Inflation in der Türkei nach den Wahlen: Steigende Steuern, steigende Preise
Mit neuem Personal wollte Präsident Erdoğan die Inflation in den Griff kriegen. Doch die Preise steigen weiter und die Bevölkerung verarmt.
Normalerweise leert sich die türkische Megametropole Istanbul in den heißen Sommermonaten Juli und August merklich. Die Staus auf den Straßen nehmen ab, die Einkaufzentren sind leer und in den Cafés und Restaurants gibt es viel Platz. Nicht so in diesem Jahr. Anfang August ist die Stadt so voll wie sonst erst im Oktober, wenn der Sommer vorbei ist und das Leben wieder seinen gewohnten Gang geht.
„Die Leute haben kein Geld, um in den Urlaub zu fahren“, bestätigt ein Taxifahrer den Eindruck, „die Straßen sind voll wie immer“. Auch die Tourismusindustrie klagt. Viele Hotels seien nicht ausgelastet. „Zuerst blieben die Leute im Mai zu Hause, weil sie die Wahlen nicht verpassen wollten, und als feststand, dass alles beim Alten bleiben würde, hielten sie ihr Geld zusammen, weil schnell klar war, dass die Krise genauso bleiben würde wie Erdoğan“, sagt ein Bootsbetreiber bei Marmaris, der in normalen Zeiten viele inländische Gäste hat.
Dazu beigetragen hat allerdings auch die Tourismusbranche selbst. Preise für Hotels stiegen gerade für Einheimische in schwindelerregende Höhen und auch ein Restaurantbesuch ist finanziell eine Zumutung. Während ausländische Pauschaltouristen in der Türkei noch vergleichsweise preiswert Urlaub machen können, weil die großen Reiseveranstalter ihre Hotelkontingente bereits Ende letzten Jahres gekauft haben und der Lira-Verfall Touristen aus dem Euroraum entgegenkommt, schlagen die Hotelbetreiber bei türkischen Touristen massiv zu.
Hotelpreise sind ein Luxusproblem
Auf der bei türkischen Urlaubern sehr beliebten Ägäisinsel Bozcaada vor Troja kostet das bescheidenste Pensionszimmer nicht unter 100 Euro. An der Mittelmeerküste sind die Preise noch höher und da in diesem Jahr auch viele russische Touristen zu Hause geblieben sind, haben selbst in der Hochsaison viele Hotels noch etliche freie Kapazitäten. Angeblich sind daran die vielen privaten Vermieter schuld, für die die Regierung jetzt ebenfalls die Steuern erhöhen will.
Doch Hotelpreise sind für die meisten TürkInnen mittlerweile sowieso ein Luxusproblem. Bei den meisten Familien geht es erst einmal um den täglichen Einkauf von Lebensmitteln. „Ich habe mittlerweile fast das Gefühl für den Wert des Geldes verloren“, gesteht eine Nachbarin angesichts der immer schneller steigenden Preise. Kostete ein Bier vor wenigen Monaten noch 20 Lira, sind es jetzt bereits 45 Lira. Vor wenigen Tagen hat Erdoğan außerdem noch die Mehrwertsteuer von 18 auf 20 Prozent erhöht, was Inflation und Preise noch weiter antreibt.
Letztes Jahr waren 200 Lira, der größte Schein, den die türkische Währung bislang kennt, noch richtig viel Geld. Mittlerweile kann man seine Karte für den öffentlichen Nahverkehr mit dem Schein aufladen und es reicht dennoch nur für ein, zwei Tage. Die Währung ist einfach kaum noch etwas wert. Allein in diesem Jahr hat die Lira erneut 30 Prozent gegenüber Dollar und Euro verloren. Für einen Euro muss man jetzt schon 30 Lira zahlen, vor der Wahl waren es noch 22 Lira.
Das neue Finanzduo ist schon wieder am Ende
Damit ist das nach der Wahl neu installierte Duo für die Finanzpolitik, Finanzminister Mehmet Şimşek und die Zentralbankchefin Hafize Gaye Erkan, beide westlich in Investmentbanking ausgebildet, fast schon wieder am Ende. Beide sollten die Rückkehr zu einer „rationalen Finanzpolitik“ einleiten, doch die bisherigen eher zaghaften Erhöhungen des Leitzinses auf 17,5 Prozent haben die Inflationsrate nicht drücken können.
Im Gegenteil, vor wenigen Tagen musste Erkan bekannt geben, dass die Inflation von Juni auf Juli von 39 auf 49 Prozent gestiegen ist. Bis Ende des Jahres rechnet sie jetzt mit 60 Prozent statt den erhofften 25 Prozent Inflation im Jahresdurchschnitt. Eine relevante Minderung der Inflation soll nun erst Ende 2025 erreicht werden, wenn überhaupt. Unabhängige Experten gehen sowieso davon aus, dass die reale Inflation bei weit über 100 Prozent im Jahr liegt.
Mehmet Şimşek, der eigentlich westliche Investoren wieder für die Türkei gewinnen wollte, tingelte stattdessen durch die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar und Saudi-Arabien, um die dringend benötigten Milliarden Dollar zusammenzukratzen, die die Türkei vor der Staatspleite retten sollen. Gut 50 Milliarden Dollar soll er zusammenbekommen haben, ein Erfolg für Erdoğan, meinen westliche Analysten. Doch niemand weiß, was er dafür versprechen musste. Die Opposition mutmaßt, dass der Präsident den Ausverkauf des Landes betreibt und wertvolle Liegenschaften und Staatsbetriebe wie Turkish Airlines verscherbeln könnte.
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