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Inszenierte Melancholie

Paradoxes Phänomen: Der Berliner Pop-Melodramatiker Maximilian Hecker spielt heute Abend im Schlachthof  ■ Von Nicole Paul

Hieße es nicht schon Infinite Love Songs, sein Album könnte Die Leiden des jungen Heckers heißen. Das Debut von Maximilian Hecker vereinigt zwölf bis zur Schmerzgrenze kitschig-schöne Pop-Melodramen, die das immer gleiche Thema variieren. Eine melancholische Grundstimmung wird zelebriert und ist gleichzeitig Mittel extremer Stilisierung, denn wie Maximilian Hecker selber sagt, ist er in Wirklichkeit gar nicht immer so traurig, wie seine Lieder klingen. Von der Medienwelt wurden die Infinite Love Songs wohlwollend bis euphorisch aufgenommen, ihr Erschaffer bereits als die neue deutsche Pophoffnung gehandelt. Was auch daran liegen mag, dass der junge Mann eine so interessante Projektionsfläche abgibt.

Zum einen ist da die Geschichte seiner noch kurzen Karriere, eine Art moderne Legendenbildung. Sie beginnt mit einem wild entschlossenen 21-Jährigen, der nach Berlin zieht, dort eine Ausbildung zum Krankenpfleger beginnt, eigentlich aber Popstar werden will. Alle notwendigen Instrumente hat er in früher Jugend auf der Musikschule erlernt oder sich selbst beigebracht. Songmaterial ist vorhanden – nur entdeckt werden muss er noch. Dazu stellt er sich in jeder freien Stunde an den Hackeschen Markt und singt als Straßenmusiker Lieder von Oasis bis Beck. Tatsächlich wird er eines Tages von NDW-Größe Inga Humpe und später von Almut Klotz (Ex-Lassie Singers, Britta) angesprochen. Es folgt ein Intermezzo in der Band Maxi unter Menschen, in der der Namensgeber neben Almut Klotz und Jim Avignon (Neoangin) aber nur eine Nebenrolle spielt. Seine eigenen Songs brennt er derweil auf CD und verschenkt sie – unter anderem an Patrick Wagner vom Berliner Label Kitty-Yo. Dieser nimmt den jungen Mann schließlich unter Vertrag.

Eine Projektionsfläche bietet Maximilian Hecker aber auch denen, die seine Konzerte besuchen. Da singt ein schmächtiger, blasser junger Mann von seinem Unglück in dieser Welt. Das ist zum Steinerweichen, das beflügelt die Phantasie. Einerseits. Andererseits ist das ganze oft dermaßen übertrieben und so voller Referenzen, dass man geneigt ist, es für eine ziemlich intelligente Inszenierung zu halten.

Bei aller bürgerlich-westdeutschen Sozialisation – aufgewachsen zwischen Osnabrück und Bielefeld, Blockflötenunterricht, Schülerband und Akademiker-Eltern, die „das mit der Musik ganz toll“ finden – macht Hecker ziemlich internationale Songs. Die träumerischen Klaviermelodien erinnern an französischen Kitschpop, er selbst gibt die Beatles, Radiohead, Grandaddy und a-ha als Inspirationsquellen an. Mit der Singer-Songwriter-Ecke möchte er nicht in Verbindung gebracht werden, die ist ihm zu „angestrengt-politisch. Eigentlich singe ich meistens nur von mir selbst, oder von plakativ-romantischen Begriffen“, sagt er. Tatsächlich ist das wohl sein ureigenstes Thema: die Selbstbespiegelung, das Selbstmitleid, das Schwanken zwischen Größenwahn und Zweifel. Ein egomanischer Trip, zu dem die derzeitige Mammut-Solotour durch mehrere europäische Länder das ihre beitragen wird.

Maximilian Hecker ist ein ambivalentes Phänomen. Abgeklärtheit und Arroganz wechseln in atemberaubender Geschwindigkeit mit jungenhafter Unsicherheit. Und vielleicht ist ja gerade dieser Wechsel Programm. „Ich genieße es, wenn ich Mitleid erwecke“, erklärt er freimütig. Und will den Eindruck vom unschuldigen Jungen kontrastieren mit Großspurigem: „Meine Zielgruppe sind zehn Jahre ältere, gutaussehende Frauen, bei denen ich direkt in die berüchtigte Grauzone zwischen Muttergefühlen und tumber Geilheit treffe“, wie es im selbst geschriebenen Info zu Infinite Love Songs heißt. Solch vollmundige Sprüche sollten dabei jedoch nicht von einem Konzertbesuch abhalten – denn die Musik von Maximilian Hecker, dem Songwriter, der keiner sein will, ist wirklich schön.

heute, 18 Uhr, Michelle Records; 21 Uhr, Schlachthof

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