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Integration von Ukrai­ne­r*in­nenSprache zuerst wirkt

Deutschland liegt bei der Arbeitsintegration von Ukrai­ne­r*in­nen im Mittelfeld. Langfristig sind die Perspektiven besser.

Der aus der Ukraine stammenden Andrey Babemko im Hermes Logistikzentrum in Ketzin Foto: Michael Bahlo/dpa

Berlin taz | Anfang des Jahres hatten hierzulande 27 Prozent der erwerbsfähigen geflüchteten Ukrai­ne­r*in­nen einen Job. Damit liegt die Beschäftigungsquote in Deutschland im Vergleich mit 26 europäischen Ländern im Mittelfeld. Das zeigt eine neue Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), die am Mittwoch veröffentlicht wurde. Untersucht wurde, welchen Einfluss verschiedene demografische, institutionelle und wirtschaftliche Faktoren auf die Beschäftigungsquote haben.

Insgesamt zeigten sich laut Studie erhebliche Differenzen zwischen den untersuchten Ländern. Die höchste Beschäftigungsquote hatte im ersten Quartal 2024 Litauen mit 57 Prozent, gefolgt von Dänemark (53 Prozent) sowie Polen (48 Prozent). Schlusslicht im Vergleich waren Länder wie Finnland, Norwegen, Rumänien und Spanien. Dort lagen die Beschäftigungsquoten unter 20 Prozent.

Diese beobachteten Differenzen sind laut Studie auf unterschiedliche Faktoren zurückzuführen. Insgesamt zeigten Länder, die eine hohe Nachfrage im Niedriglohnsektor haben, höhere Beschäftigungsquoten. „Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass diese Jobs an geringere sprachliche und andere Voraussetzungen gebunden sind und sie schneller besetzt werden können“, erklärte dazu IAB-Bereichsleiterin Yuliya Kosyakova.

Zudem sei die Integration in den Arbeitsmarkt dort schwieriger, wo die Arbeitslosigkeit in der Gesamtbevölkerung höher ist. Weitere erschwerende Faktoren sind laut Studie stärkere Regulierungen bei der Jobaufnahme von Ukrai­ne­r*in­nen – dazu zählt auch ein stärkerer Kündigungsschutz. Flexiblere Arbeitsmärkte erleichterten hingegen den Zugang für Zuwandernde, da dies Risiken und Kosten für Unternehmen bei der Einstellung verringere.

Kürzungen haben negative Effekte

Anders als es die überhitzten Diskussionen um den Bürgergeldbezug von Ukrai­ne­r*in­nen vermuten lassen, hatten soziale Transferleistungen laut Studie „nur einen kleinen und statistisch nicht signifikanten Einfluss“ auf die Beschäftigungsquote.

Interessant ist dabei auch: In der Studie wird auf eine frühere Analyse aus Dänemark verwiesen, in der die 50-prozentige Kürzung von Sozialleistungen für Geflüchtete im Jahr 2002 untersucht wurde. Das Ergebnis sei: Kurzfristig hätten wie von der Reform beabsichtigt mehr geflüchtete Männern eine Arbeit aufgenommen – die Beschäftigungsquote sei von 10 auf 19 Prozent gestiegen.

Nach fünf Jahren sei dieser Effekt aber nicht mehr vorhanden gewesen. Bei Frauen wurde kein signifikanter Beschäftigungseffekt nachgewiesen.

Insgesamt kam es aber zu erheblichen negativen Effekten: So wurde durch die Reform das Gesamteinkommensniveau dauerhaft um 40 Prozent gesenkt. Zudem wurden durch diese Kürzungspolitik negative Effekte auf Bildungsbiographien von geflüchteten Kindern beobachtet sowie ein Anstieg der Kriminalität.

Keine Kita, kein Job

Andere Faktoren seien viel entscheidender: Insbesondere die Frage der Betreuung ist laut Studie relevant, da die meisten Geflüchteten aus der Ukraine weiblich sind. Diejenigen, die Kinder haben, müssen nach der Flucht häufig alleinerziehend zurechtkommen.

Wenig überraschend ist: Je besser die Infrastruktur der Kinderbetreuung, desto höher die Wahrscheinlichkeit der Arbeitsaufnahme. In Ländern mit einer besser ausgebauten Kinderbetreuungsinfrastruktur, wie etwa Dänemark oder die Niederlande, seien demnach die Beschäftigungsquoten höher.

Ähnliches sei auch beim Zugang zur Gesundheitsversorgung anzunehmen, auch wenn es bislang kaum Untersuchungen speziell zur Gesundheitsversorgung von geflüchteten Ukrai­ne­r*in­nen gäbe. Aus früheren Studien sei gut dokumentiert, dass Kriegserfahrung „mit speziellen Gesundheitsrisiken“ einhergehe und eine gute gesundheitliche Versorgung eine Grundvoraussetzung für eine „aktive Teilnahme am Arbeitsmarkt“ sei. Daneben spielten auch Netzwerke in den Aufnahmeländern sowie eine gute Willkommenskultur eine Rolle.

Job first oder Sprache first?

Entscheidend seien natürlich auch Sprachkenntnisse. Es sei nicht nur relevant, wie Regierungen den Spracherwerb der Landessprache fördern, sondern auch wie verbreitet Englisch in den jeweiligen Aufnahmeländern ist. Ausgeprägte Englischkenntnisse in der Gesamtbevölkerung beeinflussten die Beschäftigungsquoten positiv, „wahrscheinlich weil sie die Kommunikation und damit auch die Integration in den Arbeitsmarkt erleichtern“, sagte IAB-Forscherin Kseniia Gatskova.

Um die Integrationspolitik verschiedener Länder zu vergleichen, gibt es den Migrant Integration Policy Index. Dieser umfasst neben Arbeitsmarktpolitik, unter anderem die Möglichkeit des Familiennachzugs, Zugang zu Sprach-, Bildungs- und Gesundheitsleistungen oder politischer Teilhabe.

Dadurch könne man Länder unterscheiden, die eher einen umfassenden Integrationsansatz verfolgen, der auf Gleichberechtigung abziele oder solchen, die Migrationspolitik ohne Integration anstreben. Bei der Arbeitsmarktintegration gäbe es demnach Länder die eine „Sprache-zuerst-Strategie“ verfolgten oder eine „Job-zuerst-Philosophie“.

Sprachkurse lohnen sich

Laut Studie seien Sprachkurse „ökonomisch als Investition“ zu betrachten, auch wenn sie die Beschäftigungsquote kurzfristig senkten. Mittel- und langfristig zeigten aber verschiedene Studien, dass mit einem umfassenden Integrationsansatz nicht nur höhere Beschäftigungsquoten erreicht werden können, sondern auch höhere Gehälter, da die Chancen stiegen, eine Arbeit zu finden, die dem Qualifikationsniveau entspricht.

IAB-Forscherin Theresa Koch sagt: „Für Deutschland zeigen die Erfahrungen mit den zwischen 2013 und 2019 Geflüchteten, dass diese Investitionen in Bildung mittel- und langfristig die Beschäftigungswahrscheinlichkeit und die Nachhaltigkeit der Arbeitsmarktintegration erhöhen.“

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1 Kommentar

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  • Danke für diesen interessanten Artikel!



    Letztlich ist der Zwischenbericht für Deutschland ein gutes Ergebnis. Nachhaltigkeit erscheint mir in vielen Zusammenhängen eine sinnvolle Strategie.



    Wer schon einmal mit Sprachproblemen zusammen arbeiten musste, weiss, dass das auf Dauer ziemlich anstrengend ist, da sich der Focus vom Lösen des Arbeitsproblems auf das Lösen des Kommunikationsproblems verlagert.



    Das Kommunikationsproblem kann zu Gefährdungen, z.B. auf Baustellen führen, zu nerviger Nacharbeit durch besser Qualifizierte oder schlichte Unzufriedenheit ( z.B. unleserliche Paketabgabe Zettel beim Phantasienachbarn).



    All diese Punkte sorgen nicht für Integration.



    Erst die Sprache eröffnet Möglichkeiten.



    Was im Artikel leider nicht zur Sprache kommt, ist die Anzahl der Geflüchteten, die integriert werden wollen.



    So stehen die im viel gelobten Dänemark 30.000 Schutzsuchende 1,1Mio. Schutzsuchenden in Deutschland gegenüber. Es dürfte klar sein, dass ein größeres Problem auch mehr Zeit zur Lösung erfordert.