In Äthiopien droht eine Hungersnot: Eine „vergessene Katastrophe“
Die Dürre hat den Hunger zurück nach Äthiopien gebracht. Mehr als zehn Millionen Menschen brauchen dringend Nahrungsmittel. Doch für Hilfe fehlt das Geld.
Zunächst müsse eine Hungersnot verhindert werden, forderte Röttger. Dann brauche Äthiopien langfristige Unterstützung, um sich wegen des Klimawandels besser auf extreme Wetterbedingungen wie wiederholte Dürreperioden vorzubereiten. „Die Menschen brauchen Hilfe, um widerstandsfähiger zu werden“, sagte Röttger.
Den Vereinten Nationen zufolge werden dieses Jahr etwa 2,2 Millionen Kinder unter fünf Jahren mangelernährt sein, 450.000 äthiopische Kinder brauchen deswegen medizinische Behandlung. Etwa 10,2 Millionen Menschen sind demnach in diesem Jahr zum Überleben auf internationale Hilfe angewiesen. Die äthiopische Regierung versorgt zudem bereits acht Millionen Bürger mit Nahrungsmitteln.
Die Dürre im Norden und Osten des Landes wurde Experten zufolge vom globalen Klimaphänomen El Niño ausgelöst. Bis zum Beginn der nächsten Ernte im September wird sich die Hungerkrise wohl noch weiter zuspitzen.
Synonym für Hungersnöte
Äthiopien wurde Mitte der 1980er Jahre zum Synonym für Hungersnöte. Schätzungen zufolge kamen damals Hunderttausende ums Leben. Fotos von ausgemergelten, apathischen Menschen und Kindern mit Hungerbäuchen gingen um die Welt. Das weltweite Entsetzen führte unter anderem zu dem von Musiker Bob Geldof angeschobenen historischen Live Aid Konzert im Juli 1985. Auf Bühnen in Philadelphia (USA) und London traten die internationalen Topstars der damaligen Musikszene auf – insgesamt sollen mehr als 100 Millionen Euro Spendengelder eingenommen worden sein.
Die damals in Äthiopien regierende kommunistische Militärdiktatur wurde 1991 gestürzt. Seither bemüht sich die autokratische Regierung des Landes darum, das Image als „Hungerland“ abzuschütteln. Sie versucht die Berichterstattung über die Hungerkrise zu unterdrücken.
Die Regierung will Äthiopien als wirtschaftlich aufstrebendes Entwicklungsland mit Wachstumsraten von rund zehn Prozent wahrgenommen sehen. Millionen hungrige Menschen passen da schlecht ins Bild. Doch das Land ist angesichts des Ausmaßes der Katastrophe überfordert.
Bekämpfung von Fluchtursachen
In Deutschland werde die Dürre-Katastrophe auch angesichts der Flüchtlingskrise kaum wahrgenommen, sagte Röttger. Doch dies sei sehr kurzfristig gedacht. „Was die Weltgemeinschaft hier macht, ist die Bekämpfung von Fluchtursachen.“ Momentan fliehe noch kaum jemand aus Äthiopien nach Europa, aber dies könne sich bei einer Verschlechterung der Lage schnell ändern. „Vielleicht in zwei bis drei Jahren – die Mobilität steigt weltweit“, sagte Röttger.
In diesem Jahr werden zur Bekämpfung der Dürrekrise den UN zufolge mindestens 1,5 Milliarden Dollar benötigt. Bis Mitte Mai wurden jedoch von Äthiopien und internationalen Gebern – allen voran die USA, die EU und Großbritannien – erst 830 Millionen Dollar bereitgestellt. Es fehlen also noch rund 45 Prozent.
Schauspielerin Natalia Wörner, eine Botschafterin der Organisation Kindernothilfe, zeigte sich nach einem Besuch in den Dürregebieten erschüttert. Die Reserven der Menschen seien in vielen Landesteilen nach fast zwei Jahren ohne Regen einfach aufgebraucht. „Wir haben unter anderem mit Eltern gesprochen, deren Kinder gestorben sind, weil sie einfach nichts zu essen hatten und verdrecktes Wasser trinken mussten“, sagte Wörner.
Die Menschen hoffen nun auf die im Juli beginnende Regenzeit, damit sie im September ernten können. „Wenn es jetzt nicht anfängt zu regnen, dann potenziert sich diese Krise. Dann wird absolute Verzweiflung um sich schlagen“, warnte Röttger.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen