Industrieländer ohne Innovationen: Wasserklosett in weiter Ferne
Ökonomen debattieren, warum die Wachstumsraten der Wirtschaftsnationen immer weiter abnehmen. Ein Grund könnte der Mangel an Neuerungen sein.
DAVOS taz | Werden die Menschen etwas ähnlich Nützliches wie das Wasserclosett noch einmal entwickeln? In den Industrienationen wurde das WC während des 19. und 20. Jahrhunderts in jeden Haushalt eingebaut. Es steigerte die Lebensqualität enorm, verbesserte die Gesundheit und trug damit auch zur Leistungskraft der gesamten Gesellschaft bei – zu Produktivität und Wirtschaftswachstum.
Das macht die Entwicklung der Sanitärtechnik mittelbar zu einem Thema für das World Economic Forum (WEF), den alljährlichen Manager- und Politikergipfel, der am Mittwoch im Schweizer Bergort Davos beginnt. WEF-Chef Klaus Schwab fordert die versammelte Wirtschaftselite auf, für Stabilität, aber bitte auch wieder für mehr Wachstum der Weltwirtschaft zu sorgen. Denn es geht die Angst um, dass die Kraft der globalen Marktwirtschaft allmählich erlahmen könnte.
Eine Rolle spielen dabei natürlich die Eurozone, Japan und die USA, wo die Nachwirkungen der Finanz- und Schuldenkrise noch immer die Dynamik der Wirtschaft bremsen. Aber hinzu kommt eine neue Debatte. Die Frage lautet: Nehmen die Wachstumsraten technisch fortgeschrittener, reicher Volkswirtschaften ab, weil ihre Innovationskraft nachlässt?
Das grundsätzliche Argument lautet: Die epochalen Erfindungen und Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts, beispielsweise die Nutzung der Elektrizität, haben Produktivität und Wachstum in die Höhe schießen lassen. Ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gibt es dagegen keine derart grundlegenden Neuerungen mehr. Zwar wurden die Computer und das Internet entwickelt. Aber was ist Twitter schon gegen die Erfindung der Antibiotika?
Mehr Forscher, weniger Innovationen
Vorangetrieben wird die Debatte von einigen US-Ökonomen. Tyler Cowen von der George Mason University in Virginia veröffentlichte 2011 sein Buch über die „Große Stagnation“. Kollege Robert Gordon von der Northwestern University, Illinois, analysierte, dass die Produktionsleistung pro Arbeiter und Stunde in den USA seit den 1970er-Jahren mit wenigen Unterbrechungen nur um gut ein Prozent wuchs, während die Zunahme nach dem Zweiten Weltkrieg jährlich drei Prozent betragen hatte. Hinzu kommt der besorgniserregende Befund, dass mehr Forscher mehr Geld verbrauchen, aber weniger neues Nützliches zustande bringen.
Die Ökonomen formulieren diese Thesen, obwohl die vermeintlich epochale Entwicklung des Internets unser Leben umkrempelt. Die Wachstumsraten gehen trotzdem zurück – und zwar tendenziell in allen alten Industrienationen. Waren vor 50 Jahren fünf Prozent jährlicher Bruttoinlandsprodukt-Steigerung durchaus normal, werden heute im Durchschnitt oft nur ein bis zwei Prozent erreicht.
Das Interessante an der Debatte ist unter anderem, dass sie nicht ethisch getrieben ist. Hier ist nicht der Club of Rome am Werk, der Wachstum für umweltzerstörend hält. Hier beschreiben Ökonomen, wie sich die Dinge entwickeln und welche Ursachen dieser Prozess haben könnte.
Rückkehr in die natürlichen Grenzen
Sollten die Forscher richtig liegen, könnte man das einerseits für eine gute Nachricht halten: Die überschäumende Industrieökonomie erlahmt und kehrt damit in die natürlichen Grenzen zurück. Vielleicht erledigen sich manche Ökoprobleme so quasi von alleine. Andererseits: Unser ganzes Leben ist auf materielles Wachstum ausgerichtet.
Ohne Produktionszunahme steigt die Arbeitslosigkeit, fehlen den Sozialsystemen Einnahmen und den Unternehmen Gewinne. Besonders in der Wirtschaft hat sich bis heute kaum jemand damit auseinandergesetzt, wie man Unternehmen mit wenig oder ohne Wachstum am Leben erhalten könnte.
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