Initiative für Inklusion in Sachsen: Das Volk will’s inklusiv
Das Bündnis „Gemeinschaftsschule in Sachsen“ hat 50.000 Unterstützer*innen. Dennoch stehen die Chancen für ein längeres gemeinsames Lernen nicht gut.
Gereicht hätten auch 40.000, um das Thema längeres gemeinsames Lernen auch im Freistaat auf die politische Tagesordnung zu setzen. Nun ist es da – und mit ihm wird derzeit ordentlich Wahlkampf betrieben. Bislang sind Gemeinschaftsschulen in Sachsen nicht zugelassen. Und zwar selbst dann nicht, wenn sich Eltern, SchülerInnen und LehrerInnen das wünschen.
Naumann und seine MitstreiterInnen wollen den Schulen die Möglichkeit geben, selbst zu wählen, ob sie SchülerInnen verschiedener Niveaus auch über Klasse vier hinaus unter einem Dach unterrichten wollen – oder eben nicht. Unterstützt dabei werden sie unter anderen von SPD, Grünen und Linkspartei, Verdi und der Bildungsgewerkschaft GEW. Ihr Gesetzentwurf sieht ein „optionales Modell“ vor. Demnach würde der Beschluss von Schulkonferenz und Schulträger reichen, eine Gemeinschaftsschule zu gründen. Umgekehrt soll auch künftig niemand einer Schule das gemeinsame Lernen aufzwingen können.
Naumann hofft, so die Skepsis vieler Eltern und den Widerstand der CDU zu brechen, die Gemeinschaftsschulen bislang kategorisch ablehnen. Die Wahlfreiheit geben andere Bundesländer ihren Schulen schon seit Jahren. Die Nachfrage nach der „Schule für alle“ scheint dies zu rechtfertigen. So hat sich die Zahl der Gemeinschaftsschulen in Deutschland zwischen 2007 und 2017 auf rund 2.100 verdreifacht. Zum Vergleich: Bundesweit gibt es etwa 3.100 Gymnasien. „Beim Thema längeres gemeinsames Lernen ist Sachsen noch nicht sehr weit“, sagt Bündnissprecher Naumann der taz.
Burkhard Naumann, Bündnissprecher
Sächsische CDU setzt auf Leistungsstärke
Und das schiebt der Mitinitiator des Volksantrags vor allem auf die CDU, die das Land seit der Wende erst allein, dann in wechselnden Koalitionen regiert hat und ohne die eine Regierungsbildung auch dieses Mal kompliziert bis unmöglich werden dürfte.
Tatsächlich hält die sächsische CDU nichts von Gemeinschaftsschulen. Stattdessen setzt sie, wie das Wahlprogramm verrät, weiter auf Gymnasien für die Leistungsstarken, Oberschulen für die weniger Starken und Förder- und Sonderschulen für die Abgehängten. In kaum einem anderen Bundesland ist die Inklusionsquote so niedrig wie in Sachsen, bei gerade mal 33 Prozent. Bei Spitzenreiter Bremen sind es fast 90 Prozent.
„Keine Experimente“, hat der CDU-Kultusminister Christian Piwarz im Wahlkampf mit Blick auf die Gemeinschaftsschulen verkündet. Piwarz begründet die Ablehnung mit dem guten Abschneiden der sächsischen SchülerInnen bei Bildungstests. So liegt deren Leistungsniveau regelmäßig über dem Bundesschnitt, bei Lesen und in Mathe sind sächsische SchülerInnen oft in der Spitzengruppe. Allerdings ist der Anteil der GrundschülerInnen, die es aufs Gymnasium schaffen, nur Mittelmaß. Und wegen des überdurchschnittlich hohen Anteils an FörderschülerInnen verlassen in Sachsen überdurchschnittliche 8 Prozent der SchülerInnen ihre Schule ohne Abschluss.
Gemeinsames Lernen ist sinnvoll
Sabine Friedel erkennt hier dringenden Handlungsbedarf. „Wir sehen doch am Zulauf, den die Privatschulen hier erleben, dass viele Eltern unzufrieden mit dem staatlichen Angebot sind“, sagt Friedel der taz. Deshalb unterstützt die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag Naumanns Volksantrag. Dass ein längeres gemeinsames Lernen zu sehr guten Ergebnissen führt, hätten die neun Modellschulen gezeigt, die ab 2007 auf Wunsch der SPD (die damals ebenfalls mit der CDU koalierte) eingerichtet wurden.
Professor Wolfgang Melzer von der TU Dresden, der die Modellschulen wissenschaftlich begleitete, empfahl in seinem Abschlussbericht an das CDU-geführte Kultusministerium, das zweigliedrige System aus Oberschule und Gymnasium zu „flexibilisieren“ und um Gemeinschaftsschulen zu „ergänzen“. Unter Schwarz-Gelb (2009–2013) wurde das Modellprojekt jedoch eingestampft.
SPD-Politikerin Friedel sieht hier eine „ideologische Front“. Es sei „albern“, ein Projekt wissenschaftlich begleiten zu lassen und dann die Empfehlungen zu ignorieren. Wer nach der Wahl mit der SPD koalieren wolle, müsse der Änderung des Schulgesetzes für die Gemeinschaftsschulen zustimmen, verspricht Friedel. Vielleicht träumt Friedel davon, dass es in Sachsen doch irgendwie reicht für Rot-Rot-Grün. „Wir werden das Versprechen halten“, sagt sie jedenfalls. Das sei sie allein den neun Modellschulen schuldig, die gern als Gemeinschaftsschulen weitergemacht hätten.
Erweiterungsstunde für starke SchülerInnen
So wie die Parkschule Zittau, einer Kleinstadt im Dreiländereck mit Polen und Tschechien. Schulleiter Werner Dietzschkau klingt fast ein bisschen trotzig am Telefon: „Wir dürfen offiziell keine Gemeinschaftsschule mehr sein, machen aber weiter wie bisher.“ Das heißt: An der Parkschule werden nicht die schwächeren SchülerInnen gefördert, sondern die besonders guten. Ab Klasse fünf mit einer „Erweiterungsstunde“ in Mathe und einer in Deutsch. Ab der siebten Klasse dann als „Erweiterungskurse“, auch in Englisch.
So hätten überdurchschnittlich viele SchülerInnen nach der Klasse neun noch ein Jahr angehängt, um einen Realschulabschluss zu machen. Die Leistungen der guten SchülerInnen sei im Vergleich zu früher nicht abgesunken. Viele SchülerInnen der Parkschule hätten dann auch den Übertritt ins Gymnasium geschafft. „Die Ergebnisse sprechen für sich“, sagt Dietzschkau. „Das ist auch der Grund, warum wir extremen Zulauf hatten.“ Jedes Jahr hätte die Parkschule 20 bis 30 SchülerInnen ablehnen müssen. Natürlich würde er sich freuen, wenn die Gemeinschaftsschule formell eingeführt würde. Dann könnte er auch Erweiterungskurse für das Gymnasialniveau einführen.
AfD lehnt Gemeinschaftsschule ab
Ob die Gemeinschaftsschule kommt, ist jedoch höchst unsicher. Denn neben der CDU lehnt sie auch die AfD strikt ab. „Der schleichenden Abschaffung verschiedener Schulformen und der Entwicklung hin zur nivellierenden Einheitsschule bis zur Klasse 10 muss Einhalt geboten werden“, heißt es im Wahlprogramm. Gleichzeitig strebt die AfD widersprüchlicherweise ein „längeres gemeinsames Lernen bis zur Klasse 8“ an.
Für den Volksantrag sieht es also nicht allzu rosig aus. Allerdings gibt es für das Bündnis noch einen anderen Weg: Sollte der Antrag im Landtag keine Mehrheit finden, bliebe als nächster Schritt eine Volksabstimmung. Sie wäre ein Novum in Sachsen. Nötig wären dann aber 450.000 Unterschriften. Burkhard Naumann glaubt, dass das zu machen ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen