Innenministerkonferenz in Luxemburg: Aufnahme unter Vorbehalt
Die EU-Staaten ringen um Lösungen, um Geflüchtete in den Ländern aufzunehmen. Nun soll ein neuer Verteilungsmechanismus helfen.
Die Aufnahmeländer sind dann für das Asylverfahren zuständig. Deutschland hat zugesagt, ein Viertel dieser Menschen aufzunehmen, wenn genügend andere Staaten das auf sechs Monate befristete Modell mittragen. Nachdem Italien und danach Malta im vergangenen Jahr ihre Häfen für Flüchtlingsschiffe geschlossen hatten, mussten diese teils wochenlang auf eine Erlaubnis zum Anlegen warten. Jedes mal hatten zunächst einzelne Staaten Plätze zusagen müssen. Malta und Italien fürchteten – nicht zu unrecht – sich ansonsten allein um die Flüchtlinge kümmern zu müssen.
Dieses hochgradig ineffiziente Verfahren hatte zu dramatischen Situationen auf den Flüchtlingsschiffen geführt. Künftig soll die Weiterreise in den Aufnahmestaat innerhalb von vier Wochen garantiert sein. Menschen, die von staatlichen Schiffen gerettet werden, sollen direkt in dessen Staat gebracht werden.
Die Teilnahme an dem Modell ist ausdrücklich unter Vorbehalt – die Aufnahmestaaten können jederzeit aussteigen, wenn es ihnen zuviel wird. Er sei “nicht nur zufrieden, sondern auch glücklich“, hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer Ende September nach dem Treffen in Malta gesagt, wo das Modell mit Malta und Italien ausgehandelt worden war. Er hoffe auf insgesamt 12 bis 14 Länder, die mitmachen. Anschließend könnte der Mechanismus in Kraft treten. „Ich glaube, das war heute ein wichtiger Schritt der europäischen Zusammenarbeit in der Migrationsfrage.“
Auch die Minister Frankreichs, Italiens und Maltas zeigten sich nach den Verhandlungen erfreut. Der französische Innenminister Christophe Castaner sprach von einem „ausgeglichenen Abkommen“. Die Italienerin Luciana Lamorgese sagte: „Wir sind auf dem richtigen Fuß gestartet.“ Und Maltas Minister Michael Farrugia sagte: „Wir haben begonnen, Geschichte zu schreiben.“ Nun hänge es von der Unterstützung anderer Staaten ab.
Viel helfen wird die Regelung in dieser Form nicht
Am Dienstag sollen die teilnahmewilligen EU-Staaten angeben, welchen Anteil sie sich vorstellen können. Doch viel helfen, das ist bereits klar, wird die Regelung in dieser Form gegen die Dramen im Mittelmeer nicht. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte berichtet, dass rund ein Fünftel der etwa 8.000 in diesem Jahr in Italien angekommenen Flüchtlinge gar nicht aus Seenot gerettet worden waren, sondern es aus eigener Kraft bis nach Italien geschafft hatten.
Italien ist mit dem geplanten Mechanismus also nur sehr bedingt geholfen – und trotzdem hat sich das Land als Zeichen guten Willens bereit erklärt, jeden zehnten der Schiffbrüchigen ein Asylverfahren in Italien zu gewähren. Griechenland mit bislang rund 46.000 Ankünften in diesem Jahr, Spanien mit 23.000, und Zypern mit 800 werden hingehen überhaupt nicht berücksichtigt. Sie müssen sich um alle Ankommenden auch künftig weitgehend alleine kümmern.
Nur Malta, wo bisher 1.600 Menschen an Land gingen, kann darauf hoffen, alle abgenommen zu bekommen. Zudem bleibt die Rettung auch weiterhin den privaten NGOs überlassen – eine staatliche Mission dazu ist nicht geplant. Die Diskussion für den Mechanismus war auch deshalb lange blockiert gewesen, weil unklar war, welche Schiffbrüchigen davon profitieren sollen. Einige Länder hatten Bereitschaft signalisiert, sie zunächst unabhängig von der Aussicht auf Asyl einreisen zu lassen.
Insgesamt kamen 2019 laut UNHCR bislang 78.826 Geflüchtete über das Mittelmeer nach Europa. 64.598 davon erreichten über den Seeweg Italien, Malta, Griechenland, Zypern oder Spanien.
Die Mehrheit gelangte über die Türkei nach Griechenland: 45.597.
Nach Italien kamen seit Januar 7.872 Menschen.
Aus Seenot gerettet wurden laut Bundesinnenministerium seit Juli 2018 insgesamt 2.199 Menschen.
Ertrunken oder verschollen im Mittelmeer sind laut UNHCR 2019 rund 1.041 Geflüchtete.
Im Vorjahr kamen über das Mittelmeer 141.472 Flüchtlinge. (dir)
Andere wollten nur solche ins Land lassen, die aus Konfliktregionen stammen und eine Perspektive auf Schutz haben. Von einer solchen Klausel ist im Entwurf für den Verteilmechanismus keine Rede mehr. Die EU ist dennoch erleichtert über den Vorstoß. Flüchtlingskomissar Dimitris Avramopoulos sagte, Lösungen von Fall zu Fall seien für die Rettung von Migranten auf See „nicht nachhaltig“. Nun gebe es Fortschritte bei dem Verteilungsthema.
Für das Treffen der EU-Innenminister sei er zuversichtlich. „Weil ich das Gefühl habe, dass der Schwung da ist: Immer mehr Mitgliedstaaten erkennen, dass es berechenbare, befristete Regelungen für die Aufnahme von Bootsflüchtlingen nach der Ausschiffung geben muss.“ Avramopoulos bestritt, dass eine Aufnahmegarantie Anziehungskraft für weitere Migranten entwickeln könne. Die Arbeit an Regelungen für die Ausschiffung dürfe nicht isoliert von allen anderen Bemühungen gesehen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag