Inklusion in Hamburg: CDU will inklusive Leuchttürme
Geht es nach der CDU, sollen förderbedürftige Kinder nur noch auf „Leuchtturmschulen“ gehen. Grüne und GEW fordern bessere Ausstattung für alle.
Einen „Neustart mit Augenmaß“ bei der Inklusion behinderter Kinder an den Schulen schlägt die Hamburger CDU vor. Recht kommen dürfte das ausgerechnet dem SPD-Senat: Der hatte sich zuletzt häufig anhören müssen, er stelle zur Bewältigung der selbst gesetzten Ziele zu wenig Lehrer bereit.
In der Konsequenz bedeutet der CDU-Vorschlag eine Einschränkung von Paragraf 12 des Schulgesetzes. Dieser räumt behinderten Kindern das Recht ein, eine allgemeine Schule zu besuchen. So kann ein Fünftklässler mit Förderbedarf in den Bereichen Lernen, Sprache, emotionale Entwicklung (LSE) zurzeit jede Stadtteilschule besuchen. Dafür erhalten diese Schulen eine pauschale „systemische“ Ressource: ein Kontingent an Förderstunden.
In der Anmelderunde fürs neue Schuljahr sind etwa doppelt so viele LSE-Kinder angemeldet worden wie die in Rabes Konzept vorgesehenen acht Prozent (siehe Kasten). Die CDU schlägt nun vor, die Inklusion zunächst auf einige „Leuchtturmschulen“ zu begrenzen, um die anderen Schulen zu entlasten. Zudem soll geprüft werden, ob Kinder mit besonderem Bedarf auch gegen den Willen ihrer Eltern „extern beschult“ werden können.
Förderbedarf im Bereich Lernen, Sprache, Emotionale Entwicklung (LSE) hatten bei der Anmelderunde für das Schuljahr 2014/15 für die 5. Klassen der Stadtteilschulen 887 von 5.701 Kindern. Das sind 15,6 Prozent. Einzelne Stadtteilschulen melden aber sogar bis zu 58 Prozent.
Ein neues Diagnoseverfahren mit transparenten Kriterien will jetzt die Schulbehörde einführen. Senator Ties Rabe (SPD) geht davon aus, dass zwei Drittel der jetzt gemeldeten Schüler früher nicht als förderbedürftig eingestuft worden wären. Prüfen sollen das die Erziehungswissenschaftler Karl-Dieter Schuck und Wulf Rauer. Auch sie raten davon ab, die LSE-Zahlen überzubewerten.
„Es geht uns nicht darum, die Inklusion in Frage zu stellen“, erklärt Karin Prien, Fachsprecherin Schule der CDU-Fraktion. Bei den anderen Fraktionen sorgt der Vorstoß dennoch für Empörung. Die Christdemokraten setzten auf „Ausgrenzung“, kritisiert etwa der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Lars Holster. „Wie soll man das den Kindern mit Behinderung erklären, die bereits an Regelschulen sind?“ Konzentriere man die LSE-Kinder an wenigen Lernorten, entstünden dort faktisch neue Förderschulen.
„Die CDU vollzieht eine rolle rückwärts“, sagt auch Stefanie von Berg (Die Grünen). Sie fürchtet eine Zergliederung des Schulsystems – sagt allerdings auch, dass das in Hamburg bestehende Ressourcenmodell nicht reiche. Das Nachbarland Niedersachsen, hat sie ausgerechnet, statte seine Schulen deutlich besser aus. Daher fordert von Berg einen Inklusionsfonds von 15 Millionen, Euro um akut unterversorgten Schulen zu helfen.
„Man muss davon weg, dass eine so große Reform nichts kosten darf“, sagt die Hamburger GEW-Vorsitzende Anja Bensinger-Stolze. Dass sich die Zahl der zu fördernden Kinder gegenüber früher so stark erhöhte, sei kein Wunder. Sie selbst habe als Lehrerin erlebt, dass Eltern eine Diagnostik des Kindes ablehnten – weil sie die Abschulung auf die Sonderschule fürchten. Seit dem Recht auf Inklusion sei Förderbedarf für die Betroffenen nicht mehr „per se etwas Schlimmes“.
Hamburg sei mit seinen Integrationsklassen 30 Jahre lang „Vorreiter“ gewesen, ergänzt der Gewerkschafter Stefan Romey. Nötig sei nun Doppelbesetzung und der Einsatz von qualifizierten Sonderpädagogen bei Planung und Durchführung des Unterrichts. Die GEW hat errechnet, dass dafür rund 550 Stellen nötig sind, die etwa 30 Millionen Euro kosten. Nicht unmäßig viel Geld, so Romey: „Die Wiedereinführung des neunjährigen Abiturs würde sicher mehr kosten“.
Martin Eckert vom Elternverein „Leben mit Behinderung“ warnt davor, die Erfolge der Inklusion kaputt zu reden. Es entstünde der Eindruck, behinderte Kinder seien „ressourcenfressende kleine Ungeheuer“. Ausgeblendet werde, dass es Schulen gibt, die guten integrierten Unterricht machen.
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