Innovationen beim Essen: Mit Essen die Welt verändern
Die Start-up-Kultur hat die Küchen erreicht, zusammen mit der Digitalisierung stellt sie die Essensbranche auf den Kopf.
Die Telekommunikation, der Handel und die Medien stecken alle mitten in der digitalen Revolution. Wird sie auch die Produktion von Lebensmitteln und die Art, wie wir essen, auf den Kopf stellen?
Ein guter Ort, um dieser Frage nachzugehen, ist das Haus Nummer 630 an der Flushing Avenue in Brooklyn, New York. Es ist ein etwas in die Jahre gekommenes Fabrikgebäude. Unter dem Kalk sieht man noch die alten Backsteinziegel, breite Fenster sind von vielen Sprossen durchzogen. Seit 1946 wurden hier Pillen gedreht und Pülverchen abgefüllt, deshalb heißt das Gebäude noch immer Pfizer Building, obwohl der Pharmariese es schon vor Jahren verkauft hat.
Er hinterließ zimmergroße Kühlschränke, Rührgeräte, groß wie Betonmixer, und weiß geflieste Böden und Wände. Genau die richtige Umgebung, um Essen zu produzieren. 2012 wurde das Pfizer Building wiedereröffnet, als Inkubator für Food-Start-ups, als Experimentierort für junge Menschen, die irgendwas mit Essen machen wollen.
Food-Start-ups boomen gerade
Läuft man durch die weiten Gänge, heißt es immer wieder: ausweichen. Zwei Bäcker mit Schläfenlocken und Kippa schieben einen Konvoi aus Regalwagen vor sich her. Auf den Backblechen dampfen Bagels. Um die Ecke steht ein Koch vor offenen Styroporkisten und begutachtet Fische, die darin auf zerstoßenem Eis liegen. Immer wenn sich irgendwo eine Flügeltür öffnet, weht ein anderer Geruch in den Gang.
Das Start-up Plantable bietet hier an, den kompletten Speiseplan seiner Kunden zu übernehmen, mit persönlicher Ernährungsberatung, ganz vegetarisch. Bei CookUnity dagegen kann man seinen persönlichen Koch buchen. Bestellt wird er natürlich per App.
Im Erdgeschoss ist alles da, damit Imbissbetreiber für einen Tag die Ecke einer Vorbereitungsküche mieten können, um zum Beispiel Pulled Pork für mehrere Tage vorzubereiten. Und Catering-Unternehmen buchen riesige Flächen, wenn sie abends in einem nahegelegenen Park Tausende Menschen bewirten. Zwischen den vielen Start-ups haben aber auch klassische Firmen wie eine jüdische Bäckerei oder eine Eiscreme-Manufaktur ihre Produktionsstätten.
Das Projekt Inkubator ist in Brooklyn aufgegangen. Food-Start-ups boomen. Weltweit wurden 2018 6 Milliarden Dollar in diesen Bereich investiert. In den vergangenen Monaten hat dabei vor allem ein Name die Aufmerksamkeit auf sich gezogen und die Fantasie der Investoren beflügelt: Beyond Meat.
„Beyond Meat“ als Vorbild
Das Unternehmen aus Kalifornien ist Anfang Mai an die Börse gegangen und wurde zu einem Liebling der Wall Street. Der Aktienwert verneunfachte sich zwischenzeitlich, es ist der erfolgreichste Börsengang der vergangenen 19 Jahre. Beyond Meat macht vegane Burger-Pattys. Der Firmengründer wird schon als der Mann gefeiert, der das Fleisch neu erfunden hat.
Ethan Brown, heute 48, ist an der US-Westküste und teils auf einem Bauernhof aufgewachsen. Sein Vater ist Professor für Philosophie mit Schwerpunkt Umweltschutz und Klimawandel, Mitglied im Club of Rome und zudem ambitionierter Hobbyfarmer. An den Wochenenden ging es deswegen aufs Land. Später studierte Brown Politik, war kurze Zeit für die OSZE in Bosnien und wechselte dann in den Bereich erneuerbare Energien, bis er realisierte, dass „Viehhaltung größere Auswirkungen auf das Klima hat als viele Dinge, an denen ich arbeitete“.
Eve Turow-Paul, Beraterin von Food-Start-ups
Er glaubt nicht, dass der Kampf gegen den Klimawandel mit Gesetzen zu gewinnen sei, vor allem nicht beim Fleisch, das in der Esskultur der USA sehr tief verwurzelt ist. 2009 machte er sich deshalb daran, Fleisch neu zu erfinden – mit Beyond Meat.
Brown ist inzwischen das Role Model einer ganzen Gründergeneration, die beim Essen auf all die Innovationen zurückgreift, die die Digitalisierung und der Techbereich hervorgebracht haben: Blockchain, Big Data, Robotic und künstliche Intelligenz. Das beginnt mit Drohnen, die Äcker überwachen und Roboter steuern, die Unkraut jäten. Das geht weiter mit Feldern, die nicht mehr auf dem Land liegen, sondern auf Fabrikdächern bestellt werden, weil das Gemüse so frischer beim Kunden ist und es auch noch das Stadtklima verbessert.
Mit der Blockchain-Technologie bekommt jedes Produkt einen individuellen Code verpasst. Damit ist es möglich, die Zutat von Anfang bis Ende zu begleiten, sodass der Kunde am Ende weiß, auf welchem Fleckchen Erde sein Salat gewachsen ist. Oder wie das Rind hieß und wie es gehalten wurde, aus dessen Fleisch sein Schnitzel stammt.
Ein neues „Ökosystem“?
Die meisten in der Gründerszene sind überzeugt, dass das nicht nur zu einer neuen Nahrungsmittelwirtschaft führen wird. Sie sprechen von einem neuen „Ökosystem“. Auch weil sie sich kein Essen mehr vorstellen wollen, das nicht gut und sauber ist. Und nicht fair, nachhaltig und klimafreundlich hergestellt wurde.
Wie aber sieht diese Zukunft genau aus?
Das ist momentan die Viele-Millionen-Dollar-Frage. Sicher gibt es noch Haushalte, in denen eine Mutter sechs Tage der Woche in der Küche steht, die Familie am Freitagabend essen geht und der Samstagvormittag für den Großeinkauf im Supermarkt reserviert ist. Das ist das Bild, das über Jahrzehnte die Routine westlicher Kleinfamilien beherrschte. Aber es ist in Auflösung. Und damit alles, was daran hängt – bis zum letzten Ackerwinkel.
Wird irgendwann eine künstliche Intelligenz uns den Geschmack entreißen? Weil das Programm anhand von Alter, Geschlecht und bisheriger Vorlieben schneller weiß als wir selbst, was wir abends am liebsten essen würden, und diese Information an andere Programme weitergibt – und die anhand von Prognosen fahrerlosen Saatmaschinen schon ein Jahr vorher vorgeben, was auf den Feldern wachsen soll? Sieht man sich die Monopolisierung der digitalen Welt durch Google, Facebook und Amazon an, fürchten das einige.
Aldi schwächelt
Im Lebensmittelbereich sieht es aber gerade nicht danach aus, dass die Großen noch mehr Macht anhäufen. Im Gegenteil. Man muss sich dafür nur die Supermärkte ansehen, zum Beispiel Aldi, der Discounter, der über Jahrzehnte billigst aus Paletten verkauft hat und dessen Sortiment nie größer als 500 Produkte war. Das passt nicht mehr zu einer Welt, in der sich Ernährungsstile diversifizieren und jährlich 10.000 Produkte neu auf den Markt kommen.
Der Discounter versucht sich gerade neu zu erfinden, Milliarden werden investiert. Die Geschäfte werden aufgehübscht, es gibt eine Bio-Offensive, sogar ein veganer Burger ist ab dieser Woche im Sortiment. Aber bisher bringt das kaum mehr Umsatz. Nur außerhalb Deutschlands läuft das Geschäft noch besser, etwa in den USA.
Doch auch dort ist die Zukunft ungewiss, der Einzelhandel steckt in den USA noch stärker in der Klemme. Er wird von zwei Seiten angegriffen, den Discountern aus Europa und den Lieferdiensten, allen voran Amazon mit seinem Angebot Amazon Fresh. Angefangen hat diese Entwicklung mit dem Verfall der großen alten Lebensmittelmarken. Jahrzehntelang waren Campbell, Hershey oder Pepsi aus den Supermarktregalen nicht wegzudenken. Zwischen 2011 und 2016 gingen ihre Marktanteile aber spürbar zurück, das erste Mal seit über 50 Jahren. Es ist ein Hinweis darauf: Das gute alte Markenprodukt ist auch ein Relikt aus alten Ernährungstagen.
Die „Generation Yum“
Jemand, der gut erklären kann, was sich beim Essen zurzeit grundlegend verschiebt, ist Eve Turow-Paul. Sie sitzt in einem kleinen Nachbarschaftscafé in Brooklyn, im Hinterzimmer rührt die Trommel einer Kaffeeröstmaschine. Die 32-Jährige ist die Erfinderin der „Generation Yum“. So heißt das Buch, das sie 2015 herausbrachte: „A Taste of the Generation Yum.“ Neugierig, warum um sie herum alle mit dem Smartphone Essen fotografierten, führte sie Interviews und sammelte Studien zu dem Thema.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Sie beschrieb für die USA erstmals, welch hohen Stellenwert Essen für die Millennials hat, die zwischen 1982 und 2002 Geborenen. 80 Millionen gibt es davon in den USA, ungefähr die Hälfte davon bezeichnet sich als „Foodies“.
Nicht nur sie, auch die andere Hälfte, sagt Turow-Paul, interessiert sich mehr fürs Kochen, für Zutaten und Essengehen als alle Generationen vor ihnen. Und das gilt nicht nur für die USA, auch Zahlen aus Westeuropa legen das nahe.
Ernährung sei in der Generation Y ein fester Teil der Identität geworden, mehr als Musik oder Autos, schrieb Turow-Paul. Das seien Statussymbole der Vergangenheit. Und mit dem Fokus auf den Teller steigt das politische Bewusstsein für das, was darauf liegt. „Die Klimakrise hat das noch einmal entscheidend verstärkt“, sagt sie. Seit ihr Buch herausgekommen ist, wird Turow-Paul ständig gebucht. Sie spricht auf Trendkonferenzen, wird in Vorstandsetagen eingeladen, berät Start-ups und ist Dozentin für Food Business.
Keine Marken mehr
In der Ernährungsbranche sei nicht nur einiges in Auflösung, sagt sie, sondern immer mehr teilten dort auch die Werte, für die Supermärkte stehen, die in den USA gerade sehr im Kommen sind: Wenn man Trader Joe’s oder Whole Foods besucht, riesige Hallen auf zwei Etagen, dann spielen Marken hier gar keine Rolle mehr. „Antibiotica-free“ steht stattdessen groß über den Kühlregalen mit dem abgepackten Fleisch, oder „Non-GMO“, also gentechnikfrei, in der Gemüseabteilung. Auch noch beim letzten Bund Grünkohl kann man nachlesen, woher er stammt. Wenn er von einem regionalen Erzeuger kommt, ist das dick unterstrichen.
Bei dem Gemüse findet man auch Kräuterpackungen mit einem QR-Code auf der Rückseite, der einen, hält man sein Smartphone dagegen, wieder zum Pfizer Building zurückführt. Denn der Code öffnet eine Website, die detailliert die Geschichte der Minze erzählt, die man in der Hand hält. Dass Jaque sie in die Erde gesetzt hat, Elias sie pikiert und wiederum Jaque sie abgeschnitten hat. Sogar wie die Minze in den Supermarkt kam, nämlich mit dem Lastenfahrrad, kann man nachlesen. Ziemlich viel Information für so wenig Gemüse.
Und doch stecken noch viel mehr Geschichten in den zehn Stängeln Minze. Diese erzählt Christa Montano, während wir im strömenden Regen auf dem Parkplatz vor dem Pfizer Building zwischen Foodtrucks und Lastenfahrrädern herumlaufen. Hier stehen drei weiße Schiffscontainer. Und die sind eine Farm des Start-ups Square Roots. Durch die Fenster winken die GärtnerInnen.
Das Konzept des Unternehmens ist hyperlokales Gemüse. Vor allem die Wege zum Verbraucher sollen kurz gehalten werden, um die Ressourcen zu schonen. Deshalb hat die Firma die Pflanzen in die Container gepackt, sie können überall aufgestellt werden: auf Hausdächern, Brachflächen, notfalls sogar in Tiefgaragen. „Wir haben die idealen Bedingungen für das Wachstum der Pflanzen recherchiert, vom Anteil des CO2 in der Luft, den Feuchtigkeitsgrad und den Lichteinfall. Diese Bedingungen stellen wir im Inneren her“, sagt Montana. Außerdem benutzt Square Roots die Technik des Vertical Farming, die Minze wächst in Beeten, die vom Boden zur Decke führen, so dringt das Wasser effektiver durch die Erde und kann leichter aufgefangen werden, wenn es ungenutzt bleibt.
„Jungen Leuten neue Wege aufzeigen“
Der Gründer von Square Roots ist Kimbal Musk, der jüngere Bruder von Tesla-Chef Elon Musk. Der 46-Jährige hat schon einiges im Ernährungsbereich aufgezogen. „The Kitchen“ etwa, eine Gruppe von Nachbarschaftsrestaurants, die Zutaten nur von Kleinbauern bezieht. Mit BigGreen baut er Schulgärten für Ernährungsbildung auf. Auch Square Roots ist eigentlich ein edukatives Projekt. Das Unternehmen will urbane Bauern ausbilden.
„Der US-Farmer ist im Schnitt 58 Jahre alt“, schreibt Square Roots auf seiner Website. „Wenn wir die Ernährung verändern wollen, müssen wir jungen Leute neue Wege aufzeigen, erfolgreich in der Landwirtschaft Karriere zu machen.“ Die Idee dabei: Prinzipiell kann jeder Städter mit einem Square-Roots-Container zum Nebenerwerbsbauern werden. Bisher stehen die Container nur auf dem Parkplatz des Pfizer Building, aber Square Roots hat im Frühjahr eine Partnerschaft mit einer Einzelhandelskette geschlossen.
Auch wenn in den Containern nur Minze und Basilikum wächst, verfolgt Square Roots einen Ansatz, der typisch ist für viele Gründer im Foodbereich. Big Food wird kleiner, Small Food wird größer – das ist die Perspektive, aus der viele in der Szene ihren Zukunftsoptimismus beziehen.
Es gibt kaum einen, der die Zahlen nicht kennt: Bis 2050 wächst die Menschheit voraussichtlich auf fast 10 Milliarden. Um alle satt zu machen, sagen die Vereinten Nationen, muss sich die Lebensmittelproduktion bis dahin verdoppeln und die Ernährungsweise ändern, wenn das Klima nicht kollabieren soll. Noch weitere Industrialisierung, noch größere Äcker, noch mehr Tiere in Massenställen? Ein Horrorszenario.
„Essen kann die Welt retten“
„Essen kann die Welt retten“, fasst Eve Turow-Paul zusammen, was viele in der Food-Start-up-Szene antreibt. Sie setzen auf die Disruptivität der neuen Techniken, der neuen Arbeitszusammenhänge und der neuen Konsumgewohnheiten.
1,45 Milliarden Dollar an Risikokapital flossen 2018 laut der Marktbeobachtungsplattform foodtechconnect in den USA in diese Gründerszene. Der größte Batzen, 114 Millionen, ging dabei an Impossible Foods, einen Konkurrenten von Beyond Meat, der in den USA ebenfalls vegane Burger-Pattys verkauft. Danielle Gould, die Gründerin der Plattform, sagt, es gebe einen klaren Trend, Projekte zu finanzieren, die Einfluss auf den Klimawandel haben.
Das Haus 148 Lafayette Street liegt mitten in SoHo. Auf drei Etagen gibt es hier Coworking-Räume. Tritt man aus dem Lift, erwartet man, auf einen Empfang zu treffen, auf arbeitsame Stille, aber nicht auf Cocktails, Schnittchen, Chili sin carne und lautes Stimmengewirr. Es ist eine interne Feier, der Anlass: die Gründung des WeWork Food Labs – ein Labor für Food-Start-ups. Eines von ihnen ist SillyChilly Hotsauce. Am Buffet steht Sufia Hossain mit drei Flaschen ihrer Pfeffersauce. Rundlich, die Haare platinblond gefärbt, ein strahlendes Lächeln.
Sie hat erst vor Kurzem ihren Schreibtisch bezogen und freut sich, dass es eine Gelegenheit gibt, andere Menschen kennenzulernen, die hier arbeiten. Sie stammt aus Bangladesch, hat lange in der Modebranche gearbeitet und nie daran gedacht, selbst eine Firma zu gründen. „Mit der Zeit hat es mich aber dann gestört, dass das, was ich mache, so wenig Wirkung hat.“
Experimente mit Pfeffersaucen
Gekocht hat sie schon immer gern, und Pfeffersaucen sind ihr Ding. „Ich habe mich auf den Bauernmärkten hier in der Umgebung so in die Paprikas und Chilis verliebt. Irgendwann hatte ich zu viele in der Küche und musste damit was machen.“ Die erste Hotsauce war ein Experiment.
Hussain erzählt so euphorisch von ihrem Unternehmen, dass man ihr zutraut, dass sie die Saucen noch immer in ihrer Küche abfüllt. Bis sie erzählt, dass sie 40.000 Flaschen gelagert hat, inzwischen in 50 Läden in New York verkauft und gerade dabei ist, eine vierte Sauce zu kreieren. Den Großteil ihrer Zutaten bezieht sie von der Studentenfarm einer Universität südlich von New York.
Menachem Katz beobachtet all die Leute, die auf der Feier das erste Mal zusammenkommen, mit einem kleinen Lächeln. Der Mann mit rasiertem Kopf hat etwas Gandhihaftes, sogar die Stimme erinnert an Ben Kingsley. Er ist der Chef des New Yorker Food Lab und erzählt, wie es zu der Idee kam.
WeWork, inzwischen größter Mieter von Büroflächen in New York, bietet nämlich nicht einfach nur Schreibtische und Büros an. Es geht um weit mehr Infrastruktur: Beratung, Trainings, Vernetzung, Know-how – vor allem für Menschen, deren Geschäftsidee noch nicht ganz ausgereift ist. Man ist hier nicht einfach Mieter, sondern Mitglied eines großen Netzwerkes, mit Zugang zu Krankenversicherung, Fitnessstudio, es gibt sogar eine Vorschule für die Kinder.
15 Millionen Tiere retten
2018 überprüfte sich das Unternehmen auf Nachhaltigkeit. „Seitdem gibt es in unseren Räumen kein Fleisch mehr“, sagt Katz. „Wir zahlen es unseren Mitarbeitern nicht mehr, und bieten es auch im Catering für die Mieter nicht mehr an.“
Das Vegetarismus-Gebot, habe die Chefetage ausgerechnet, würde bis 2023 etwa 15 Millionen Tieren das Leben retten. Die Firma organisiere über 1.000 Caterings pro Woche in ihren Räumen. Über die Beschäftigung mit dem Thema, sagt er, sei auch die Idee entstanden, ein spezielles Angebot für Start-ups im Ernährungsbereich zu entwickeln. Das Food Lab sei das erste branchenspezifische Angebot von WeWork.
Katz, 39 Jahre alt, ist selbst Koch. Er stammt aus Tel Aviv, in Israel hat er noch im Restaurant gearbeitet. In New York baute er einen Lieferdienst auf und verkaufte ihn, bevor er zu WeWork wechselte. „Die neuen Gründer“, sagt er, „wollen andere Werte in die Ernährungswelt bringen.“
Für das Food Lab, ein fünfmonatiges Programm, mussten sich Bewerber mit ihren Ideen vorstellen. 500 kamen zusammen, der Großteil mit Projekten zur Müllreduzierung, für umweltfreundliche Verpackungen und Proteinen auf Pflanzenbasis. Neue innovative Technologien in die Branche zu bringen sei das eine Ziel, sagt Katz. Ihn als Koch begeistere aber noch etwas anderes: „Nahrung wird Teil der Kreativindustrie.“
WeWork plant, auch in Europa und in Berlin ein Food Lab zu eröffnen. Die Firma wäre nicht die erste in ihrem Bereich, die in die deutsche Hauptstadt expandiert. Es gibt hier bereits den Food Tech Campus. Im Herbst will Kitchen Town, ein Inkubator aus dem Silicon Valley, hier eine Filiale eröffnen.
Und in Deutschland?
Berlin, Torstraße, dort, wo sich in der deutschen Hauptstadt die Kreativwirtschaft tummelt. Im Café Hermanns sitzen etwa 50 Leute um ein kleines Podium. „Hands up, please“, sagt Fabio Ziemßen. „Wer ist Gründer, wer Geldgeber?“ Es gibt hier nicht nur welche, die eine Geschäftsidee haben, sondern auch welche, die nach solchen Ideen Ausschau halten. In der nächsten Stunde werden sich drei Projekte vorstellen, danach können sich alle persönlich kennenlernen.
Schon seit etwa zwei Jahren lädt Fabio Ziemßen zu solchen Treffen, erzählt er nach der Veranstaltung. Der 34-Jährige ist Director Food Innovation beim Metro-Konzern und damit so etwas wie der Zukunftsbeauftragte des Einzelhändlers. Dazu gehört auch, einen Überblick über die Szene zu bekommen, gerade in Europa.
Hier sieht die Lage noch etwas anderes aus als in den USA. Laut einem großen Risikokapitalgeber wurde im vergangenen Jahr zwar schon 1 Milliarde Euro in Food-Start-ups investiert, aber relativ einseitig. Am leichtesten schafften es Lieferdienste, Geldgeber anzuwerben. Seit 2013 floss annähernd die Hälfte aller Investitionen in Lieferdienste wie Deliveroo, Hello Fresh oder Takeaway.com.
Die Start-up-Kultur sei in den USA einfach noch eine andere, sagt Ziemßen. Dort regiere stärker das Wizard-of-Oz-Prinzip. Eine Vision wird vorangestellt, dann gehandelt, Probleme möglichst selbst gelöst – es entstehe weniger Frust, wenn Politik, Wirtschaft oder Banken nicht die Risikobereitschaft zeigten, die man sich als Gründer wünsche.
Und was sind das für Menschen, die in Deutschland Food-Start-ups gründen? „Die meisten sind Millennials“, sagt Ziemßen. „Dabei gleichen sie in einem wesentlichen Punkt den restlichen Gründer-Generationen: Viele haben eine persönliche Leidenschaft – und sie wollen sich auch verwirklichen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel