Inflationsrate ist existenzbedrohend: Kaum Geld für Süßigkeiten
Überall auf der Welt werden Lebensmittel teurer. Ob hierzulande oder in Marokko, vor allem Rentner*innen und Kinder müssen jeden Cent umdrehen.
N eulich im Supermarkt stand ich hinter den Kassen neben zwei Senior*innen. Das bescheidene Rentner*innenpärchen sah so aus, als sei es jahrzehntelang durch dick und dünn gegangen.
Beide klammerten sich an einen langen Kassenbon, vor ihnen ein mit Alt-Herren-Schokolade und anderen kleinen Sünden gefüllter Einkaufswagen. Sie lächelten hinter ihren Masken. Sie hatten ihre Treuepunkte eingelöst und ihren kleinen Einkauf günstiger ergattert. Die beiden mussten lange Punkte sammeln und Geld ausgeben, um in den Genuss dieses Rabatts zu kommen. Die Freude über das Schnäppchen in diesen schwierigen Zeiten schien unbezahlbar zu sein.
Ich habe in den vergangenen Monaten beobachtet, dass in Lebensmittelgeschäften immer mehr Menschen vor Regalen stehen, sich doppelt und dreifach Gedanken machen, ob ein Produkt in ihren Einkaufskorb wandert oder nicht. Es gibt in Deutschland einen Index für Konsumlaune. Doch geht es bei vielen nicht um eine Laune, sondern um Kalkulationen und Existenz.
Neulich irrte eine Mutter durch den Discounter mit Einkaufszettel und Rechner-App auf dem Handy. Das Kind quengelte, drohte, jeden Moment in einen Wutanfall überzugehen. Es wollte unbedingt eine dieser Süßigkeiten haben, die ungenießbar sind, die Kids aber schamlos mit ihren Lieblingstrickfilmen als Werbung locken.
Die Mutter ging auf Augenhöhe in die Hocke und erklärte mit ruhiger Stimme, es sei nicht im Budget. Das Kind nickte und packte die Süßigkeit brav zurück ins Regal. So bedrohlich ist die Lage gerade, dass Kinder kampflos auf Transfette und Industriezucker verzichten.
Existenzsorgen überall
Nicht nur hierzulande ist es existenzbedrohend geworden. In Marokko existieren als koloniales Erbe in den Köpfen der Menschen mehrere Währungen: 10 Dirham (offizielle Währung) machen 200 Rial (vor allem für Ü60er im einst von Spanien besetzten Norden), 1.000 Francs (im Landesinneren, wo der französische Kolonialismus wütete) oder einen Euro (für Auslandsmaroks). 10 Dirham, so viel kostete bis vor Kurzem auch ein Zuckerhut, der zwei Kilo wiegt.
Vor allem für Arme waren Zuckerhüte lange eine vertrauenswürdige und stabile Währung. Man konnte sie in Läden kaufen und wieder verkaufen. Schenkte sie gerne als Geldanlage weiter.
Heute kostet ein Zuckerhut fast 15 Dirham (1,50 Euro). Die Teuerungsrate ist für viele Menschen eine Katastrophe. In anderen ärmeren Regionen dieser Welt sieht die Lage nicht besser aus. Kinder und Rentner*innen machen sich überall Gedanken und Existenzsorgen.
Es stellt sich die Frage, ob wir als Menschheit nicht grundsätzlich anders über Wachstum, die Renditen der Superreichen, die Globalisierung und den Kapitalismus an sich nachdenken und Wirtschaften menschenfreundlich gestalten sollten. So dass sich alle Zucker leisten können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag