Impfstoff gegen Malaria: Der Gamechanger
Jede Minute stirbt ein Kleinkind an Malaria. Kann ein neuer Impfstoff das ändern? In Uganda ist die Hoffnung groß.
In Ostafrika hat gerade die Regenzeit eingesetzt. Das mache sich stets in der Kinderklinik bemerkbar, berichtet Ärztin Sanyu Nalunga, die die Abteilung leitet. „Dann nimmt die Zahl unserer Malariapatienten deutlich zu“, sagt sie. Die Kinderärztin ist auf komplizierte Verläufe der Malaria-Infektion bei Kindern spezialisiert. Sie weiß: Sobald nach heftigen Regenfällen die Stechmücken, die die Parasiten übertragen, in den Pfützen und Wasserrückständen ihre Eier ablegen und die Larven schlüpfen, füllt sich die Notaufnahme in der Kinderklinik.
Nalunga sitzt im zweiten Stock des Backsteingebäudes des katholischen Krankenhauses in einem dunklen Behandlungszimmer an ihrem Schreibtisch. Zwischen zwei Patienten schreibt sie Notizen in deren Krankenakten, tippt Befunde in ihren Computer. Die junge Ärztin ist hochschwanger und hat bereits zwei Kinder. „Bei Kindern kann Malaria besonders schwere Komplikationen hervorrufen.“ Dazu gehören Blutarmut, Krampfanfälle, Kreislaufkollaps und Nierenversagen. All dies geschieht in nur wenigen Tagen, wenn die Eltern nicht sofort die Symptome erkennen und zur Behandlung kommen. Dann könnten sich die Parasiten im Körper ungehindert ausbreiten und befielen die Organe, auch das Gehirn, sagt Nalunga. „Es ist eine der tödlichsten Krankheiten für Kinder in Uganda“, so die Ärztin, „sie gehört in meiner Abteilung zu einer der drei häufigsten Todesursachen bei Patienten unter fünf Jahren.“
40 Prozent der Welt sind Malaria-Gebiet
Jede Minute stirbt ein Kleinkind dieser Welt an Malaria. Vor allem in Afrika gilt die Tropenkrankheit als eine der tödlichsten bei Kleinkindern. Laut den Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 2021 sind allein in Afrika über eine halbe Million Kinder daran gestorben. Doch das soll sich nun ändern: Als „Durchbruch“ bezeichnet die WHO die großangelegte Versorgung afrikanischer Gesundheitssysteme mit dem neu entwickelten Malaria-Impfstoff.
Rund 18 Millionen Dosen des Impfstoffes sollen ab Beginn des nächsten Jahres in zwölf afrikanischen Ländern verteilt werden, so die WHO. Vorrang erhalten Länder wie Uganda, die Demokratische Republik Kongo, Burundi oder Kamerun, wo die Infektionsraten aufgrund der tropischen Klimazonen am höchsten sind. Weitere 28 afrikanische Länder haben ihr Interesse bekundet. Das UN-Kinderhilfswerk Unicef gilt als einer der Hauptabnehmer, um die Impfung in Flüchtlingslagern anzubieten. „Bei dieser ersten Zuteilung von Malaria-Impfstoffdosen haben Kinder Vorrang, denn sie haben das höchste Risiko, an Malaria zu sterben“, so Dr. Kate O’Brien, die für Impfstoffe zuständige WHO-Direktorin.
Die tropische Krankheit, die in Deutschland auch Sumpffieber genannt wird, wird durch Parasiten übertragen, die in Moskitos nisten. Typische Wirte sind die Anopheles-Stechmücken, die vor allem in den warmen und feuchten Tropen und Subtropen heimisch sind. Laut Angaben des Robert-Koch-Instituts leben etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung in Malaria-Endemiegebieten, überwiegend in Ländern Afrikas, Asiens und Südamerikas, wobei Afrika mit etwa 90 Prozent der Fälle am meisten betroffen ist. Insgesamt erkranken weltweit schätzungsweise 200 Millionen Menschen pro Jahr, rund 600.000 Menschen sterben daran, drei Viertel davon sind Kinder unter fünf Jahren. Sie gilt damit als die häufigste Infektionskrankheit der Welt.
Und sie breitet sich immer weiter aus. In Deutschland wurden in den letzten Jahren durchschnittlich knapp 600 Fälle gemeldet. Dabei handelte es sich vor allem um eingeschleppte Infektionen von Reisenden, die sich beispielsweise in Afrika angesteckt haben. Immer häufiger werden Reisende aber auch in Flugzeugen gestochen oder von Mücken, die im Gepäck mitreisen. Auch durch den Welthandel breiten sich die Mücken aus, warnt Ugandas Virusinstitut, eine der führenden Einrichtungen zur Erforschung von Tropenkrankheiten in Afrika. Laut den dortigen Virologen wurden in den vergangenen Jahren vermehrt asiatische Moskitos und Parasiten in Ostafrika entdeckt, die über Container und Importwaren aus Asien eingeschleppt wurden. Diese asiatischen Stechmücken brüten vor allem in städtischen Gebieten: in Regenrinnen oder Regentonnen. Bislang war Malaria in Ostafrika eher ein Problem der ländlichen Bevölkerung. Dort legen die Moskitos ihre Eier in Wasseransammlungen auf Maisfeldern und in Bananenhainen.
Zunehmend werden aber auch Malariamoskitos nun in Europa und den USA entdeckt: vereinzelt in Griechenland, Spanien und Portugal. Ende Juni gab das amerikanische Zentrum für Krankheitskontrolle und -prävention eine Warnung heraus, nachdem sechs Menschen in Florida und Texas daran erkrankt waren. Forscher warnen, dass sich die Krankheit aufgrund des Klimawandels auch im Globalen Norden immer weiter ausbreiten kann.
RTS,S/AS01, genannt „Mosquirix“
Die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Malaria war bislang eine besondere Herausforderung. Der Grund liegt in der schwachen Immunantwort des menschlichen Körpers bei einer Infektion. Die typische Strategie, mit Hilfe abgeschwächter oder toter Erreger in einem Impfstoff quasi das Immunsystem anzuregen, um Abwehrmechanismen zu aktivieren, geht hier nicht auf. Trotz intensiver Forschungen gibt es deswegen weltweit nur einen Wirkstoff, der sich derzeit im Zulassungsverfahren befindet.
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Getestet wurde er seit 2019 in einem Pilotprojekt an fast einer Million Kindern. Auch wenn die Immunantwort im Vergleich zu anderen Impfungen gering war, hat der Wirkstoff dennoch vielversprechende Wirkung gezeigt. Jetzt hat die WHO gemeinsam mit der internationalen Impfallianz Gavi, die die Entwicklung und Produktion des Stoffes mitfinanziert hat, eine Empfehlung herausgegeben, die Impfung in weiteren Ländern Afrikas anzuwenden. Als „Hoffnungsschimmer“ für den afrikanischen Kontinent bezeichnete WHO-Afrikadirektorin Matshidiso Moeti diese Nachricht.
Der Name des Impfstoffes lautet in der Forschung RTS,S/AS01, genannt wird er meist aber „Mosquirix“. Es waren viele Impfstoffkandidaten in den vergangenen Jahren im Rennen, doch nur Mosquirix hat es bislang durch alle Entwicklungsphasen bis hin zur Empfehlung durch die WHO geschafft. Er wurde von dem britischen Pharmakonzern GlaxoSmithKline (GSK) entwickelt und wirkt vor allem gegen den Erreger Plasmodium falciparum – den tödlichsten Malariaparasiten weltweit und am weitesten verbreiteten in Afrika.
Bereits im Jahr 2016 wurde RTS,S/AS01 von der WHO empfohlen, allerdings zunächst nur für die Anwendung in Pilotprojekten. In Ghana, Kenia und Malawi wurde der Impfstoff zunächst Erwachsenen und später auch Kindern verabreicht, um noch mehr über die Immunantwort im Menschen zu erfahren und den Einsatz medizinisch zu überwachen. In den drei genannten Ländern wurde das Präparat von den jeweiligen Gesundheitsbehörden zugelassen und seit 2019 angewandt. Im Jahr 2021 hat die WHO den Impfstoff für eine weltweite breite Nutzung empfohlen. Im Juli wurde nun bekannt gegeben, dass rund 18 Millionen Dosen zur Verfügung stünden. Diese sollen in den Hauptmalariagebieten verabreicht werden, bis Nachschub im großen Stil weltweit verfügbar ist. Die Massenproduktion läuft erst an.
Anfang 2024 geht es los
Uganda ist eines der Länder, die den Impfstoff zügig erhalten sollen. Das Gesundheitsministerium teilt der taz auf Anfrage mit, dass die ersten Dosen „voraussichtlich Anfang 2024 eintreffen werden“. Bis dahin soll der Zulassungsprozess abgeschlossen sein und Mosquirix in die Liste der Impfempfehlungen für Kleinkinder in den ersten zwei Lebensjahren aufgenommen werden.
Für Kinderärztin Nalunga ist dies ein „Gamechanger“, was die Überlebensrate ihrer kleinen Patienten anbelangt, sagt sie. Sie war Mitglied im Ärztekomitee, das Ugandas Gesundheitsbehörde diesbezüglich beraten hat. „Von 2024 werden wir hier hoffentlich systematisch alle Kinder damit durchimpfen“, sagt Nalunga, während sie zur nächsten Krankenakte auf ihrem Schreibtisch greift und aufsteht, um bei dem kranken Jungen, der sich im Wartesaal immer noch schreiend auf dem Boden wälzt, einen Malariatest durchzuführen. Und fügt hinzu: „Bald werden wir hoffentlich weniger solcher Fälle haben.“
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