Intelligente Stromnetze in Norwegen: Das Smart Grid als Schnüffelnetz
Die staatliche Netzagentur Norwegens will Daten von Stromnutzern speichern um Smart Grids effizienter zu machen. Doch Datenschützer haben Bedenken.
STOCKHOLM taz | Smart Grids, intelligente Stromnetze, gelten als Voraussetzung für eine effektive Nutzung regenerativer Energiequellen – und damit als unerlässlich für die „grüne Wende“. Doch wie „intelligent“ dürfen die Netze sein, damit sie nicht die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen über Gebühr verletzen? Diese Frage wird gerade in Norwegen diskutiert, wo die staatliche Netzgesellschaft Statnett eine gigantische nationale Datenbank schaffen will, in der die Stromverbrauchsdaten des einzelnen Abnehmers gespeichert werden sollen – jahrelang, im Viertelstundentakt.
Die „smarten“ Stromzähler, die den Verbrauch jedes Haushalts laufend messen und die Daten per Mobilfunk an die Netzgesellschaften übertragen, sind schon da – in spätestens vier Jahren soll sie jeder norwegische Haushalt haben. Doch wie lassen sie sich optimal nutzen? Wenn alle messbaren Daten in einer gemeinsamen Datenbank landen und die verschiedenen Stromproduzenten und -händler darauf Zugriff bekommen, meint Statnett.
Diese könnten dann mithilfe der Daten beispielsweise anhand langjähriger detaillierter Verbrauchsmuster die Stromproduktion vorausschauend planen und so Investitionen in den Netzausbau optimieren. Aber auch den „effektiven“ Stromkunden mit Zugriff auf ausgefeilte Steuerungssysteme – wie die Fernsteuerung von Geräten – schaffen.
Doch Datenschützer protestieren. Was genau soll gespeichert werden? Nach den jetzigen Vorschriften dürfen die Stromgesellschaften Daten mit stundengenauem Verbrauch bis zu 15 Monate speichern, kürzere Zeiträume nicht. Monatliche und jährliche Daten dürfen bis zu drei Jahren gespeichert werden. Nicht lange genug, meinen die Smart-Grid-Planer, dann würden sich die Milliardeninvestitionen nicht rechnen.
Weder reiche das als Grundlage zu Analysen für einen optimalen Netzbetrieb, noch bekomme der Kunde dann die Daten, um seinen Stromverbrauch effektiver gestalten zu können. Für aussagekräftige Konsummuster müssten die Daten mindestens zehn Jahre gelagert werden, meint der Branchenverband Energi Norge.
Nicht nur eine Frage der Weitergabe
„Nicht mehr Daten als unbedingt notwendig“, meint dagegen Atle Årnes von der Datenschutzbehörde Datatilsynet. Aus detaillierten Daten lasse sich nämlich ablesen, wann wer schläft, den Fernseher anstellt – oder überhaupt zu Hause ist. Informationen, auf die nicht nur Kriminelle scharf sein könnten, sondern auch Versicherer, Polizei oder Finanzamt. Nicht nur die Frage der Weitergabe an Dritte müsste lückenlos geregelt werden, Stromkunden müssten auch die Möglichkeit haben, sich gegen jede Datenspeicherung zu wehren, soweit diese nicht für Abrechnungszwecke nötig sei.
Ein freiwilliges System und eine vollständige Kontrolle des Einzelnen über seine Stromverbrauchsdaten sei das Ziel, meint die staatliche Energiebehörde NVE. Beschränkungen, mit denen sich die Strombranche womöglich etwas schwer tun werde, glaubt NVE-Abteilungsleiter Thor Erik Grammeltvedt: „Man ist es dort nicht gewohnt, die Kunden für so etwas erst um Erlaubnis zu fragen.“ Gäbe es allerdings zu viel Datenverweigerer, dürfte das auf die Intelligenz der Smart Grids negative Auswirkungen haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe