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Inhaftierter JournalistDer Brief der Mutter

Die Mutter eines inhaftierten Sportjournalisten hofft auf internationale Unterstützung auch für unbekannte Kollegen.

Özkan Mayda ist seit 228 Tagen in Haft Foto: privat

Als der 32-jährige Özkan Mayda im vergangenen Jahr seinen Job bei der Nachrichtenagentur Cihan und die Zeitung Zaman in der Mittelmeerstadt Antalya verlor, sagte seine Mutter ihm: „Mein Sohn, das ist doch nicht wichtig. Hauptsache ist, dass es dir gut geht. Allah schließt eine Tür und öffnet die andere.“ Bis dahin hatte Mayda als Sportreporter und Layouter gearbeitet.

Im Zeichen zunehmender politischer Verhärtung ließen die Behörden im Frühjahr 2016 Zwangsverwalter einsetzen, am 13. April erhielt Mayda dann seine Kündigung. Kurz nach dem gescheiterten Umsturzversuch durch eine Gruppe Militärs wurde er am 23. Juli festgenommen.

Özkan Mayda ist nur einer von rund 150 in der Türkei inhaftierten Journalist*innen. Als die taz in ihrer Ausgabe vom 1. März ihre Namen publizierte und solidarische Grüße in die Türkei sendete, gehörte auch #Free­Özkan dazu. Die Mutter entdeckte die Titelseite mit dieser Notiz zufällig im Internet – und schrieb der taz einen Brief:

„Ich sah, dass die Namen der Journalist*innen durch Ihre Zeitung veröffentlicht wurden und war überglücklich und habe sehr geweint. Danke, dass Ihr uns nicht alleine lasst. Wenn sich Europa und die Welt weiterhin mit uns solidarisieren, glauben wir daran, dass sich hier etwas ändern wird.“

Ihre Hoffnung: Ein gemeinsames Einstehen gegen die Ungerechtigkeit würde das Gefühl der Einsamkeit, das ihren Sohn in der Haft überfällt, womöglich lindern. Denn ein Sportreporter wie Mayda, der in Antalya arbeitete, dort die lokale Fußballmannschaft Antal­yaspor in der Türkiye Süper Lig verfolgte, kann sich dieser Solidarität sonst kaum sicher sein. Er ist in der türkischen Öffentlichkeit kaum bekannt.

Seine Mutter Memnune Hanım erzählt, dass bisher kein einziger Abgeordneter ihren Sohn und dessen Freunde besucht hat. Nur in den sozialen Medien sind einige Solidaritätsbekundungen zu finden.

Er darf nicht telefonieren

„Glauben Sie mir, außer einer lokalen Zeitung hat sich hier bisher niemand für unsere Belange eingesetzt. Niemand aus unserer Verwandtschaft kann unseren Sohn besuchen. Es ist uns nicht erlaubt, am Telefon miteinander zu sprechen … und Briefe sind auch verboten“, sagt die Mutter. „Ihm geht es sehr schlecht. Er ist unruhig und tieftraurig. Er hat sehr viel abgenommen. Seine Haut ist blass, wahrscheinlich bekommt er nicht allzu viel Tageslicht.“

Memnune Hanım beschreibt, wie sie jedes Mal aufschreckt, wenn das Telefon schrillt. Ihr erster Gedanke: „Ob Özkan wohl aus der Haft entlassen wurde und jetzt nach Hause kommt …“

Dass ihr einziger Sohn hinter Gittern sei, zermürbe sie zusehends, sagt sie: „Nur ein Kind habe ich, kein anderes. Würde man denn seinen einzigen Sohn als Staatsverräter heranziehen? Unser Sohn hat bisher niemanden beleidigt und stand auch noch nie vor Gericht. Er war respektvoll, anständig. Und trug in der Hand außer einem Stift und seiner Fotokamera nie etwas anderes.“

Vergangene Woche, am 2. März, ist Memnune Hanım wieder ins die L-Tipi-Haftanstalt in Antalya gefahren, um ihren Sohn hinter Glas zu sehen. Sie hofft, dass ihre Unterstützung und ihre Solidarität ihrem Sohn hilft. Mayda übt sich seit 228 Tagen in Geduld, genau wie eine Reihe anderer Kolleg*innen: Sie warten immer noch darauf, eine Anklageschrift zu erhalten.

In dem Moment, als sie ihrem Sohn berichten wollte, erfuhr sie von ihm: Özkan und seine ebenfalls fünf inhaftierten Freunde Tuncer Çetinkaya, Kenan Baş, Cihat Ünal, Osman Yakut und Olgun Matur, hatten das Titelbild der taz gesehen. Memnune Hanım klingt noch immer verblüfft, als sie erzählt: „Sie haben es in den Zeitungen gelesen. Sie verfolgten das bereits. Er sagte mir auch, dass ich unbedingt eine Dankesmail verfassen solle. Und sie sollen uns bitte sechs Exemplare zurücklegen.“

Die Akte ist geheim

Maydas Anwalt Münip Ermiş erklärt, dass seine Akte dem Geheimhaltungsbefehl unterliege. Daher sei nicht bekannt, was Mayda genau vorgeworfen werde: „Es gibt noch keine Anklage.“ Die Behörden meinten, dass die Nachrichtenagentur Cihan und die Zeitung Zaman „direkt mit den Gülenisten verwoben“ seien. Jeder, der in diesen Organisationen arbeitet, sei automatisch Mitglied einer Terrororganisation.

„Dort gearbeitet zu haben ist für die Regierung ein Grund zur Anklage.“ Allerdings ist es sogar nach türkischen Standards schwierig, einen türkischen Journalisten, der über Antalyaspor und Samuel Eto schreibt, eine Schuld anzuhängen.

Womöglich gibt es eine andere Sache, die Özkan Probleme bereiten könnte – genauer gesagt, ein Foto. Hintergrund: Vor fast vier Jahren, als die Allianz zwischen Gülen und der heute regierenden Partei AKP offensichtlich zerbröckelte, war davon die Rede, dass die Nachmittagsschulen als sichere Geldquelle der Gülen-Gemeinde geschlossen werden sollten.

Gegen die Schließung der Schulen in Antalya wurde eine Presseerklärung verlesen – und es wurde jemand gesucht, der dort Fotos machen sollte. Dieses Foto wurden unter Özkan Maydas Namen veröffentlicht.

Sein Anwalt Münip Ermiş schießt aus der Fragestellung im Verhör, dass ebendieses Bild mit der Verhaftung seines Mandanten zusammenhängt. Juristisch habe man bereits alle möglichen Wege beschritten, um Mayda freizubekommen: „Wir riefen das Verfassungsgericht an und führten als Beispiel die Urteilsgebung zu dem Fall des Journalisten Can Dündar an“, sagt er.

Die Verteidigung warte immer noch darauf, dass die Anklageschrift fertiggestellt wird: „Sie werfen ihm Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vor. In seinem Verhör gab es Fragen wie: „Wo genau haben Sie bei der Nachrichtenagentur Cihan gearbeitet?“

Noch habe die Verteidigung keine Antwort vom Verfassungsgericht erhalten: „Wir warten. Zurzeit sind Hunderte von inhaftierten Menschen in dieser Lage. Hier in der Türkei achtet man bei den Ermittlungen kaum noch auf die juristische Handhabung. Wir gehen durch außergewöhnliche Zeiten,“ sagt Ermiş.

Kein Zweifel: Die Solidarität von draußen ist für die Journalist*innen im Gefängnis im derzeitigen Klima wichtig, weil es sie stärkt. Die inhaftierten Mitarbeiter*innen der bekannteren Zeitung Cumhuriyet oder der Kollege der deutschen Tageszeitung Die Welt, Deniz Yücel, können angesichts der unterstützenden Aktionen vielleicht selbstbewusster sein, weil sie nicht so vergessen scheinen wie ihre anderen Kolleg*innen. Alle 150 zu unterstützen, das müsste doch möglich sein.

Wahrheit ans Licht

Bisher hätten Freunde und Verwandte von Özkan Mayda nur ein Viertel der Anwaltskosten zahlen können. Trotzdem wünscht sich Memnune Hanım nichts weiter als Gerechtigkeit für ihren Sohn.

Trotz allem hat Memnune Hanım ihr Vertrauen in die türkische Justiz nicht verloren: „Es gibt einen gerechten Gott, ich hoffe sehr, dass die Wahrheit ans Tageslicht kommt. Wir wünschen uns von Europa, dass sie uns nicht allein lässt. Wir wollen nichts anderes. Ich möchte mein Kind zurück. Und seine Freiheit.“

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