Rechte wollen raus aus der Schmuddelecke

In Polen ist die Konfederacja vor der Wahl im Herbst zur drittstärksten Kraft aufgestiegen

Aus Warschau Gabriele Lesser

Der junge Mann kommt wie ein Politstar auf die noch dunkle Bühne: dynamische Musik, Lichtspektakel und tosender Applaus. Zum Auftakt des Parteitreffens „Auf ein Bier mit ­Mentzen“ hebt der Rechtsaußen-Politiker Slawomir Mentzen (36) eine volle Maß Bier und ruft den knapp tausend Gästen zu: „Guten Abend, Krakau!“ Wie eine große Bierhalle wirkt der Saal im ehemals jüdischen Stadtviertel Kazi­mierz, doch außer Mentzen prostet niemand einem anderen zu.

Da die bislang rechtsradikale Partei „Konfederacja“ (Konföderation) ihren potenziellen Wählern empfahl, sich für das Event „in Schale“ zu werfen, sind auch keine Lederjacken mit Faschosymbolen zu sehen. Denn die Konfederacja will sich noch vor der polnischen Parlamentswahl Mitte Oktober neu erfinden: weg vom bisherigen Schmuddelimage grölender Hooligans und Nationalisten hin zu einer Volkspartei in der Mitte der Gesellschaft.

Die Politiker der etablierten Parteien können den kometenhaften Aufstieg der Konfederacja von gerade mal 6 Prozent bei der Wahl 2019 zur heute drittstärksten Kraft kaum fassen. Bei der berühmten Sonntagsfrage „Welche Partei würden Sie wählen, wenn nächsten Sonntag Parlamentswahl wäre?“ erreicht die Konfederacja laut Forschungsinstitut Ibris inzwischen bis zu 15 Prozent der Stimmen. Sie liegt damit nur hinter den regierenden Nationalpopulisten von der Recht und Gerechtigkeit (PiS) mit knapp 34 Prozent und der größten Oppositionspartei, der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO), mit 28 Prozent. Auf Platz vier und fünf im kommen mit jeweils rund 10 Prozent der „Dritte Weg“, eine relativ neue Koalition aus gemäßigter Bauernpartei (PSL) und der liberal-katholischen Polska2050 sowie die Neue Linke, ein Bündnis mehrerer Kleinparteien.

Umgerechnet auf die Mandate im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, würde das bedeuten, dass die PiS 182 Sitze erhielte, die PO 150, die Konfederacja 53, der Dritte Weg 38, die Neue Linke 36 und die Deutsche Minderheit einen Sitz. Bei einer Gesamtzahl von 460 Mandaten müsste die PiS eine Koalition mit der Konfederacja bilden, um mit 235 Stimmen regieren zu können, während die PO sogar mit dem Dritten Weg und der Neuen Linken auf keine Mehrheit käme. Für Polen würde das bedeuten, dass es auf unabsehbare Zeit zu keiner Rückkehr zu Demokratie und Rechtsstaat käme: Die Gewaltenteilung ist nach acht Jahren PiS fast vollständig aufgehoben, das Verfassungsgericht nur noch Fassade, die Gerichte zum großen Teil mit PiS-loyalen Richtern besetzt. Der einstige öffentlich-rechtliche Rundfunk mit seinen zahlreichen Fernseh- und Radiosendern ist erst zum Staatssender mutiert und – vor der Wahl im Herbst – zum PiS-Parteisender. Korruption und Vetternwirtschaft werden im PiS-Staat kaum noch zur Anklage gebracht.

Mentzen tauscht jetzt „Juden“ gegen „Flüchtlinge“ aus

Zwar kanzelte Jarosław Kaczyński, PiS-Chef und seit einigen Wochen wieder als Vizepremier in der PiS-Regierung, Mentzen und seine Gleichgesinnten am Montag als „Wirrköpfe und Kinder“ ab. Gleichzeitig sagte er über Donald Tusk, den PO-Chef, „dieser wahre Feind Polens“ solle gefälligst „nach Deutschland verschwinden“. Die PiS werde auf gar keinen Fall mit der Konfederacja koalieren. Doch schon heute stimmen Abgeordnete beider Parteien im Sejm oft gemeinsam ab.

Mit dem Satz „Wir wollen ein Polen ohne Juden, Homosexuelle, Abtreibungen, Steuern und die Europäische Union“ geriet Mentzen, der auch Doktor der Ökonomie, Besitzer mehrerer Steuerbüros und einer Minibrauerei ist, 2019 in die Schlagzeilen, gewann bei der damaligen Wahl aber kein Mandat. Im derzeitigen Wahlkampf wiederholt er den Satz in Variationen, tauscht die „Juden“ darin schon mal gegen „Ukrainer“ oder „Flüchtlinge“ aus, setzt aber gleich hinzu: „Es ist ein Scherz! Ihr Journalisten: Nehmt den Satz nicht in die Schlagzeile auf!“ Wie die potenziellen Wähler das Programm der Konfederacja verstehen, ist allerdings auch klar. Sie johlen lauthals und begeistert.