Initiative gegen Hasskommentare: Zivilcourage statt Zensur auf Facebook
Facebook, Think Tanks und eine Stiftung starten eine Initiative gegen Hassrede im Internet. Es geht um starke Gegenrede statt bloßen Löschens.

Europäische NGOs, die sich schon jetzt gegen Hassrede und Extremismus im Internet engagieren, sollen mit einer Million Euro finanziell und bei Marketing-Aktivitäten unterstützt werden. Außerdem will die Initiative wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiet stärken und neue Instrumente sowie Lösungsansätze entwickeln.
„Facebook ist kein Ort für Hass und Intoleranz“, sagte Facebook-Managerin Sheryl Sandberg gestern in Berlin, wo sie die europaweite Initiative vorstellte. Mit im Boot sind die Londoner Think Tanks, “International Centre for the Study of Radicalisation and Political Violence“ (ICSR) und “Institute for Strategic Dialogue“ (ISD) sowie die Amadeu Antonio Stiftung, die sich gegen Rechtsextremismus und Rassismus einsetzt.
Takedown, sprich das Löschen von Hasskommentaren, „ist nur ein Bestandteil der Strategie, nicht die Lösung“, sagt Peter Neumann, Leiter des ICSR. Denn im schlimmsten Fall verhilft es den Usern sogar zu mehr Ansehen, erklärt Sasha Havlicek, Geschäftsführerin des ISD. Durch die Zensur würden sie sozusagen zu „Online-Märtyrern“ und noch mehr von ihren Anhängern gehuldigt. Nur zusammen mit systematischer Auswertung und vor allem aktivem Dagegenhalten können Takedowns funktionieren, sind sich alle einig. Noch sei man „Lichtjahre von friedfertiger Kommunikation entfernt“, sagt Anetta Kahane, Vorstandsvorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung.
Zusammenarbeit ja, von Facebook „alles gut finden“ nein
Bisher ist wenig an der Initiative konkret, doch immerhin gebe es nun einen großflächigen Ansatz beim „Kampf der Ideen“, wie Havlicek, die Gegenrede bei Hasskommentaren nennt. Auch Neumann, der sich seit Langem mit Onlineradikalisierung beschäftigt, erklärt: „Wir haben genau eine solche Initiative gefordert.“
Die Zusammenarbeit mit Facebook heiße jedoch beileibe nicht, dass die Organisationen „alles gut finden, was Facebook macht“, betont Neumann. Facebook lege jetzt vor, „aber unser Ziel ist es, dass sich auch andere Partner anschließen.“
Warum die Initiative gerade in Deutschland startet, liege daran, dass die 27 Millionen „Nutzer in Deutschland sehr aktiv“ seien, erklärt Sandberg. Doch Hassrede im Netz sei beileibe kein deutsches Problem. Die vorerst auf Europa konzentrierte Initiative werde sich daher hoffentlich auch weltweit bewähren.
Und das nicht nur virtuell. Grundsätzlich müsse es nämlich darum gehen, dass „aus Online-Hass keine Offline-Gewalt“ werde, betont Neumann. Sandberg malt derweil amerikanisch-pathetische Bilder von Toleranz, Liebe und Weltfrieden. So romantisch das klingen mag, so brisant ist das Problem, dem sich Facebook nun mit einer Million Euro stellt.
Facebook investiert zunächst nur eine Million in die Initiative
Eine verschwindend geringe Summe für den Internetriesen. Allein im dritten Quartal 2015 hat Facebook 717 Mal so viel für Investitionen ausgegeben. Auch Sandberg räumt ein, die Million solle nur der Startschuss sein. „Wir müssen irgendwo anfangen und würden es sehr begrüßen, wenn andere mitziehen.“
Während die „Initiative für Zivilcourage Online“ also noch konkrete Formen annehmen muss, ist Facebook neben Twitter und Google bereits Teil einer Mitte September von Justizminister Heiko Maas gegründeten „Taskforce“, um gegen rassistische und fremdenfeindliche Kommentare vorzugehen. Facebook hat sich verpflichtet, Hasskommentare innerhalb von 24 Stunden zu prüfen und möglicherweise zu löschen, wenn sie deutschem Recht widersprechen. Ende vergangener Woche teilte der Internetriese mit, dass die Bertelsmann-Tochter Arvato dies von Deutschland aus übernimmt.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links