Innensenator will an Demo-Überwachung festhalten: Polizei soll Recht auf Film kriegen
Nachdem ein Gericht der Polizei verboten hat, friedliche Demos zu filmen, erwägt der Innensenator ein Gesetz. Bürgerrechtler: Filmen ist nur Machtdemonstration.
Innensenator Ehrhart Körting (SPD) erwägt, der Polizei das Filmen auf Demonstrationen zu Zwecken der Einsatzlenkung per Gesetz zu erlauben. Hintergrund ist die am Dienstag bekannt gewordene Entscheidung des Verwaltungsgerichts, die eine Videoüberwachung von friedlichen Demonstrationen untersagt (siehe Kasten). "Sollte die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes obergerichtlich bestätigt werden, ist nach Auffassung der Senatsverwaltung für Inneres der Gesetzgeber in Berlin gefordert", teilte die Senatsverwaltung am Mittwoch mit.
"Es ist in der Fraktion unstrittig, dass wir dieses Mittel brauchen, damit die Einsatzleitung die Versammlung gut koordinieren kann", sagt Thomas Kleineidam, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Die Auswirkungen der derzeitigen Praxis seien "unerheblich für die Demonstrationsfreiheit". Nur dann, wenn die Aufnahmen gespeichert würden, sei das problematisch.
Das Verwaltungsgericht sieht durch das polizeiliche Filmen auf friedlichen Demonstrationen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingeschränkt. Das gehe nur mit einer gesetzlichen Grundlage. Und die gibt es bislang nur da, wo die Polizei im Vorfeld der Demo eine "erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung" sieht.
Die Richter begründen: "Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung (…) behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte verzichten."
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Polizei wird voraussichtlich einen Antrag auf Zulassung der Berufung stellen.
Trotz Videoüberwachung sucht das Bündnis der Proteste gegen den Parteitag der Rechtspopulisten von "Pro Deutschland" Zeugen von Polizeigewalt. Betroffene oder Zeugen können sich unter prosolidaritaet@web.de melden. (taz)
Die anderen Fraktionen im Abgeordnetenhaus sehen das etwas differenzierter. Skeptisch äußert sich unter anderem der Koalitionspartner Linkspartei. "Das Versammlungsrecht macht es bereits jetzt möglich, bei Gefahr zu überwachen", sagt Wolfgang Albers aus dem Fraktionsvorstand. "Warum es darüber hinaus einer Überwachung bedarf, müsste Herr Körting sehr gut erklären." Grundsätzlich bezeichnete Albers die Entscheidung des Verwaltungsgerichts als "vernünftiges Urteil, das die Versammlungsfreiheit stärkt".
Auch Björn Jotzo, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion, findet, dass es auf den genauen Inhalt eines Gesetzes ankäme. "Wenn es nur darum geht, dass man anonymisierte Übersichtsaufnahmen anfertigt, könnte man darüber reden", sagt er. Gesichter oder Autokennzeichen müssten dann gepixelt werden. "Eine Dauerüberwachung von friedlichen Demonstranten werden wir nicht mittragen", stellt Jotzo klar.
Die Grünen sprechen sich komplett gegen eine stärkere Überwachung aus. Im Gegenteil: Bevor ein Gesetz in Erwägung gezogen werde, "sollte man zunächst die Videoüberwachung in Berlin insgesamt auf den Prüfstand stellen", sagt die Fraktionsvorsitzende Ramona Pop.
Unterstützung gibt es dagegen aus der CDU-Fraktion. Großdemonstration würden häufig Verkehrseinschränkungen verursachen, argumentiert Peter Trapp, Vorsitzender des Innenausschusses. Er würde daher ein Gesetz befürworten, das die Videoüberwachung zu Zwecken der Verkehrslenkung ermöglicht. Allerdings müsse das auf Großdemonstrationen beschränkt werden, und einzelne Beamte mit Kameras dürften nicht vom Rande oder aus der Demonstration heraus einzelne Teilnehmer filmen. Ein Heranzoomen auf einzelne Gesichter oder Autokennzeichen dürfe nicht möglich sein.
Der Bielefelder Bürgerrechtler und Datenschützer Padeluun erklärt dagegen, dass es bei der Einschränkung des Versammlungsrechts durch Videoüberwachung kaum einen Unterschied macht, ob gezoomt wird oder gepixelt, ob die Bilder gespeichert werden oder live ausgewertet. "Das Problem bei der Videoüberwachung sind nicht nur die Bilder, es ist der Machtakt." Bei den Gefilmten werde ein unangenehmes Gefühl der Beobachtung ausgelöst. Das sei bereits bei der Verwendung von Kameraattrappen der Fall.
Ähnlich sieht es die Rechtsanwältin Ulrike Donat, die die Kläger in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vertreten hat: "In dem Moment, wo die Kamera da ist, kann der Demonstrant nicht mehr nachvollziehen, was mit den Bildern passiert." Ihre Befürchtung: ein automatischer Bildabgleich, der zum Beispiel in der Vergangenheit auffällig gewordene Demonstranten aufspüren soll.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich