In Kiel heißt der Verlierer SPD: So gehen Niederlagen
Die SPD hatte in Kiel alles in der Hand. Sie hat sich mit Kandidat Ulf Daude selbst abgeschossen und mit schäbigem Vorgehen gegen die Grünen blamiert.
D er Verlierer der Kieler Oberbürgermeisterwahl ist weder die CDU noch ihr Kandidat Gerrit Derkowski. Verlierer ist die SPD. Und die ist so was von selbst schuld.
Das muss man erst mal hinkriegen: In einer ewigen Hochburg wie Kiel nicht mal in die Stichwahl kommen! Und das, obwohl der amtierende OB Ulf Kämpfer ein Genosse ist, durchaus beliebt und aus eigenem Antrieb nicht mehr angetreten. Weil er sich zu Höherem berufen fühlt, nämlich in zwei Jahren gegen den noch viel beliebteren Daniel Günther (CDU) die Landtagswahl zu verlieren.
Die SPD hatte in Kiel alles in der Hand: Sie hätte versuchen können, Kämpfer zu bequatschen, dass er noch eine Legislaturperiode dranhängt. Sie wusste rechtzeitig Bescheid, um einen Nachfolgekandidaten aufzubauen.
Wenn ihr Personaltableau denn wirklich so dünn ist – was auch einiges über die SPD sagen würde–, hätte sie auch einen Kandidaten von außen suchen können. Es wäre sogar möglich gewesen, einen Parteilosen zu nominieren, wie es die CDU mit dem Politik-unerfahrenen Journalisten Derkowski getan hat.
So blass wie nur möglich
Aber nein. Die SPD stellt mit Ulf Daude den blassestmöglichen Kandidaten auf. Das Highlight in dessen Lebenslauf lautet: „Wechsel der Beamtenlaufbahn vom Schuldienst in den Allgemeinen Verwaltungsdienst“.
Und dann wundert die SPD sich hinterher furchtbar, dass sie nicht gewonnen hat. Daude selbst sogar so sehr, dass er es nicht über sich bringt, eine Wahlempfehlung für den Grünen-Kandidaten Samet Yilmaz auszusprechen. Obwohl der immerhin die stärkste Ratsfraktion hinter sich hat, die mit der SPD seit langem vertrauensvoll verbunden ist.
Oder muss man sagen: war? Denn im Wahlkampf war davon nichts zu spüren. Die SPD stimmte mit der CDU für die Vernichtung von Grünflächen. Als Yilmaz seine Position beim Verfassungsschutz verlor, entblödete sich die SPD nicht, im Zuge der aufkommenden Schmierenkampagne den angeblichen Vorfall – er hatte einen Anruf eines Graue-Wölfe-nahen Vereins an die Stadtverwaltung weitergeleitet – noch in den Innenausschuss zu zerren. Schäbig.
So geht man mit Partnern nicht um. Viel schlimmer ist aber, dass die SPD damit auch ihre eigenen Inhalte verrät. Derkowski hatte populistisch Stimmung gegen die längst beschlossene Straßenbahn gemacht – ein Herzensprojekt der SPD, nicht nur der Grünen (dem einst übrigens auch die CDU zugestimmt hatte). Die SPD hätte lieber ihr Scheitern in Kauf genommen, als den grünen Kandidaten in der Stichwahl zu unterstützen.
Schlimmer noch: Der rechte Parteiflügel schob den 85-jährigen früheren OB Norbert Gansel vor. Der hatte sich seit Jahren nicht mehr öffentlich politisch geäußert. Nun sprach er in den Kieler Nachrichten eine Empfehlung für Derkowski aus. Die Begründung war kurios: „Wir brauchen jetzt einen Moderator mit Lebenserfahrung, der auch neue Ideen und Wege aufzeigen, repräsentieren und auch führen kann. Keinen Bürokraten.“
Moderator, das ist Derkowski, allerdings nur im Fernsehen, bekannt aus der Tagesschau. Sein Manko, keine Verwaltungserfahrung zu haben, wendete Gansel dreist in einen Vorteil. Das ist dumpfer Populismus nach Trump-Art, einfach nur unwürdig. Aber niemand in der Partei fiel Gansel in den Arm.
Die Antwort haben die Kieler Wähler:innen gegeben. Auch viele SPD-Wähler:innen übrigens. Sie haben den Grünen Yilmaz von Platz zwei zu einem komfortablen Sieg in der Stichwahl getragen.
Vorsicht, Genossen!
Einen Kandidaten übrigens, der das hingelegt hat, was man früher eine sozialdemokratische Bilderbuchkarriere genannt hätte: Hauptschule, Lehre, zweiter Bildungsweg, Studium, Promotion – und nun Oberbürgermeister.
Die SPD muss nun wirklich aufpassen, dass sie die parteipolitischen Mätzchen bleibenlässt und zurück zu ihrem Profil, zur Sachpolitik findet. Sonst wird die Niederlage bei der Landtagswahl bitterer als sie müsste.
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