■ In der vergangenen Woche begnadigte Roman Herzog den RAFler Helmut Pohl. Was wird aus den anderen RAF-Gefangenen? Ein Appell: Auch für die RAF: Recht vor Gnade
Brüder sind sie nicht, und die Bundesrepublik ist auch kein Märchenwald. Eine Geschichte über Ungleichheit läßt sich am Beispiel von Helmut Pohl und Christian Klar aber doch erzählen, denn die beiden haben so viel gemein, daß man sich fragt, warum ihre Wege so unterschiedliche Richtungen genommen haben. Beide gehörten viele Jahre der RAF an, beide galten in der Öffentlichkeit als „Köpfe der RAF“, als „Hardliner“, beide wurden zu lebenslanger Haft verurteilt. Aber Helmut Pohl ist jetzt ein freier Mann – und Christian Klar wurde vor dem OLG Stuttgart beschieden, er könne frühestens nach 26 Jahren, im Jahr 2009, entlassen werden.
Eine Wegscheide war das Jahr 1996. Damals beschloß der grüne Justizminister Rupert von Plottnitz dem Generalbundesanwalt einen Wunsch zu versagen. Denn von Plottnitz verfügte, daß Helmut Pohl, der seit längerem auch von Hans Magnus Enzensberger besucht werden konnte, konkret ein Interview geben durfte. Christian Klar, mit dem damals der Spiegel reden wollte, mußte dagegen schweigen. Sonderbesuchserlaubnisse hat er sowieso nicht zu erwarten: Das baden-württembergische Justizministerium behauptete dreist, ein Gespräch mit Journalisten schade Klars Resozialisierung.
Daß Pohl, ohne zum Staatsfreund zu werden, sich kritisch mit der Entwicklung des bewaffneten Kampfes auseinandersetzte, zerstörte in der Öffentlichkeit die Legende vom Hardliner – und war damit ein Grund, daß jetzt die Begnadigung durch Bundespräsident Herzog erfolgen konnte. Was Klar angeblich denkt, weiß die Öffentlichkeit immer noch nur aus dem Verfassungsschutzbericht. Und so läßt sich zur Pflege des Feindbilds allerhand über ihn erzählen.
Allerhand erzählen läßt sich jetzt, zum Besten des Staates, auch wieder über Helmut Pohl: Der Preis dafür, rauszukommen, war es, um Gnade zu bitten, Gnade des Staats, den er, solange er konnte, bekämpft hat. Wer aber auf Gnade hoffen muß, liefert sich aus. Die Gefangenen aus der RAF repäsentieren auch einen Abschnitt linker Geschichte in der BRD – das Engagement gegen ihre Haftbedingungen hat über mehr als 15 Jahre die Auseinandersetzung fast der gesamten Linken mit dem Staat geprägt. Und jede Begnadigung, die der Bundespräsident, beraten von Bundesanwaltschaft und Bundesamt für Verfassungsschutz, vornimmt, ist vor allem eine politische Entscheidung. So wie die Attacke von Bundesinnenminister Kanther und Generalbundesanwalt Nehm gegen Amnestieforderungen, die noch niemand gestellt hatte, nachdem die RAF ihre Auflösung erklärt hatte: Die Verfügungsmöglichkeit über den Feind will der Staatsapparat sich erhalten.
Helmut Pohl hat, schwerkrank, nur noch die Begnadigung als letzte Möglichkeit gesehen. Er hat damit die Konsequenz daraus gezogen, daß sich die radikalen und die weniger radikalen Linken und Nichtmehr-Linken sowie manche anderen, die noch vor zehn Jahren für Zusammenlegung oder auch für die Amnestie eingetreten waren, resigniert oder gelangweilt aus der Auseinandersetzung um Haftbedingungen und Freilassung verabschiedet haben.
Es wäre aber zu wünschen, daß die Entlassung Pohls und die Auflösung der RAF in diesem Jahr, 30 Jahre nach 1968, noch einmal zu einer Anstrengung führen würden, diesen Abschnitt staatskritischer Politik nicht völlig aufzugeben und im nachhinein belanglos erscheinen zu lassen, indem man die heute noch Einsitzenden nicht dem Staat und sich selbst überläßt: Wer übrigbleibt, wird vergessen, rette sich wer kann.
Die Freilassung aller Gefangenen aus der RAF und Straffreiheit für die Mitglieder der Gruppe zu fordern, die die RAF schließlich aufgelöst hat, läßt sich dabei aus unterschiedlichen Gründen und mit verschiedenen Perspektiven fordern. Straffreiheit, nennen wir sie freies Geleit, ermöglicht ganz pragmatisch und strikt rechtsstaatlich sogar der Wortlauf der Paragraphen 129, 129a StGB. Dort ist zu lesen, daß „Täter, die sich freiwillig bemühen, das Fortbestehen der Vereinigung zu verhindern... nicht bestraft“ werden. RAF-Mitglieder, die teilweise an den Anschlägen während des Deutschen Herbstes beteiligt und in der DDR untergetaucht waren, wurden längst unter Anwendung regulärer Strafzumessungsvorschriften nach weniger als sieben Jahren Haft entlassen – und zwar unabhängig von der Schwere der Straftaten, die ihnen vorgeworfen wurden. Dies zeigt, daß es nicht von Rechts wegen zwingend ist, RAF-Mitglieder wegen besonderer Schwere der Schuld 20 und mehr Jahre in Haft zu halten.
Für die Grünen, die Mitte bis Ende der 80er Jahre ihr rechtsstaatliches Profil durch die umstrittene Amnestiekampagne geschärft haben, könnte ein Einsatz für die Entlassung der RAF-Gefangenen heute ein erster Schritt sein zur Abschaffung der Paragraphen 129, 129a und des umfassenden Sonderrechtssystems, das im Zuge der RAF-Verfolgung etabliert wurde – wenn diese Forderung denn mehr ist, als nur ein Lippenbekenntnis. Da mit von Plottnitz und Ströbele führende grüne Rechtspolitiker ehemalige RAF- Verteidiger sind, wissen sie auch, daß gerade diese Verfahren Exempel statuiert haben und wie schnell das Strafrecht der BRD aus Gründen der Staatsräson in ein offenes Feindstrafrecht umschlagen kann.
Zudem gibt es wohl kaum eine Gruppe von Gefangenen, bei der so offensichtlich ist wie bei den Gefangenen aus der RAF, daß sie nach ihrer Entlassung keine weiteren Straftaten mehr begehen werden. Doch ungeachtet dessen verbüßen sie lange Strafen unter extrem scharfen und gesundheitsschädigenden Haftbedingungen. Für ihre Freilassung einzutreten, heißt heute daher auch (und das verbindet eine eventuelle Debatte um die RAF-Gefangenen mit der um Strafrecht und Strafvollzug überhaupt) zu akzentuieren, daß Vergeltung und Unterwerfung keine Strafzwecke des Rechts sind, lebenslange Freiheitsstrafen aber eine unmenschliche Härte ist.
Es geht auch darum, ob das letzte RAF-Kommando freies Geleit bekommt oder auf Dauer auf der Flucht sein muß. Für die Linke stellt sich die Frage, wie weit man die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte selbst und direkt führen will: Dafür braucht man Gegenüber, deren Äußerungen keiner scharfen Zensur unterliegen, die außerdem die Möglichkeit haben, offen über ihre und anderer Leute Fehler zu reden. Aber dies ist unter Knastbedingungen und mit der Perspektive, nur auf dem Gnadenwege jemals wieder in Freiheit zu kommen, nicht möglich. Oliver Tolmein
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