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Indonesien wählt überraschend friedlich

Suhartos alte Regierungspartei Golkar verliert im Wohnviertel des Ex-Präsidenten. Nur in der Unruheprovinz Aceh bleiben die Wahllokale nach Überfällen der Unabhängigkeitsbewegung leer  ■   Aus Jakarta Jutta Lietsch

„Wen ich wähle? Das ist mein Geheimnis“, sagte Indonesiens Ex-Präsident Suharto gestern morgen im Wahllokal Nr. 2 des grünen Villenviertels Menteng von Jakarta. Gemeinsam mit zwei Töchtern und einem Sohn war der langjährige Diktator, der heute 77 Jahre alt wird, kurz vor 9 Uhr morgens aus seinem Wohnhaus in der benachbarten Cendana-Straße erschienen, um seine Stimme für die Parlamentswahlen abzugeben. Dafür brauchte er länger als früher: Auf der Wahlliste erschienen diesmal die Symbole von 48 Parteien, von denen 45 erst in den letzten Monaten entstanden sind. Suharto, der im Mai 1998 nach schweren Unruhen zurücktreten mußte, hatte nur drei politische Organisationen zugelassen.

Es ist bezeichnend für das verwirrende politische Klima in Indonesien, daß der von der Opposition schwerer Menschenrechtsverletzungen und Korruption beschuldigte Suharto völlig unbehelligt zur Wahl gehen konnte: Nur die Wähler aus der Nachbarschaft und einige Journalisten tauchten auf, von Demonstranten keine Spur. Allerdings weiß jeder Indonesier, daß die in dem Viertel diskret untergebrachten Elitesoldaten sofort auftauchen würden, sollte dem alten General Unheil drohen.

Als im Wahllokal Nr. 2 kurz nach 14 Uhr die Stimmen ausgezählt wurden, kam Heiterkeit auf: Denn die Parteien des „Status quo“, wie die mit Suharto verbundenen politischen Kräfte bezeichnet werden, hatten haushoch verloren. Golkar, der bisher stets eine Mehrheit garantiert war, erreichte nur 32 der 307 abgegebenen Voten – „eine für jedes Jahr der Suharto-Herrschaft“, wie ein Zuschauer rief. Die neuen Gruppierungen eines Suharto-Halbbruders und hoher Militärs bekamen gar nur eine Handvoll Stimmen.

Weit vorn lag mit 90 Stimmen die „Demokratische Partei Indonesiens-Kampf“ von Megawati Sukarnoputri, die als Tochter des Staatsgründers Sukarno von vielen verehrt wird. In den vergangenen Wochen waren Millionen ihrer Anhänger auf die Straßen gegangen. Megawati hatte ein loses Bündnis mit zwei bekannten Oppositionellen geknüpft: Amien Rais und Abdurrahman Wahid. Beide hatten sich als Führer muslimischer Religionsgemeinschaften und Kritiker Suhartos einen Namen gemacht und inzwischen eigene Parteien gegründet. Obwohl sie sich nicht mögen, könnten sie Präsident Habibie und seine „neue Golkar“ nur von der Macht verdrängen, wenn sie sich zusammenraufen. Sie müssen sich auf eine gemeinsame Kandidatin oder einen gemeinsamen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen im November einigen.

Im Wahllokal Nr. 2 von Menteng erzielte die „Nationale Mandatspartei“ von Amien Rais 60 Stimmen – fast doppelt soviel wie Golkar. Mit großem Hallo wurde auch die einsame Stimme für die kleine linke Partei des Studenten Budiman Sudjatmiko begrüßt, der seinen Wahlkampf aus dem Gefängnis führt, wohin ihn Suharto wegen angeblicher kommunistischer Umtriebe verbannen ließ.

Das inoffizielle Ergebnis wird frühestens für heute erwartet. Dann sollen die Stimmen auf Java und den größten Städten anderer Inseln gezählt sein. Die gestrige Euphorie der Megawati-Anhänger macht einigen Skeptikern jedoch Angst: „Golkar ist nicht so schwach, wie sie glauben“, sagte Aldrin Situmeang von der unabhängigen Wahlbeobachtergruppe KIPP. „Wir haben viele Berichte von Stimmenkauf für Golkar“. Er befürchtet Unruhen, falls sich die Oppositionsparteien getäuscht fühlen. Mit Besorgnis registrierte er auch die Entwicklung im annektierten Ost-Timor oder im unruhigen Aceh. Dort hatte sich die Armee trotz verstärkter Überfälle auf Soldaten und Wahlhelfer in letzter Minute entschlossen, die Wahlen doch stattfinden zu lassen. Lautsprecher forderten die Bewohner der Stadt Lhokseumawe immer wieder auf, wählen zu gehen. Doch die Wahllokale blieben leer.

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