Immer mehr Zweifel an den Vorwürfen: Der Bamf-Skandal, der keiner ist
Der Revisionsbericht des Bamf ist fehlerhaft, von den Vorwürfen gegen die Bremer Außenstelle ist kaum etwas übrig. Peinlich ist das auch für Seehofer.
Der Revisionsbericht des Bundesinnenministeriums zu den Unregelmäßigkeiten in der Bremer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) weist Fehler auf. Recherchen von NDR und Radio Bremen zufolge sind die Prüfer*innen bei ihrer Sichtung der Akten von falschen rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen.
So hatte die Revision vorausgesetzt, dass Bremens Außenstelle nur für die dem kleinsten Bundesland zugeteilten Geflüchteten zuständig gewesen sei. Diese Regelung war aber von der Bamf-Zentrale schon Ende 2014 gelockert worden. Das sei der Innenrevision „zum Zeitpunkt der Prüfung nicht bekannt“ gewesen, zitiert Radio Bremen die Antwort des Bamf.
Dem Vorwurf, dass in Bremen ohne örtliche Zuständigkeit Verfahren erledigt worden seien, kommt in den bisherigen Beschuldigungen großes Gewicht zu. Auch die Innenrevision fand befremdlich, dass 2013 bis 2016 in Bremen 1.371 Asylentscheidungen getroffen wurden, obwohl die Außenstelle nach Bundeslandschlüssel nur 142 hätte bearbeiten müssen. Allerdings hatte die Bamf-Zentrale schon im Dezember 2014 angeordnet, dass „im Einvernehmen mit dem niedersächsischen Innenminister“ dort, wo in der Erstaufnahmeeinrichtung noch kein Antrag hatte gestellt werden können, „die Ladung in die Außenstelle, die zu dem Wohnort der Antragsteller/in günstig gelegen ist“ zu erfolgen habe. In Niedersachsen betraf das im Frühjahr 2015 fast die Hälfte der Fälle. Gleichzeitig wurde festgelegt, dass Bremen mindestens für Fälle aus dem Kreis- und Stadtgebiet von Cuxhaven zuständig sein sollte.
Eine sinnvolle Revision hätte zunächst die Rechtslage des fraglichen Zeitraums zu rekonstruieren. Die war kompliziert: Weil die Bundespolitik versäumt hatte, eine EU-Verfahrensrichtlinie von 2013 in deutsche Gesetze zu übertragen, wurde diese auch national bindend. Der Richtlinie „kommt ab 20. Juli 2015 eine unmittelbare innerstaatliche Wirkung zu“, informierte die Bamf-Zentrale in einem Leitfaden ihre Mitarbeiter*innen. Offenbar war man auch in Nürnberg davon überrascht: Das Schreiben datiert selbst vom 20. Juli 2015.
Von der neuen Richtlinie betroffen waren Regelungen der Antragstellung, der Einsatz von Sprachmittler*innen, aber auch die Frage der Verfahrensgarantien und der Pflichten des Bamf. Die komplexen Folgen für die Einzelfallbearbeitungen stellt der Leitfaden juristisch sehr anspruchsvoll dar. Gleichzeitig wurden die Anträge zu diesem Zeitpunkt von Tausenden ad hoc eingestellten und kurz geschulten Hilfsmitarbeiter*innen bearbeitet. Viel dazuzulernen für die ohnehin schon überforderten Entscheider*innen.
Ein auffälliger Fehler des Revisionsberichts ist zudem, dass dort von mehreren beschuldigten Bamf-Mitarbeiter*innen die Rede ist – obwohl die Staatsanwaltschaft bislang nur gegen die ehemalige Außenstellenleiterin Ulrike B. ermittelt, wie Sprecher Frank Passade bestätigt. Zwar sei auch eine Anzeige gegen Bamf-Präsidentin Jutta Cordt eingegangen, aber da habe bloß jemand „die Presseberichterstattung zum Anlass für eine Anzeige genommen“. Das sei folglich „nichts, was wir aktuell bearbeiten“.
Mittlerweile ist außerdem klar, dass sich die häufig genannte Zahl unrechtmäßiger Asylentscheidungen aus Bremen, nämlich 1.200, nicht aufrechterhalten lässt: Die internen Prüfer kamen laut Bericht zu dem Schluss, dass in 578 Fällen ein Widerruf der Entscheidung geboten sei. Selbst das muss nicht heißen, dass der Bescheid bei Erlassung rechtswidrig war, sondern kann auch deshalb nötig sein, weil sich Rechts- oder Sachlage geändert haben.
Peinlich ist das alles auch für das Innenministerium: Sein Urteil hatte Seehofer schon am 23. Mai verkündet. Da teilte seine Pressestelle, gestützt auf den Revisionsbericht, mit, dass „im Ankunftszentrum Bremen bewusst gesetzliche Regelungen und interne Dienstvorschriften missachtet wurden“. Auf die Nachfrage, um welche es sich dabei konkret handele, erhielt die taz zunächst lange keine Antwort. Vergangenen Freitag antwortete schließlich ein Ministeriumssprecher telefonisch: „Das, was ich Ihnen sagen kann, wird Sie nicht zufriedenstellen.“ Denn: „Auf die Frage können wir keine Antwort geben.“
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