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Indigene in BrasilienDer Kampf der Karipunas

Mitten im Amazonas-Regenwald schützt das indigene Volk der Karipuna sein Territorium vor bewaffneten Holzfällern und Landräubern.

André Karipuna zeigt dem Besuch die Schneise der Verwüstung Foto: Felipe Corona

PORTO VELHO taz | Rund 20 Häuser, eine Schule und eine Gesundheitsstation – das ist Karipuna, ein kleines Dorf mitten im Regenwald im brasilianischen Bundesstaat Rondônia. Einige der Behausungen bestehen aus Ziegeln und Zement, andere sind aus Holz und Stroh gebaut. Hier lebt das indigene Volk der Karipuna, das vor einer existenziellen Herausforderung steht: Sein Territorium wird von Landräubern, illegalen Holzfällern und Großproduzenten von Soja und Rindern bedroht.

„Sie fällen die Bäume, transportieren das Holz ab, brennen das Gelände nieder – und am Ende verkaufen sie das Grundstück“, berichtet André Karipuna, einer der Anführer der Gemeinschaft. Besonders die Jahre unter dem rechtsradikalen Präsidenten Bolsonaro seien ein Wendepunkt gewesen. „Seine Hassreden haben die Eindringlinge ermutigt, alle möglichen Verbrechen gegen uns zu begehen.“ Vor allem in der Trockenzeit, wenn die Wege besser passierbar sind, nehmen die Übergriffe zu.

Green Panter Amazonia

Der Text ist im Rahmen des Klimaworkshops Green Panter Amazonia der taz Panter Stiftung entstanden. Mehr Texte der Teilnehmenden aus 8 Ländern der Amazonas-Region auf taz.de.

Dabei ist das Gebiet der Karipuna bereits seit 1997 von der staatlichen Indigenenbehörde Funai als Schutzgebiet ausgewiesen – eigentlich unantastbar. Doch in der Praxis bleibt der Schutz oft wirkungslos. Die staatlichen Kontrollen waren lange Zeit spärlich, nicht zuletzt wegen der abgelegenen Lage und der schieren Ausmaße des Territoriums, das größer ist als die Megacity São Paulo.

Obwohl das Dorf nur 150 Kilometer von der Landeshauptstadt Porto Velho entfernt liegt, sind die Straßen besonders während der Regenzeit, wenn Schlamm und Schlaglöcher die Fahrt zur Herausforderung machen, schwer befahrbar. Schneller und zuverlässiger ist das Boot, das in Amazonien ohnehin das wichtigste Transportmittel ist.

Todesdrohungen von bewaffneten Eindringlingen

André Karipuna ist regelmäßig mit seinem Motorboot, einem sogenannten Voadeira, unterwegs. Auch an diesem Tag fährt er drei Stunden die Flüsse Jacy-Paraná und Formoso hinauf. Unterwegs zeigt er Stellen, an denen Bäume gefällt und illegale Unterkünfte errichtet wurden. „Wir schätzen, dass hier mehr als 3.000 Bäume gefällt wurden – etwa 1.000 pro Jahr“, sagt er. Die Eindringlinge seien bewaffnet und aggressiv. André selbst erhielt bereits Drohbriefe und Todesdrohungen. Zwar sind rund 70 Prozent des Territoriums noch intakter Regenwald mit großer Artenvielfalt, doch die übrigen 30 Prozent wurden bereits gerodet und besetzt.

Reste einer illegal errichteten Brücke am Rio Formoso Foto: Felipe Corona

Ein besonders dreister Fall: Die Eindringlinge errichteten eine Brücke über den Rio Formoso, um das geschützte Gebiet direkt mit einer benachbarten Farm zu verbinden. Von dort aus wurden die gestohlenen Baumstämme per Lastwagen abtransportiert.

Die improvisierte Konstruktion aus Baumstämmen und Stahlseilen wurde im Dezember 2022 bei einer gemeinsamen Aktion der Bundespolizei und Bundesstaatsanwaltschaft gesprengt. „In der Trockenzeit arbeiteten sie hier Tag und Nacht, ohne Pause“, erinnert sich Karipuna. Doch der Einsatz der Karipuna scheint Wirkung gezeigt zu haben: Nach zahlreichen Anzeigen und Beweislieferungen ist die Polizei mittlerweile aktiver geworden.

Seit 2022 steht Brasilien unter der Führung des sozialdemokratischen Präsidenten Luiz Inácio „Lula“ da Silva. Nach Jahren der systematischen Zerstörung unter Bolsonaro hat Lula die Umweltbehörden wieder gestärkt. Es gibt wieder mehr Kontrollaktionen, und die Zahl der Eindringlinge scheint zurückzugehen. „Es wirkt, als hätten sie jetzt Angst“, sagt Karipuna, der ein knallblaues T-Shirt, Jeans und Basecap trägt.

Solaranlagen statt Benzingenerator

Trotz der Abgeschiedenheit leben die Karipuna inzwischen in vielen Bereichen ähnlich wie Stadtbewohner*innen. Alltagskleidung ist die Regel, traditionelle Trachten wie Kopfschmuck und Körperbemalung bleiben Festtagen vorbehalten. Wie viele Indigene im Norden des Landes bauen sie Getreide an, fischen und jagen zur Selbstversorgung. Überschüsse verkaufen sie – darunter Paranüsse oder Maniokmehl.

Auf Erkundungsfahrt: André sagt, dass in der Umgebung mehr als 3.000 Bäume gefällt wurden Foto: Felipe Corona

Ein kleiner Fortschritt kam vor vier Jahren aus Deutschland: Die deutsche Botschaft finanzierte zwei Solaranlagen für das Dorf im Wert von umgerechnet rund 30.000 Euro. Sie ersetzen einen alten Benzingenerator und liefern heute die einzige konstante Stromquelle des Ortes. Dank dieser Energieversorgung können die Karipuna nun auch das Internet nutzen und Satellitenfernsehen empfangen. Ein kleiner Luxus inmitten der Isolation des Regenwaldes.

Ende Juli meldet sich André Karipuna per WhatsApp. Die Lage sei erneut „sehr angespannt“. Holzfäller wurden im Gebiet gesichtet, Bäume erneut gefällt. Eine Luftaufnahme zeigt eine neu errichtete illegale Hütte mitten im Schutzgebiet. Karipuna will weiter kämpfen – auch wenn er sagt: „Schlafen zu gehen, ohne zu wissen, was die Zukunft bringt, ist nicht leicht.“

Felipe Corona ist freier Journalist, u.a. für die Folha de São Paulo . Er lebt in Porto Velho, der Landeshauptstadt des Amazonas-Bundesstaates Rondônia.

Übersetzt aus dem Portugiesischen von Niklas Franzen

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