Industrie-Abwässer im Harz: Stinkende Brühe bedroht Trinkwasser
Das Wasser des Flüsschens Sieber im Harz schäumt. Grund sind Abwässer aus einer Papierfabrik. Die Rhume-Quelle geht vorsorglich vom Netz.
Die Herzberger Stadtverwaltung machte den Vorgang am vergangenen Freitag bekannt. Demnach hat die Papierfabrik Smurfit Kappa Solid Board „seit einiger Zeit Probleme mit der eigenen Abwasserreinigungsanlage“. Das Unternehmen, das am Standort Herzberg Vollpappe, Wellpappe und sogenannte Bogenwarte produziert, habe über die Sieber Wasser abgeben müssen, das erhöhte Nährstoffwerte aufweise.
Über diese Ausleitungen seien dann auch vermehrt Nährstoffe in den Mühlengraben und den Juessee gelangt, die das ohnehin schon verbreitete Wachstum von Blaualgen verstärkt hätten. Die Nährstoffe sind nach Angaben der Stadt zwar weder für Menschen noch Flora und Fauna gesundheitsgefährdend, allerdings seien sie – etwa durch Schwebstoffe, braune Farbe und Schaum – sichtbar. In den vergangenen Tagen hätten sie zudem „merklich unangenehme Gerüche“ entfaltet.
Nach Angaben der Stadt sind in den vergangenen Tagen „zahlreiche Anfragen von besorgten Bürgern und Vereinen, aber auch Beschwerden von Gästen“ bei den Behörden eingegangen. Auch die Polizei und die Feuerwehr seien schon von Anwohnern zu Hilfe gerufen worden. Die Behörden haben den Juessee inzwischen für Badegäste gesperrt.
Der Geologe Friedhart Knolle vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) kennt das Problem aus eigener Anschauung. „Kürzlich war die Lage noch schlimmer als sonst“, sagt er. „So schaumig waren das Sieberwasser und das abgeleitete Sieberwasser im Mühlengraben vorher nicht. Viele Bürger haben mir erzählt, dass sie wegen des Gestanks nachts nicht mehr schlafen können.“ Die Papierfabrik habe offenbar ihre Kläranlage nicht im Griff, vermutet Knolle. „Oder die Kläranlage wird falsch bedient, denn die Jahre davor war die Lage durchaus besser.“
Smurfit Kappa äußerte sich in einer Pressemitteilung: „Wir bedauern die Entwicklung, insbesondere die Eintrübung des Mühlengrabens, die Blaualgenblüte des Juessees sowie die damit verbundene Geruchsbildung.“ Auch wenn insbesondere die Blaualgen nicht ursächlich auf die Einleitung der Prozesswässer aus der Produktion zurückzuführen seien, wirkten diese „unter gewissen Umständen verstärkend“.
Wegen der großen Hitze kämen die technische Infrastruktur und die Abwasserreinigungsanlage an ihre Kapazitätsgrenzen. Das habe damit zu tun, das die in der Anlage arbeitenden Mikroorganismen durch die Hitze beeinträchtigt seien, teilte das Unternehmen dem NDR mit. Als erste Gegenmaßnahme hat Smurfit Kappa nach eigenen Angaben die Produktionsmengen gedrosselt. Zusätzlich habe das Unternehmen einen Kühlturm angemietet, um die Temperatur der Sieber unter Kontrolle zu halten.
Die Sieber fließt zum Teil in die – nicht mit dem deutsch-polnischen Grenzstrom zu verwechselnde – Oder. Zum Teil versickert das Sieberwasser auch im Karstboden und tritt an der rund 15 Kilometer von Herzberg entfernten Rhume-Quelle wieder an die Oberfläche.
Diese Quelle im Kreis Göttingen ist mit einem mittleren Abfluss von 2.000 Litern pro Sekunde die viertstärkste Quelle Deutschlands und zugleich eine der ergiebigsten Karstquellen in Mitteleuropa. Theoretisch könnte jeder Einwohner in Deutschland täglich mehr als zwei Liter Wasser aus der Rhume-Quelle erhalten.
Proben bislang „ohne Befund“
Seit 1978 dient das Quellwasser zur Trinkwasserversorgung. Die Eichsfelder Energie- und Wasserversorgungsgesellschaft (EEW) entnimmt der Quelle etwa ein Prozent des Wassers und beliefert damit rund 15.000 Einwohner. Aufgrund der Meldungen aus Herzberg nahmen die EEW am Wochenende die Rhume-Quelle vorsorglich vom Netz. Als Vorsichtsmaßnahme seien zugleich Proben aus der Quelle entnommen worden, teilte das Unternehmen mit. Diese seien jedoch ohne Befund geblieben.
Der Landkreis Göttingen ist derweil bemüht, die Gemüter zu beruhigen. Eine Gefährdung der Rhume-Quelle könne „nach allen derzeit vorliegenden Erkenntnissen“ ausgeschlossen werden, sagte Kreissprecher Ulrich Lottmann am Montagabend.
„Die Trinkwasserversorgung ist nicht betroffen.“ Es gebe auch keine fortdauernde Belastung von Gewässern in Herzberg und keine Gefährdung von Menschen oder Umwelt durch Giftstoffe. Spekulationen über eine drohende Umweltkatastrophe, wie sie der Lokalzeitung angestellt wurden, seien deshalb „maßlos und irreführend“.
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