Innensenator will mehr Flüchtlinge: Zu kleine Anfälle von Nächstenliebe
Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) will 70 unbegleitete minderjährige Geflüchtete aufnehmen. Das ist gut – aber nicht genug.
E ndlich mal eine gute Nachricht: Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) setzt sich aktiv für die Aufnahme von Flüchtlingen ein. Es sei ja schön und gut, dass Deutschland 50 Kinder aus griechischen Lagern aufnehme, schrieb er am Dienstag an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) – aber das „wird die Situation vor Ort kaum entspannen können.“ Daher erinnere er seinen Amtskollegen an das Berliner Angebot, 70 unbegleitete Kinder in die Hauptstadt zu holen.
Ein feiner Zug. Normalerweise sind Innensenatoren eher darauf gepolt, Flüchtlinge abzuschieben, als sie aufzunehmen. Schön, wenn es mal andersherum ist. Gleichzeitig fällt natürlich auf, dass auch die Aufnahme von 70 Kindern, die Berlin zusätzlich zu den 50 von Seehofer anbietet, auch nur sehr geringfügig etwas an der humanitären Katastrophe in griechischen Flüchtlingslagern ändern wird.
Wie kommen Politiker eigentlich immer auf diese lächerlichen Zahlen? In Berlin stehen – so sagte es kürzlich die zuständige Integrationssenatorin Elke Breitenbach – doch Hunderte Plätze in Flüchtlingsheimen leer, trotz Corona. Warum geht da nicht mehr?
Schon klar: Nicht mal ein rot-rot-grüner – also „linker“ – Senat kann sich einig werden, wie viele Flüchtlinge Berlin „verkraften“ kann. Bis zu 1.500, wie Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) kürzlich meinte? Oder ist das – angesichts von Corona – viel zu hoch gegriffen, wie Kultursenator Klaus Lederer (Linke) erwiderte? Bedenkt man dieses Geschacher, ist Geisels feste Zusage für 70 immerhin ein Anfang.
Aber auch sonst bleibt der Innensenator sehr – vielleicht zu – vorsichtig: Warum bittet er Seehofer um Erlaubnis für die Berliner Extra-Aktion? Inzwischen gibt es zwei juristische Gutachten, die besagen, die Länder könnten auch ohne Zustimmung des Bundes Flüchtlinge aus humanitären Gründen aufnehmen. Wenn diese Frage endlich – und sei es vor Gericht – geklärt würde, wäre viel gewonnen.
Schließlich gibt es viele Städte und Bundesländer, die sich zur weiteren Aufnahme Geflüchteter bereit erklärt haben. Wenn die nicht mehr auf Seehofers nächsten Anfall von Nächstenliebe warten müssten und einfach machen könnten, würde vielleicht doch eine erkleckliche Zahl von Aufnahmeplätzen zusammenkommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind