In den USA kann jeder künftig nur noch fünf Jahre lang Sozialhilfe beziehen - und zwar in seinem ganzen Leben. Das sieht ein Gesetzentwurf vor, den der Senat gestern verabschiedete. Präsident Clinton spricht von einer "historischen Chance".

In den USA kann jeder künftig nur noch fünf Jahre lang Sozialhilfe beziehen – und zwar in seinem ganzen Leben. Das sieht ein Gesetzentwurf vor, den der Senat gestern verabschiedete. Präsident Clinton spricht von einer „historischen Chance“. Betroffen von den Kürzungen sind vor allem alleinerziehende Mütter, ihre Kinder und Immigranten

Fünf Jahre Stütze sind genug

Das Gesicht der Ministerin sprach Bände. Mit steinerner Miene verfolgte Donna Shalala die Pressekonferenz im Weißen Haus, auf der US-Präsident Bill Clinton seine Zustimmung zur „historischen Reform“ des Sozialhilfewesens bekanntgab. Künftig haben arme Familien danach nur noch fünf Jahre lang Anspruch auf Sozialhilfe. Vor knapp einem Jahr, als Clinton zum erstenmal seine Zustimmung zum Gesetzentwurf der Republikaner signalisierte, hatte Shalalas Sozialministerium bekanntgegeben, daß damit über eine Million Kinder in die Armut getrieben würden. Clinton schreckte noch einmal zurück. Jetzt – kurz vor Beginn der heißen Phase des Präsidentschaftswahlkampfes – gab er seinen Segen zu einem Gesetz, das nach 60 Jahren den Anspruch auf staatliche Fürsorge beendet. Der Entwurf, der am Mittwoch im Repräsentantenhaus und gestern im Senat verabschiedet wurde, läßt keinen Zweifel daran, welche Gruppen am härtesten betroffen sind: Alleinerziehende Mütter, ihre Kinder und Immigranten. Das Urban Institute in Washington beziffert die Zahl der betroffenen Erwachsenen auf zwei Millionen, die der Kinder auf 4,5 Millionen.

Das Gesetz eliminiert einen Teil des Social Security Acts, der 1935 unter Franklin D. Roosevelt als Ära des „New Deal“ verabschiedet worden war: Die staatliche Garantie eines Minimums an Sozialhilfe für Familien mit Kindern. Dieses Minimum kommt heute fast ausschließlich alleinstehenden Müttern – das sind rund vier Millionen – zugute. Statt dessen wird Washington den Bundesstaaten in Zukunft Pauschalsummen überweisen, mit denen diese nach eigenem Belieben verfahren können.

Landesweit gelten in Zukunft folgende Rahmenbedingungen, die von den Einzelstaaten noch verschärft werden können: Bedürftige können in ihrem Leben nur noch maximal fünf Jahre staatliche Hilfe in Anspruch nehmen. Alle arbeitsfähigen Erwachsenen müssen innerhalb von zwei Jahren Jobs gefunden haben – andernfalls werden die Bezüge gekürzt oder gestrichen. Wer wegen eines Drogendelikts vorbestraft ist, verliert sofort seinen Anspruch auf Sozialhilfe und Lebensmittelmarken. Fürsorge für minderjährige Mütter wird nur noch geleistet, wenn die Betreffende weiter zur Schule geht und bei ihren Eltern wohnt. Immigranten werden für die ersten fünf Jahre ihres Aufenthalts von fast allen Sozialhilfeleistungen ausgeschlossen. Die Ausgabe von Lebensmittelmarken und die Auszahlung des Supplemental Security Income (SSI), eines Zusatzeinkommens für arme Senioren und Behinderte, wird bei Immigranten, aber auch bei zahlreichen Kindern aus unteren Einkommensschichten mit sofortiger Wirkung eingestellt. Die Vergabe von Lebensmittelmarken bleibt weiterhin Bundesangelegenheit, die Mittel dafür werden jedoch um 27 Milliarden Dollar in den nächsten sechs Jahren gekürzt. Insgesamt sollen mit dieser Reform im selben Zeitraum 55 Milliarden Dollar eingespart werden.

Mit der Bekämpfung des Defizits hat die neue Gesetzgebung allerdings wenig zu tun: Die Ausgaben für Sozialhilfe machten bislang gerade ein Prozent im jährlichen Gesamthaushalt aus. Vielmehr hat hier ein Machtwechsel zwischen zwei Weltanschauungen stattgefunden, die der Sozialexperte Douglas Besharov vom American Enterprise Institute in Washington so beschreibt: Statt Armut als Konsequenz ökonomischer Ursachen zu sehen, dominiere nun jene Denkschule, „die Armut als Folge moralischen Fehlverhaltens sieht und in der Sozialpolitik ein Instrument sozialer Kontrolle“. Von der Reformbedürftigkeit der Sozialhilfe – gerade in den urbanen Ghettos – sind auch die Kritiker des neuen Gesetzes überzeugt. Doch sie weisen darauf hin, daß wahre Reformen, welche die Abhängigkeit vom Staat durch Programme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt ersetzen sollen, mittelfristig nicht weniger, sondern mehr Geld kosten. Mit ihrer Zustimmung zu dem Gesetzentwurf, so schrieb die Politologin Frances Fox Piven gestern in der New York Times, folge die US-Regierung nun einer Sozialpolitik, wie sie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das viktorianische England betrieben habe. Deren Motto lautete: Arbeitshaus statt Hilfe zur Arbeit. Andrea Böhm, Washington