: Immer lauter, immer schriller
Molukken-Massaker treiben Indonesiens Muslime zu massivem Protestmarsch in Jakarta. Präsident Wahid und Vizepräsidentin Sukarnoputri geraten unter Druck ■ Von Jutta Lietsch
Bangkok (taz) – Zehntausende, möglicherweise über 100.000 Muslime haben gestern auf dem Unabhängigkeitsplatz der indonesischen Hauptstadt Jakarta gegen die Unfähigkeit ihrer Regierung demonstriert, das Blutvergießen zwischen Christen und Muslimen auf den Molukken zu beenden. Zahlreiche Teilnehmer der Protestveranstaltung riefen zum „Jihad“ (Heiliger Krieg) auf und riefen „Gott ist groß!“. Redner verschiedener Muslimparteien drohten, zugunsten der molukkischen Muslime in den Krieg zu ziehen. Andere Teilnehmer schworen Rache und forderten: „Blut muss mit Blut vergolten werden.“
Die Unruhen auf den Gewürzinseln im Osten des indonesischen Archipels stellen die Regierung von Abdurrahman Wahid vor eine neue, schwere Probe: Immer lauter und schriller werden die Stimmen in der Hauptstadt, die zum Schutz eines angeblich bedrohten Islam in Indonesien aufrufen, wo rund 87 Prozent der Bevölkerung Muslime sind. Auf Transparenten kündigten Demonstranten bereits in den vergangenen Tagen an, den Konflikt zwischen den Religionsgemeinschaften mitten ins Herz Indonesiens zu tragen: „Völkermord an Muslimen in Ambon kann auch Völkermord an Christen in Jakarta bedeuten!“, hieß es zum Beispiel. Auch in der indonesischen Presse, die nach dem Ende der Suharto-Diktatur keine Zensoren mehr fürchten muss, verschaffen sich immer häufiger religiöse Demagogen Gehör. Sie berichten zum Beispiel, dass Muslime von Christen gezwungen würden zu konvertieren.
Die renommierte „Kommission für verschwundene Personen und Opfer der Gewalt“ (Kontras) bezeichnete allerdings die Zahl der Opfer auf den Molukken in dieser Woche auf beiden Seiten als „etwa gleich“. Kontras-Chef Munir sagte: „In Regionen, wo die Christen in der Mehrheit sind, massakrieren die Christen die Muslime. In Gebieten, wo Muslime in der Mehrheit sind, massakrieren die Muslime die Christen.“
Alle Seiten werfen dabei dem Militär und der Polizei vor, zu Gunsten der jeweils anderen Religionsgemeinschaft einzugreifen. Die indonesische Marine hat inzwischen neun Kriegsschiffe ausgeschickt, die verhindern sollen, dass Waffen und radikale Gruppen in die Unruheregion gelangen.
Vizepräsidentin Megawati Sukarnoputri, die wegen ihres Abscheus vor politischer Gewalt von vielen Indonesiern verehrt wird, hat inzwischen viel von ihrer Popularität eingebüßt. Demonstranten forderten in den letzten Tagen ihren Rücktritt, da sie nichts für die Molukken getan habe. Für Präsident Wahid, der als Hüter eines moderaten Islam und Verteidiger einer sekulären Regierung angetreten ist, wird die Situation ebenfalls prekär: Denn er ist mit Hilfe der so genannten „Achsenkräfte“ – einer Allianz mehrerer konservativer Muslimparteien – an die Macht gekommen, deren Vertreter eine stärkere Rolle des politischen Islam fordern.
Dazu zählt der Chef der „Nationalen Mandatspartei“, Amien Rais, der wie ein politisches Chamäleon mal für mehr Liberalität und Offenheit gegenüber religiösen Minderheiten, mal für mehr Muslimrechte ficht. Auch gestern war er auf dem Unabhängigkeitsplatz dabei: Hinter den Unruhen auf den Gewürzinseln stehe der Versuch, den Islam in Indonesien zu schwächen, rief Rais.
Dabei weiß der Politikprofessor genau: Was als religiöse Unruhen zwischen Christen und Muslimen erscheint, hat seine Wurzeln in einem bösen Gemisch aus sozialen und politischen Problemen, die sich in den letzten Jahrzehnten aufgestaut haben. Unter Ex-Präsident Suharto waren Hunderttausende meist muslimische Bewohner dicht besiedelter Inseln auf die ursprünglich überwiegend christlichen Molukken umgesiedelt worden. Streit über Landrechte, Konkurrenz zwischen Händlern, Ärger über „fremde“ Beamte waren die Folge. Inzwischen sind rund 54 Prozent der knapp zwei Millionen Bewohner Muslime.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen