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Inder in BerlinLieber Imbissbuden als IT

Kommentar von Helmut Höge

Indische IT-Spezialisten sind in Deutschland schwer gefragt. Aber in Berlin trifft man überwiegend Fast-Food-Inder.

Indische IT-Spezialisten in Berlin? Von wegen! Bild: dpa

Hören Sie auf, von Berlin als Drehscheibe zu reden. Ihre Stadt ist eine Grenzstadt, ein Fluchtpunkt für Ost-Migranten." (John Czaplicka, Urbanist)

"Die Stadt, wo so viele da sind, dass keiner mehr da ist " So empfand Kurt Tucholsky das alte Berlin. Mir geht es im neuen umgekehrt: An Sonntagen wirken ganze Viertel wie ausgestorben. Freilich, es gibt kein Problem in Berlin, das fünf Millionen Inder nicht lösen könnten - man lässt sie aber nicht! Der lächerliche Vorstoß von Kanzler Schröder, hochspezialisierte IT-Inder mit einer Green Card ins Land zu locken, endete kläglich. 1999 gründete der in Berlin lebende Sandeep S. Jolly, dessen Firmen in der Berliner Börse beheimatet sind, "als eine Art von Heimwehbewältigung" die Firma "IT-India", die als eine Brücke fungieren sollte: "Wir haben viele Investoren aus Indien nach Deutschland geholt. Es ging nicht um das Outsourcen nach Indien, sondern darum, dass der IT-Markt hier nach Indern verlangte. Plötzlich war aus meinem Manko, ein Inder mit Turban zu sein, ein Plus geworden. Es war anerkannt, dass die Inder im IT-Bereich was zu sagen haben."

Aber die Wirtschaftsförderung war damals noch nicht offen für Indien, und die IT-Spezialisten dort wollten auch gar nicht so gerne nach Deutschland. Der Bundeskanzler hatte ihnen verkündet: "Kommt her, hier verdient ihr viel Geld!" Sandeep S. Jolly flog daraufhin mit einigen Geschäftsführern von Bewag/Vattenfall nach Indien, um dort Gespräche zu führen: "Die haben auch IT-Leute engagiert. Das hat Vattenfall geholfen, aber nicht den Indern." Die hatten nämlich erst einmal große Visaprobleme, ihre Frauen durften nicht mitkommen, auch die Kinder nicht. Dann wurde das Visum nur auf vier Wochen ausgestellt, sie sollten dafür 65.000 Euro Einkommen im Jahr nachweisen und einen Mietvertrag. Schließlich wurden alle nach Steuerklasse I behandelt, weil ihre Familien nicht hier waren, und sie mussten sozialversichert sein, obwohl sie hier gegebenenfalls gar kein Arbeitslosengeld bekommen hätten.

Alles das führte dazu: "Nach dem ersten Gehalt haben die meisten wieder ihre Koffer gepackt. Die Amerikaner sind da flexibler. Außerdem spielen die familialen Bindungen bei den Indern eine weitaus größere Rolle als bei den Deutschen, was man hier nicht berücksichtigt hat." Sandeep S. Jolly setzte sich dann umgekehrt dafür ein, dass ein Teil der Arbeit von hier nach Indien verlagert wird. Dazu eröffnete er Büros in Neu Delhi, Bombay und Chandigarh. "Im IT-Bereich kann man dort Leute auf Honorarbasis einstellen, es ist in Indien alles etwas einfacher als hier." Im Endeffekt werden absurderweise mehr Berliner nach Indien ausgewandert sein als umgekehrt. Nach ihrer Rückkehr ins graue Berlin drehten die regelmäßig durch - das Kreuzberger Urban-Krankenhaus richtete eine spezielle Therapiegruppe nur für diese "Indienfahrer" ein. Jetzt finden für sie in einigen Discos regelmäßig Bollywood-Partys statt, wo die deutschen Mädels in indischen Kleidern erscheinen.

Einmal traf ich dort auch einen echten Inder, einen angehenden Ingenieur. Er arbeitete zuletzt bei DaimlerChrysler, genauer gesagt bei Debis am Potsdamer Platz. Er sollte dort der Entwicklung eines individuellen Verkehrsleitsystems zuarbeiten. Nach einigen Monaten hörte er jedoch frustriert wieder auf, weil er sich dort zu sehr ausgebeutet fühlte: Seine Freundin sollte er sich abschminken und sich stattdessen ein Handy zulegen, um immer erreichbar zu sein. Er hatte aber noch für einen Monat Gehalt von Debis zu bekommen: "Schreiben Sie eine Rechnung!", sagte ihm sein Debis-Chef, der Direktor für Mobility Services, Rummel. Das tat er: 1.400 Mark für 80 Stunden. Dann erschien ein Artikel in einer Berliner Zeitung, der ihn zitierte. Wenig später kam das Geld - 700 Mark. Der junge Inder rief Rummel an. Der schrie ihn an: "Mehr Geld kriegen Sie nicht! Ich bestimme hier die Spielregeln!" Bei Daimler überlegt man sich inzwischen, nach Chrysler auch Debis abzustoßen.

Die Gewerkschaften und die Deutsche Bahn AG zogen bereits vom Potsdamer Platz weg: Bald ist auch dort keiner mehr da, würde Tucholsky klagen. Mir wäre es jedoch recht: Der Potsdamer Platz hat in Berlin nichts zu suchen, diese Drehscheibe gehört hier nicht hin! Aber, oh Wunder, für die sich leerenden Läden dort finden sich plötzlich Interessenten, die indische Restaurants eröffnen wollen. Überall machen "Inder" auf - die Oranienburger- und die Oranienstraße sind schon fast in indischer Hand, auch im Osten kann man hinkommen, wo man will: überall gibt es einen Fast-Food-Inder. Das Essen ist zwar durchweg Scheiße, aber die Läden brummen. Statt IT- kamen also FF-Inder. Auch gut!

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Autor
geb. 1947, arbeitet für die taz seit 1980, Regionalrecherchen, ostdeutsche Wirtschaft, seit 1988 kulturkritischer Kolumnist auf den Berliner Lokalseiten, ab 2002 Naturkritik.

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