In Nordkorea verschärft sich die Krise: Lockdown im abgeschotteten Land

Nordkoreas Regime gibt erstmals Covid-19-Infektionen zu. Für die unterernährte Bevölkerung könnte eine humanitäre Tragödie bevorstehen.

Kim Jong Un sitzt an einer langen Tafel mit Mitglieder der regierenden Arbeiterpartei

Kim Jong Un bei einer Sitzung des Zentralkomitees der regierenden Arbeiterpartei, Mai 2022 Foto: KCNA/KNS/ap/dpa

PEKING taz | Schon zu Wochenbeginn gelangten Gerüchte eines Lockdowns aus Pjöngjang an die Außenwelt. Am Donnerstag gab Nordkorea erste Coronafälle zu. Machthaber Kim Jong Un ordnete laut staatlicher Nachrichtenagentur KCNA an, alle Städte und Landkreise abzuriegeln. Und trug erstmals selbst eine Maske: eine eindringliche Botschaft, wie ernst die Lage sein muss.

Bislang beruhte die epidemiologische Strategie des bitterarmen Landes nur auf vollständiger Isolation. Die Grenzen ins Ausland wurden so abgeriegelt, dass auch der Handel mit China fast zum Erliegen kam. Erst im Januar nahm der Zugverkehr wieder Fahrt auf, wurde aber drei Monate später nach einem Infektionsausbruch in Chinas Grenzstadt Dandong wieder gestoppt.

Die Paranoia des Regimes gegenüber Corona ist begründet: Der Erreger trifft auf eine Bevölkerung von 26 Millionen Menschen, die laut UN zu 40 Prozent unterernährt ist. Dabei ist das Gesundheitssystem so rudimentär, dass es in ländlichen Gebieten an fundamentalen Geräten sowie Antibiotika mangelt.

„Insgesamt sind dies schreckliche Neuigkeiten für die Bevölkerung, und wir könnten kurz vor der schlimmsten Coronakrise der Welt stehen“, twitterte Chad O’Car­roll vom Fachmedium NK News. Kurzfristig könne das Land nichts anderes unternehmen als einen vollständigen Lockdown.

Kaum Testkapazitäten

Zumindest den kann der Staat effektiv umsetzen, schließlich ist Nordkorea ein strenger Überwachungsstaat. Doch könnte auch der Lockdown selbst die drohende Katastrophe befeuern. So werfen die Maßnahmen ganz praktische Fragen auf: Der Staat hat kaum Testkapazitäten. Seit Pandemiebeginn wurden laut offiziellen Angaben nur etwas mehr als 64.000 Menschen PCR-getestet. Da lässt sich wohl kaum genau bestimmen, wann das Infektionsgeschehen effektiv eingedämmt wurde.

Zudem ist noch bis Ende Juni Aussaat. Wenn diese durch Ausgangssperren beschränkt wird, dürfte wegen der fragilen Versorgung im Winter eine Hungersnot folgen.

Offen ist dabei, ob das Land internationale Hilfe überhaupt hereinlassen wird. Denn sämtliche Importe werden als Infektionsgefahr gesehen. Bisher müssen deshalb alle Waren aus Güterzügen an der Grenze drei Monate in Quarantäne.

Spekulationen um Zeitpunkt der Bekanntgabe

Nordkorea-Forscher wie Christopher Green von der Universität Leiden halten die jetzige Ankündigung des Regimes nur für einen Teil der Wahrheit. Wahrscheinlich kursiere das Coronavirus schon länger in dem abgeschotteten Land. Vielleicht äußere sich Kim Jong Un erst jetzt, weil er ein taktisches Kalkül verfolge. Doch darüber herrscht bislang große Ungewissheit.

Kim Jong Un hat wiederholt abgelehnt, Vakzine über die internationale Covax-Initiative anzunehmen. Die offizielle Begründung: Man wolle nicht die verfügbaren Totimpfstoffe, sondern lieber auf MRNA-Impfstoffe warten. Doch diese benötigen eine ausgeklügelte Tiefkühlkette, die Nordkorea gar nicht sicherstellen kann.

Die wohl größte Tragödie ist das politische Versagen des Regimes. Es hat auch während der Pandemie die spärlichen Ressourcen des Landes weiter vor allem in sein Militärprogramm gesteckt. Allein in diesem Jahr führte Kim Jong Un 16 Waffentests durch, den letzten Raketentest am Donnerstag – just zur Ankündigung des Corona­lockdowns.

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