Integrationsdebatte in der Schule: "Migrantenlehrer bestehen auf Deutsch"

Viola Georgi hat Lehrer mit Zuwanderungsgeschichte befragt. Ihre Rolle schwankt zwischen Erlöser und Mädchen für alles. Doch viele wollen nicht mehr nur die Migranten-Feuerwehr spielen.

Viele Lehrer mit Zuwanderungsgeschichte sehen sich als Brückenbauer. Bild: dpa

taz: Frau Georgi, nur etwa 1 bis 2 Prozent der deutschen Lehrer haben einen Migrationshintergrund. Ist der Beruf bei Einwanderern unbeliebt?

Viola B. Georgi: Wir haben in unserer Studie 260 Lehrer mit Migrationshintergrund befragt. Ihre Biografien zeigen eine starke Erfolgsorientierung und große Unterstützung auf dem Bildungsweg. In manchen Interviews wurde deutlich, dass die Eltern fast ein bisschen enttäuscht waren, wenn Kinder sich für den Lehrberuf statt für eine Arzt- oder Juristenkarriere entschieden.

Man kann also vermuten, dass dieser Beruf wenig Prestige genießt. Obendrein bindet er stark an dieses Land. Das bedeutet für Menschen mit transnationalen Biografien eine Festlegung, die nicht ihrem Lebensentwurf entspricht.

Werden also die im Sinne des öffentlichen Diskurses gut Integrierten Lehrer?

Ein Hinweis darauf ist, dass viele Deutsch unterrichten. Dazu konnten wir ein gewisses Sicherheitsdenken in Hinsicht auf die Kontinuität, die der Beruf bietet, feststellen. Das kennt man aber aus der Motivationsforschung bei Lehrern, das ist kein besonderes Merkmal der Migranten.

Viola B. Georgi, 43, ist seit 2006 Juniorprofessorin für Interkulturelle Erziehungswissenschaft an der Freien Universität Berlin. Ihre von der gemeinnützigen Hertie Stiftung und der Zeit Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius geförderte Studie "Vielfalt im Lehrerzimmer. Selbstverständnis und schulische Integration von Lehrenden mit Migrationshintergrund in Deutschland" erscheint im Frühjahr im Waxmann Verlag.

Den Film zu sehen, sollte zur Pflicht erhoben werden. Vor allem Thilo Sarrazin müsste einen Blick auf "Mehr Bildungschancen: Die Eltern und Mütterkurse der Berliner Volkshochschulen" werfen. Dabei geht es nicht darum, dass der Autor Paul Schwarz ein cineastisches Meisterwerk gedreht hätte. Schwarz lässt jene sprechen, um die es geht: Die Türkin, die seit 22 Jahren radebrecht, den Libanesen, der schon im dritten Jahr passabel Deutsch spricht, und die Angolanerin, die sagt: "Die deutsche Sprache ist sehr wichtig für mich, denn ich habe Kinder." Schwarz Film zeigt die Blockaden und den wahnsinnigen Ehrgeiz der Zugewanderten.

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Er führt vor, wie sich mangelnder Bildungsehrgeiz und abweisende Institutionen gegenseitig blockieren. Zu verstehen, dass man zugewanderten Müttern den Sprachkurs am besten in der Schule oder der Kita ihrer Kinder anbietet, ist kein Hexenwerk. Fast alle geben an, dass das für Migranten ein besonderer Anreiz ist ("Ich lerne mit meinem Kind") und ihnen einfachen Zugang bietet. Wieso gibt es das dann nicht schon seit 40 Jahren? Paul Schwarz ist Pädagoge, er hat 110 Filme zum Thema Bildung und Erziehung gemacht. Im Oktober erscheint von ihm: "Fremd und doch vertraut. Wie Integration gelingt".

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"Mehr Bildungschancen". Paul Schwarz. Langfassung und eine Kurzfassung mit türkischen Untertiteln. Vetrieb VHS Berlin-Mitte (0 30) 90 18-3 74 74

Sie plädieren für mehr Lehrkräfte mit Migrationshintergrund. Sind sie bessere Lehrer?

Darum geht es auch nicht. Es geht um die Frage der Repräsentation von Minderheiten: Die Vielfalt der Einwanderungsgesellschaft auch im Klassenzimmer abzubilden. Zudem verändern Lehrkräfte mit Migrationshintergrund das Bild, das die Mehrheitsgesellschaft von Minderheiten hat. Sie sind Erfolgsträger und wichtige Rollenvorbilder. Wegen ihrer Mehrsprachigkeit und ihres Aufwachsens in mehrkulturellen Lebenszusammenhängen können sie auch besser auf Schüler aus Einwandererfamilien eingehen.

Bestätigt Ihre Studie das?

Viele Befragten sehen sich in dieser Rolle der Brückenbauer und tragen sie selbst aktiv in die Schule hinein, indem sie sich etwa anbieten für Übersetzerdienste oder Elterngespräche. Es kommt vor, dass ihnen die Rolle zugeteilt wird, sie gezielt für solche Dienste angefragt werden.

Werden die nicht verheizt?

Die Gefahr besteht. Daher kann es auch sein, dass migrantische Lehrkräfte das irgendwann ablehnen, nicht immer Feuerwehr für bestimmte Fragen und Probleme sein wollen. Das ist ambivalent: Mit dieser besonderen Funktion ist ja Anerkennung und Wertschätzung in den Schulen, im Kollegium verbunden. Gleichzeitig stellt sie die Lehrkräfte aber unter einen Erwartungsdruck, der sie oft an ihre Grenzen bringt, weil ihnen Aufgaben zufallen, die sie überfordern. Sie sind ja nicht Psychologen oder Sozialarbeiter.

Auch die Haltung der Schulen ist ambivalent: Viele wollen zwar mehrsprachiges Lehrpersonal - andererseits wird der Gebrauch der Herkunftssprachen durch die Schüler sogar verboten. Was sollen solche Schulen mit Lehrkräften, die diese Sprachen sprechen?

Da hat unsere Studie uns überrascht: Wir haben festgestellt, dass viele Lehrer mit Migrationshintergrund diesen monolingualen Habitus der Schulen mittragen. Sie verweisen Schüler mit gleichsprachigem Hintergrund, die sie im Unterricht in der gemeinsamen Sprache ansprechen, auf Deutsch als Unterrichtssprache. Das schließt aber nicht aus, dass in der Pause oder beim Elterngespräch die gemeinsame Sprache doch benutzt wird und benutzt werden darf. Auch das stellt Nähe her.

Die Lehrkräfte sind also an den Schulen erwünscht?

Über 70 Prozent der Befragten sagen, dass sie sich in ihren Kollegien anerkannt fühlen. Aber ebenfalls fast 70 Prozent wünschen sich mehr interkulturelle Kompetenz im Kollegium. Es gab erstaunlich viele Berichte von Diskriminierung, die im Lehrerzimmer passiert. Dabei geht es um die gesamte Palette von Zuschreibungen entlang der Kultur bis hin zu Streitigkeiten über den Umgang mit Mehrsprachigkeit.

Ein Lehrer schwarzer Hautfarbe muss plötzlich immer die Afrikathemen machen. An einer Schule, wo es mehrere Kollegen türkischer Herkunft gibt, setzt ein Lehrer eine Petition in Gang, dass im Lehrerzimmer nur Deutsch gesprochen werden darf.

Sind die Lehrkräfte vorbereitet auf das, was an den Schulen auf sie zukommt?

Viele sind überrascht, welche Wirkung ihr ethnischer Hintergrund hat. Oft ist es so: Schüler derselben Herkunft bauen ein besonderes Vertrauensverhältnis auf. Schüler mit anderem Hintergrund sind deswegen teilweise sauer. Und deutsche Eltern schauen LehrerInnen nicht deutscher Herkunft oft besonders streng auf die Finger. Der ethnische Hintergrund hat also positive Wirkungen, kann aber auch zu Konflikten führen. Das ist ein unglaublicher Balanceakt - den sie leisten müssen, ob sie wollen oder nicht.

Was brauchen die zugewanderten Lehrer, um das leisten zu können?

Unsere Studie zeigt, dass Lehrkräfte mit Migrationshintergrund einen sehr bewussten Umgang mit kultureller und religiöser Heterogenität haben. Sie sind deshalb ein wichtiger Bestandteil demokratischer, interkultureller Schulentwicklung auch beim Umgang mit Rassismus an Schulen. Sie können diese Erwartung aber nur bedienen, wenn man sie in dieser Rolle professionalisiert.

Auch sie brauchen in der Aus- und Weiterbildung Möglichkeiten, sich mit interkultureller Pädagogik zu beschäftigen. Damit sich aber unsere Einwanderungsgesellschaft irgendwann tatsächlich auch im Bildungsbereich widerspiegelt, brauchen wir ein Leitbild an Schulen, das Vielfalt als Bereicherung auffasst und auch lebt. Wir müssen uns die Lehrpläne ansehen: Was ist im Literatur-, im Geschichts-, im Musikunterricht an interkultureller Bildung möglich? Das wird uns nur mit dem Einsatz von Lehrkräften mit Migrationshintergrund nicht gelingen: Da muss das ganze Lehrerzimmer mitmachen.

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