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Incel-Urteil in KanadaFrauenhass ist Terror

Kommentar von Lara Ritter

Ein kanadisches Gericht stufte einen Mord, der von einem Incel begangen wurde, als Terrorismus ein. So wird die Ideologie hinter der Tat sichtbar.

Im Incel-Weltbild, auf der Täter-Opfer-Dichotomie begründet, ist der einzige Ausweg die Täterschaft Foto: Marco Piunti/Getty Images

V or dreieinhalb Jahren erstach ein 17-Jähriger vor einem Massagesalon in Toronto die 24-jährige Angestellte Ashley Arzaga und verletzte vor dem Salon einen Mann und eine Frau mit Messerstichen. Nach dem Grund für die Tat mussten die Behörden nicht lange suchen. Auf dem Messer stand ein sexistischer Spruch, in der Tasche des Teenagers war ein Zettel, der Gewalt gegen Frauen propagierte.

Am Mittwoch wurde er deswegen nicht nur wegen Mordes, sondern auch wegen Terrorismus zu lebenslanger Haft verurteilt, denn er gab an, von „Incels“ gebrainwashed worden zu sein. „Incels“ („Involuntary Celibates“) sind Männer, die sich darüber definieren, dass sie unfreiwillig im Zölibat leben. Kanadische Behörden stufen sie als „gewalttätig-extremistische Bewegung“ ein, wohl auch, weil sie in Toronto schon einmal einen Attentäter hervorgebracht hat.

2018 tötete ein 25-Jähriger auf einer Amokfahrt elf Menschen, auch er gab an, ein „Incel“ zu sein. Damals wurde die Tat allerdings nicht als terroristisch eingestuft. Die Richterin vermutete nicht die Ideologie, sondern den Geltungsdrang des Täters als Hauptmotivation. Diesem Urteil lag ein fundamentales Missverständnis der „Incels“ zugrunde.

Für „Incels“ besteht die Welt aus „Stacys“ und „Beckys“, also mehr und minder attraktiven Frauen, die nur „Chads“ begehren, also Alpha-Männer, wie sie Tyler Durden in „Fight Club“ verkörpert. „Alphas“ haben Erfolg, Selbstbewusstsein und bestimmte Körpermerkmale, markante Kieferknochen zum Beispiel. Wer das nicht vorzuweisen hat, ist ein „Beta“ und bleibt dieser Ideologie nach auf der Strecke. „Incels“ zählen sich zu den „Betas“ und verorten sich in einer Opfer-Position, denn das „Recht“ auf Sex und weibliche Aufmerksamkeit bleibe ihnen verwehrt.

Fe­mi­nis­t:in­nen als Zielscheibe

Ihren Frauenhass leiten „Incels“ also aus einem Gefühl der Machtlosigkeit ab. In einem Gesellschaftsbild, das auf einer Täter-Opfer-Dichotomie gründet, ist der einzige Ausweg aus dieser Machtlosigkeit die Täterschaft. In diversen Internet-Foren, u.a. auf Reddit, konstituiert sich diese Täterschaft über sprachliche Gewalt, Frauen werden zu Objekten degradiert, die verbal übel zugerichtet werden. Insbesondere Fe­mi­nis­t:in­nen sind eine Zielscheibe, teils gab es auch organisierte Kampagnen gegen einzelne Personen, Vergewaltigungs- und Morddrohungen.

Bisher sind mehrere Shootings bekannt, bei denen Verbindungen des Täters zur Incel-Szene hergestellt werden konnten; nicht nur in den USA und Kanada, auch in England kam es 2020 zu einem Attentat. Dieses ist das erste, das ein kanadisches Gericht als terroristisch einstufte. Ob Staaten „Incels“ als extremistisch einstufen sollten, ist nämlich umstritten. In einem Statement begründete das kanadische Gericht seine jüngste Entscheidung damit, dass der Attentäter versucht habe, Frauen einzuschüchtern und Männer zu inspirieren.

Dass es damit die kollektive Dimension der Gewalttaten vermeintlicher Einzeltäter anerkennt, ist enorm wichtig. Denn während „Incels“ deren Taten in der Vergangenheit stets für sich reklamierten, wurden diese in der Öffentlichkeit oft als Resultate individueller Pathologien verhandelt. Das ist eine grobe Fehleinschätzung. Wer nur gelten kann, indem er Gewalt verübt, hat nicht nur „Geltungsdrang“, sondern folgt einer gefährlichen Ideologie.

Indem das Gericht die Rolle, die diese für den Attentäter spielte, anerkennt, macht es diese Ideologie sichtbar und ermöglicht einen gesellschaftlichen Diskurs darüber. Das Urteil sollte jedoch nicht dazu verleiten, über die gesamtgesellschaftliche Dimension, die Gewalt gegen Frauen hat, hinwegzusehen. Sexismus beschränkt sich nicht auf „Incel“-Foren. Er ist alltäglich.

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