RBB jetzt weitergehen, ist das ein Gewinn

Denn dann haftet auch nicht mehr die Directors and Officers Liability Insurance, mit der beim RBB – wie bei vielen anderen Unternehmen – die oberste Geschäftsführungsebene gegen Managementfehler abgesichert ist.

Das Urteil wird Auswirkungen für den gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben. Künftig wird gehaftet. Und das macht nicht nur Sinn, sondern ist überfällig. Schließlich geht es um das Geld der Beitragszahler*innen, die sich – übrigens ebenfalls zu Recht – nicht aussuchen können, ob sie für die solidarisch finanzierten öffentlich-rechtlichen Medien bezahlen wollen oder nicht.

Damit schafft das Urteil vom Mittwoch in einem übergeordneten Sinne schlicht Beitrags­gerechtigkeit.

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