Impf-VordränglerInnen ausbremsen: Es braucht ein klares Stopp-Signal
Wer beim Impfen vordrängelt, schadet anderen. Und wer dabei die Rechte von Schutzbefohlenen verletzt, sollte nicht mit einem Bußgeld davonkommen.
E s kursieren derzeit zwei Erklärungen fürs Vordrängeln beim Impfen: Man habe übrige Impfdosen vor dem Verfall bewahren wollen, heißt die eine. Die zweite: Man sei in engem Kontakt zu vulnerablen Gruppen, deshalb sei es zu deren Schutz, wenn man selbst geimpft werde. Dabei geht es dann nicht etwa um Pflegekräfte, sondern um VerwaltungmitarbeiterInnen der oberen Ebene wie jüngst in Hamburg.
Die erste Erklärung ist etwas weniger jämmerlich als die zweite: Es geschieht tatsächlich, dass Impfdosen nicht wie geplant eingesetzt werden können. Aber für genau diese Fälle lässt sich vorsorgen – durch eine gut gepflegte Warteliste von ImpfkandidatInnen, durch genaue Regelungen, wie mit Restdosen alternativ Rettungskräfte oder Impfpersonal geimpft werden.
Die zweite Erklärung ist schlicht ein Armutszeugnis. Und der Hamburger Fall ist um so erbärmlicher, als die Betreffenden unmittelbar vor Augen haben, wem sie die Impfdosen wegnehmen: den AltenheimbewohnerInnen, die ihrer Sorge anvertraut sind und den Pflegekräften, die täglich in unmittelbarem Kontakt mit ihnen stehen.
Man muss nicht einmal den altertümlich wirkenden Begriff von Vorbildfunktion bemühen: Es geht schlicht um Ehrlichkeit und Verantwortung. Derzeit trägt man die schon in jedem banalen Supermarkt an der Kassenwarteschlange. Nach einem Jahr Pandemie liegen bei vielen die Nerven blank und was zu Beginn an Solidarität zu spüren war, bröckelt. Um so klarer muss da das Stopp-Signal sein, wo die grundlegenden Regeln verletzt werden.
Wer jetzt seine Position nutzt, um auf Kosten von Schwächeren geimpft zu werden, der sollte nicht mit einem Bußgeld davonkommen, das Gesundheitsminister Spahn ohnehin noch auf den Weg bringen muss. Das ist so inakzeptabel, dass die Verantwortlichen auf ihren Posten nicht zu halten sind. Und wenn das Arbeitsrecht das nicht hergibt, dann sollte das der gesellschaftliche Druck tun.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Bisheriger Ost-Beauftragter
Marco Wanderwitz zieht sich aus Politik zurück