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In Kyjiw ohne Strom und WasserUngleich verteilte Ausfälle

Erneut hat unser Autor kein Licht und muss mit dem Eimer zur Toilette gehen. Aber ein Freund kann in seinem Haus jederzeit den Aufzug benutzen.

Russische Angriffe sorgen dafür, dass es in der ukrainischen Hauptstadt zuweilen zappenduster ist Foto: Felipe DanaIdpa

E in morgendlicher Griff an den Heizkörper und ich weiß, was los ist. Eiskalt. Bisher hatten wir in der Gemeinschaftswohnung immer nur keinen Strom oder kein Internet, nun haben wir also keine Wärme. Abwechslung macht das Leben interessant.

Auch der Kühlschrank gibt keinen Laut von sich. Mir schwant Schlimmes. Die 75-jährige Rentnerin Nadja greift zum Telefon. Wenigstens das funktioniert. „Walja, guten Morgen“, sagt sie zu ihrer Freundin. „Wie geht’s? Wir haben keinen Strom.“ „Und wir haben dafür kein Wasser“ antwortet ihr Walja. „Moment mal“ sagt Nadja. „Ich geh mal gucken.“ Und nach einer halben Minute ist sie wieder am Telefon. „Wir haben auch kein Wasser“, sagt sie, schon mit etwas höherer Stimmlage. „Und wir, das merke ich erst jetzt, haben auch keinen Strom“, antwortet ihr Walja.

Wieder einmal hat Russland zugeschlagen. Wieder einmal ist die Energieversorgung in der ganzen Ukraine in Mitleidenschaft gezogen. Und die Menschen reagieren inzwischen anders auf diese Luftschläge als noch vor einigen Monaten. Damals, zu Beginn des Krieges, da war man noch fassungslos, da haben viele ihre Verwandten in Russland angerufen und ihnen erzählt, was wirklich los ist. Es war fast eine Enttäuschung: Es könne doch nicht sein, dass Russland uns so was antut, lautete die Haltung im März.

Inzwischen ist die Enttäuschung einer tiefen Gewissheit gewichen, dass „die Russen halt so sind; dass sie es nun mal so an sich haben, ab und zu mal ein paar Raketen zu ihren Nachbarn rüberzuschicken“. Verachtung ist schlimmer als Hass. Gleichzeitig denkt man bei einem Raketeneinschlag, bei Strom- und Wasserausfall erst mal an sich. Man sucht seine Akkulampe, geht mit einem Eimer Wasser zur Toilette, zieht sich wärmer an. Bei Regen denkt man ja auch nicht über den Regen nach, sondern überlegt, wo sich momentan der Schirm befindet.

Die in der Innenstadt haben mehr Strom

Auf dem Weg in die Stadt am Vormittag bin ich froh, dass ich ein Fahrrad habe. Nicht einmal die U-Bahn fährt. Gut, dass es regnet. Ist also nicht so kalt heute Abend in meiner Wohnung.

„Nimm doch den Aufzug, ich bin im 11. Stock“, sagt mir Dmytro, ein ukrainischer Bekannter und Anwalt. Er hat sich in einem Hochhaus in Bahnhofsnähe einquartiert. „Was ist das Problem?“, fragt er verwundert, als er merkt, dass ich zögere. „Hab ja schon einige Geschichten von Leuten gehört, die im Aufzug steckengeblieben sind, als der Strom plötzlich ausgefallen ist“, sage ich ihm. „Nein, nein, keine Sorge“ antwortet er. „Hier bei uns gibt es immer Strom. Warum? Das ist das Geheimnis des Besitzers. Wahrscheinlich weil unser Nachbar gegenüber im Ministerium ist.“ Ich gehe zuerst noch mal zur Toilette, bevor ich mich in den Aufzug wage.

Mit den Stromausfällen hat man sich ja fast schon abgefunden. „Was ist ein Strom- und Wasserausfall im Vergleich zu dem, was die an der Front erleben. All die zerschossenen Wohnungen dort“, sagt sich Nadja am Abend. Nur die Ungerechtigkeit stört viele. Die in der Innenstadt haben mehr Strom als die Menschen in den Randgebieten. Und auch da ist es unterschiedlich. Oftmals hat ein Haus Strom und das Nachbarhaus keinen.

Will man erkennen, ob nur das eigene Haus vom Stromausfall betroffen ist oder das ganze Viertel, reicht ein Blick auf das Smartphone. Wenn kein einziges WLAN angezeigt wird, heißt das, dass niemand im Viertel Strom hat. Wenn dagegen mehrere Verbindungen offen sind, nur der Kontakt zum eigenen Router nicht möglich ist, dann heißt das, dass wieder einmal nur man selbst im Dunkeln hockt. „Ich habe gerade bei der Wohnungsverwaltung angerufen, wollte Druck machen, dass sie uns auch mal Strom geben, nicht nur immer den Nachbarn“, sagt Nadja. „Und wissen Sie, was die am anderen Ende der Leitung gesagt haben: ‚Wir verstehen Sie so schlecht, sprechen Sie bitte etwas lauter – nein, besser noch, rufen Sie bitte morgen Vormittag noch mal an‘.“

Ein gutes Zeichen ist es, wenn die angezeigten WLAN-Accounts im PC immer mehr werden. Das heißt, dass der Strom nah ist. Und dann gegen 22 Uhr höre ich es aus der Küche – der Hahn tröpfelt. Sehr schön. Es geht aufwärts. Gleichwohl ist immer noch keine Energie da – ich drehe den Lichtschalter auf „on“. Denn ich will vom Licht geweckt werden, von der freudigen Nachricht, dass wir wieder Anschluss haben. Und dann werde ich erst mal alle Akkus in die Steckdose stecken – und diesen Text an die taz schicken.

Leider sind Heizung, Strom und Wasser immer noch weg – Internet läuft aber inzwischen wieder.

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Bernhard Clasen
Journalist
Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.
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1 Kommentar

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  • Bei nachhaltiger Zerstörung des Verteilnetzes nützt sicher auch eine Nachbar der im Ministerium arbeitet nichts, sowas deutet eher auch eine funktionierende Notstromversorgung hin.