piwik no script img

Immer an der Wand langDie Mauer im Kopf?

Mauerstückchen und Grenzgänge - Gespräch über Standortvorteile und Berlin-Devotionalien

Beliebt bei Touristen: die East Side Gallery Bild: rtr

taz: Das Berlin-Marketing wirbt dieses Jahr schwerpunktmäßig mit 20 Jahren Mauerfall. Berlin, die ewige Mauerstadt?

Christian Tänzler: Wir haben gedacht, das ist primär ein deutsches Thema und vielleicht noch für die alliierten Kräfte. Aber die Resonanz auf das Thema ist grandios. Es rückt Berlin in den Fokus der Weltöffentlichkeit.

Welches Publikum kommt?

Alle. Junge Leute, die das gar nicht erlebt haben, aber auch viele ältere Leute, die sehen wollen, was sich verändert hat.

Standortvorteil Mauer?

Ich möchte es nicht missverstanden wissen als Disneyland. Berlin hat durch das ehemalige Mauergelände einen einmaligen Charme. Wenn man es runterbricht, ist ja alles, was so szenemäßig passiert, zwischen Kreuzberg und Friedrichshain auf dem ehemaligen Grenzgelände.

Und dieser ganze Mauerkitsch, also die Berlin-Devotionalien, ist das auch eine Idee des Berlin-Marketings?

Sie können natürlich bei uns in den Info-Stores Mauerstückchen kaufen. Das ist eines unserer bestverkauftesten Produkte.

Sind die alle echt?

Ja. Die sind garantiert echt mit Zertifikat. Es hat ganz pfiffige Leute gegeben, die gleich nachdem Mauerfall die Reste abtransportiert haben, und es gibt irgendwo Orte, die ich Ihnen nicht sagen könnte, selbst wenn ich wollte, wo diese gehortet sind.

Noch von damals?

Ja. Und diese werden gewinnbringend verkauft. Auch eine Form von Geschäftsidee in Zeiten der Krise.

Ist das Kontingent nicht irgendwann erschöpft?

Irgendwann ist es erschöpft.

Trabi-Kolonne am 10.11.1989, Grenzübergang Bornholmer Straße Bild: dpa

Und dann?

Dann müssen wir uns etwas Neues einfallen lassen. Vielleicht machen wir es wie Herr Wowereit und lassen Styropormauerstückchen von Künstlern und Kindern bemalen. Er war in den USA damit und es war ein Riesenerfolg.

Also die Mauer haben nicht wir Berliner im Kopf …

… Wenn Sie irgendwo im Ausland sagen, Sie kommen aus Berlin, da haben Sie meistens beim Gegenüber ein Leuchten in den Augen. Während die Berliner selber nicht immer stolz auf ihre Stadt sind.

Wenn Sie Berlin vermarkten müssen …

Dürfen!

dürfen, okay …

Lege ich Wert drauf!

welchen Spagat müssen Sie dann machen?

Also wir sind da sehr, sehr kleinteilig, was die spezielle Ansprache an unterschiedliche Zielgruppen betrifft.

Welche Rolle spielt der Nationalsozialismus?

Spielt eine Rolle mit abnehmender Tendenz. Grade Großbritannien und USA waren früher die klassischen Märkte für Holocaust und Faschismus. Doch gerade bei jungen Leuten in Großbritannien gilt, Berlin ist die Trend-Stadt: die Stadt für junge Mode, Streetfashion, für Musik, Ausgehen und Clubbing. Der Tresor ist immer noch die berühmteste Techno-Disco der Welt. Und das wird viel, viel stärker wahrgenommen als irgendwelche Dritte-Reich-Geschichten.

Welche Touristen kommen verstärkt?

Deutschland ist der wichtigste Markt mit rund 60 Prozent des Gästeaufkommens. Bei den ausländischen Märkten ist an erster Stelle Großbritannien, gefolgt von den USA. Dann geht das Gerangel los.

Ist der Zuwachs im Berlin-Tourismus nicht vor allem Resultat der Billigflieger?

Sicherlich ein Grund. Wir sind nach London-Stansted in Europa das größte Drehkreuz für Billigflieger.

Bild: S.Mihlan
Im Interview: 

Christian Tänzler

gelernter Wirtschaftsgeograf, passionierter Radfahrer, engagierter Pressesprecher des Berlin Tourismus Marketing.

Ihr ganz persönlicher Geheimtipp? Der dann nicht mehr geheim sein wird …

Ich hab kein Auto und bewege mich immer mit dem Fahrrad. Ich bin ein absoluter Fahrradfreak. Am liebsten umkreise ich auf dem Mauer-Radweg Berlin.

Na, wenn das jetzt mal nicht PR war für das Mauerjahr …

Nee, ist es nicht. Und ich kann Ihnen noch mehr verraten. Mein liebstes Stück, vor allem, wenn die Kirschen blühen, ist das Stück oberhalb des Mauerparks. Da haben die Japaner eine Kirschenallee gepflanzt. Das ist echt der Hammer!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

2 Kommentare

 / 
  • A
    anke

    Es soll Heilige gegeben haben, deren Reliquien in Summe deutlich schwerer waren als ihre Spender zu Lebzeiten. Ob wohl irgendwer eine Statistik führt über das Gewicht der verkauften Mauerteile? Ich meine: Wann wird man merken, dass die Mauer nicht Berlin sondern den gesamten Ostblock umgeben haben muss, wenn sie tatsächlich so lang und so hoch war, dass sie Souveniers hergibt, bis "das Kontingent [...] erschöpft" ist? Wo man doch beim besten Willen nicht einmal weiß, wo die anonymen Pfiffiküsse jene Mauerstücke eigentlich horten, die sie gleich nach der Wende clevererweise haben abtransportieren lassen? Und wer wird dermaleinst ausrufen: "Bis hierher und nicht weiter!"? Die Mitarbeiter von Media-Relations-Manager Christian Tänzler? Gar der Meister selbst? Wohl kaum. Und ganz gewiss nicht, so lange sie noch andauert, die Große Krise von Berlin.

  • S
    soeren

    Warum nicht gleich die Mauer aus Plastik bauen? Dann koennte man noch mehr Stueckchen verkoofen!

     

    Ich habe mir heute die "neue" Mauer an der Eastside-Gallery kurz angesehen und finde es fuerchterlich, wie die ALTEN Kunstwerke noch einmal gemalt werden, damit es besser zum O2-Landungssteg passt: Es sieht aus wie geleckt! Das empfand ich irgendwie als pervers!

     

    Wenn der grosse Georg seine Bilder nun alle noch einmal malt, finde ich das lustig, aber die Mauer sollte jedem zugaenglich sein.

     

    An einer kleine Szene habe ich mich jedoch erfreut: Als eine Touristin (?) mit dickem Edding sich verewigte, ganz so, wie es frueher auch gemacht wurde!

     

    Da wurde kein Kommerz gemacht, sondern an die Freiheit appeliert - ganz ohne Besoldung!

     

    Mein Kompromissvorschlag waere, die Mauerstuecke, bei denen die Kunstler sich weigern, diesen Gang in Richtung Disneyland mitzumachen, voellig frei zu gegeben!

     

    Einen schoenen Gruss aus Berlin sendet

     

    Soeren