Integration in Griechenland: Auch Nazim geht jetzt zur Schule
Tausende Flüchtlinge stecken in Griechenland fest. Die Kinder müssen nun dort in die Schule. Doch manche Eltern haben Bedenken.
Denn in diesem Jahr werden zahlreiche Flüchtlingskinder in griechische Schulen integriert. Bereits 30 Anmeldungen habe es hier auf der Grundschule gegeben, sagt sie, greift zum Telefon und wählt die unter dem Zettelhaufen gefundene Nummer. 155 Kinder besuchen die Schule derzeit. Ein kurzer Anruf, dann berichtet sie weiter. Die 30 Kinder, die dazukämen, seien zwischen 7 und 12 Jahren alt und kämen hauptsächlich aus Afghanistan und Syrien.
Etwa 40 Prozent der über 60.000 Flüchtlinge und Migranten, die in Griechenland festsitzen, sind Kinder. Die meisten von ihnen mussten infolge der Flucht und ihres Aufenthalts in Flüchtlingslagern durchschnittlich eineinhalb Jahre ohne Schulausbildung verbringen, meldet die Hilfsorganisation Save the Children. Nun hat die griechische Regierung ab diesem Schuljahr Spezialklassen angeordnet.
Insgesamt werden nach und nach etwa 2.000 Flüchtlingskinder und schätzungsweise 22.000 Migrantenkinder auf griechische Schulen verteilt. Zunächst sollen die Kinder von den griechischen SchülerInnen getrennt in Sonderklassen unterrichtet werden. 800 LehrerInnen sind dafür von der Regierung eingestellt worden, die hauptsächlich Sprachunterricht in Griechisch und Englisch geben sollen. Noch sind diese Klassen nicht gestartet. Bis dahin nehmen die Kinder am normalen Unterricht teil.
Warum Griechisch lernen, wenn man eh weiter will?
„So weit es geht“, meint die Direktorin. „Die Sprachbarriere ist ein großes Problem“, seufzt sie. Außerdem sei es für viele Familien, deren Kinder auf griechische Schulen gehen sollen, nicht sicher, dass sie in Griechenland bleiben werden. Sie haben zwar vorläufig Asyl in Griechenland erhalten.
Doch die meisten wollen immer noch weiter nach Nordeuropa, zu Verwandten oder weil sie hoffen, dort leichter Arbeit zu finden. „Das bekommen die Kinder in den Familien mit“, sagt die Direktorin. Unter diesen Voraussetzungen Griechisch zu lernen, sei demotivierend. „Durch die insgesamt instabile Lage ist es für die Kinder schwierig, sich auf den Unterricht einzulassen“, so die Pädagogin.
Die angelehnte Tür zum Lehrerzimmer wird von einer kleinen Hand vorsichtig einen Spalt weiter aufgestoßen. Die Direktorin schaut lächelnd zur Tür und winkt den zarten Jungen in rotem T-Shirt herein. Sein Vater kommt hinter der nun offenen Tür zum Vorschein. „Ich werde hier zur Schule gehen“, verkündet der 8-jährige Nazim auf Englisch. Man habe ihm in der letzten Woche bereits einen Zettel gegeben, aber er wisse nicht, wo er hingehen müsse. Sein Vater steht stumm hinter dem Kind, denn er spricht kein Englisch.
Nazim ist in Afghanistan über ein Jahr auf eine englische Schule gegangen. Der Junge übersetzt für seinen Vater. Sie kämen aus der Stadt Masar-i-Scharif, seien von Chios nach Athen gekommen und jetzt seit fünf Monaten in Griechenland. Der Vater habe hier ganz in der Nähe eine Wohnung angemietet. „Gleich da drüben!“ Nazim zeigt stolz aus dem Fenster über die Straße. Die ganze Familie – er, die Eltern, seine beiden Schwestern und sein jüngerer Bruder – haben einen vorläufigen Asylbescheid erhalten.
Die Kinder sollen zur Schule gehen
Die Direktorin sieht sich das Blatt an, das ihr der Vater nun entgegenhält. „Sie müssen Ihre Kinder noch auf ihre Gesundheit untersuchen und impfen lassen“, erklärt sie ihm. Nazim übersetzt. „Bevor die Kinder den Unterricht besuchen dürfen, müssen alle Untersuchungen von den Ärzten hier eingetragen werden.“ Die Direktorin zeigt auf unterschiedliche freie Linien auf dem Blatt. Ein Kollege kommt hinzu und schreibt dem Jungen in großen Lettern die Adresse auf, wo sich der Arzt befindet.
Wieder wird die Tür vorsichtig geöffnet. Nazim lächelt. Seine 20-jährige Schwester Flora, sein 7-jähriger Bruder Samir und seine 13-jährige Schwester Asina betreten das Lehrerzimmer. Die beiden jüngeren Geschwister wollen sich auch zum Unterricht anmelden. Flora hat in Afghanistan bereits begonnen. Medizin zu studieren. „Für mich wird es hier schwer, wieder Fuß zu fassen“, sagt sie. Sie glaube nicht, dass sie hier in Griechenland ihr Studium fortsetzen könne. Vielleicht irgendwann in einem Land, in dem das Studium in englischer Sprache möglich sei.
Doch ihre jüngeren Geschwister müssten jetzt die Chance ergreifen und unbedingt endlich wieder zur Schule, sagt Flora bestimmt. Ihr Vater sei in Afghanistan ein erfolgreicher Geschäftsmann gewesen, pendelte zwischen Masar-i-Scharif und Dubai hin und her, erzählt sie leise weiter. Er geriet in den Fokus der Taliban. „Wir waren drei Schwestern“, sagt Flora, lächelt, scheint kurz in sich versunken. Eine Schwester sei von den Taliban getötet worden. Deshalb habe die Familie beschlossen, das Land zu verlassen.
Eltern protestierten gegen Flüchtlingskinder
Der Vater nimmt die Adresse und das Blatt für die Untersuchungen an sich, verabschiedet sich höflich mit seiner Familie aus dem Lehrerzimmer. Eine der Lehrerinnen hat in der Zwischenzeit einen Satz Kopien auf ihren Tisch gestapelt: obligatorische Griechischtests für den ausländischen Neuzugang. Jedem hier ist klar, dass keines der Kinder mit den paar aufgeschnappten Worten Griechisch dem Unterricht folgen kann. Der Test erfolgt zur offiziellen Einstufung der Kinder in die Spezialklassen, die bald starten sollen.
Ob es hier schon einmal Proteste von griechischen Eltern wegen der Flüchtlingskinder gab? „Zum Glück nicht“, sagt die Direktorin. Ja, sie habe von den Protesten des Elternverbandes in Oräokastro, nördlich von Thessaloniki, gehört. Dort haben sich griechische Eltern zusammengetan und sich in einem offiziellen Schreiben gegen die Aufnahme von Flüchtlingskindern an der 5. Grundschule der Gemeinde Oräokastro ausgesprochen.
Sie wollten das Gebäude besetzen, sollten die Kinder dort unterrichtet werden. Das „stehe im Gegensatz zum sonst solidarischen und verständnisvollen Verhalten der Mehrheit der Griechen“, sagte der griechische Bildungsminister Nikos Filis in einem Radiointerview.
Die Angst, in Griechenland zu stranden
„Ein trauriges Verhalten der Eltern“, sagt auch die Direktorin kopfschüttelnd. Dann widmet sie sich weiteren Stapeln mit abzuarbeitenden Papieren. Die Schulglocke ertönt. Zahlreiche Kinder strömen aus den Klassenräumen auf den Schulhof zur zweiten großen Pause.
Zwei Häuserblöcke von der Schule entfernt befindet sich ein leerstehendes ehemaliges Schulgebäude, welches zum Flüchtlingslager umfunktioniert wurde. Vor dem großen Haupteingang steht eine Frau mit ihren beiden Kindern, etwa sechs und sieben Jahre alt. Sie lebe seit gut einem halben Jahr in Griechenland und komme aus dem Irak, erzählt sie. Ja, sie habe vorläufige Asylpapiere.
Ihre Kinder wolle sie trotzdem nicht zur Schule schicken – sie sollten gar nicht erst anfangen, Griechisch zu lernen. Viele der Flüchtlinge wollten das nicht. „Wir haben Angst, dass wir länger hierbleiben müssen und gar nicht mehr aus Griechenland herauskommen“, sagt die Frau, nimmt ihre Kinder an die Hand und verschwindet hinter den hohen Türen des großen Gebäudes.
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