Image-Kampagnen des DFB: Schrei nach Liebe
Die EM naht und der DFB betreibt Imagepflege: Wie die Nationalmannschaft und das U21-Team versuchen, wieder gut anzukommen.
Eine bemerkenswerte Heiterkeit umgibt die Mannschaft von Julian Nagelsmann. War die Stimmung in Fußballland zum Ende des letzten Länderspieljahrs vor der so wichtigen Heim-EM nach den Niederlagen gegen die Türkei und Österreich noch unterirdisch, ist nun beinahe so etwas wie Vorfreude auf das Turnier im Frühsommer zu spüren.
Da ist der Bundestrainer und sein bemerkenswerter Kader für die zwei Testspiele. Niemand weiß, wie gut die Spieler harmonieren werden, die Julian Nagelsmann aufbieten wird. Aber die Tatsache, dass nun Profis berufen werden, die momentan gut drauf sind, statt solche, die nur deshalb dabei sind, weil sie immer schon dabei waren, kommt an.
Pinke Trikots
Und nachdem der Bundestrainer im Dezember via „Aktuelles Sportstudio“ im ZDF schon mal vorgefühlt hat, wie eine Rückkehr von Altmeister Toni Kroos ins Team wohl ankommen würde, wusste er, dass der Champions-League-Seriensieger von den Fans mit offenen Armen empfangen wird.
Und da ist die irre Geschichte mit den neuen Ausweichtrikots der Auswahl. Die Art, wie der DFB zusammen mit Ausrüster Adidas auf die gewiss einkalkulierten Hasspostings der Feinde der Farbe Pink mit einem Werbevideo reagiert hat, in dem selbst ein Berufsgriesgram wie Teammanager Rudi Völler fast schon lässig rüberkommt, ist im Netz und im Feuilleton gefeiert worden wie schon lange nichts mehr, was vom DFB kommt. Mitten in der größten Krise des deutschen Nationalmannschaftsfußballs wird ein Trikot eben dieser Gurkentruppe zum Verkaufsschlager.
Und während die Öffentlichkeit noch staunt über das Meisterwerk aus der PR-Schmiede „Jung von Matt“, verkündet der DFB eine textile Revolution. Ab 2027 ist der US-Sportartikelriese Nike für das Outfit des Teams verantwortlich. 70 Jahre lang trug jede DFB-Elf immer die drei Streifen aus Herzogenaurach. Das soll nun anders werden, und viele regen sich darüber auf. Eine Weltmarke aus den USA sieht im abgetakelten Weltmeister von 2014 ein erfolgversprechendes Marketinginstrument. Was ist da los?
Liegt’s am Trainer? Julian Nagelsmann jedenfalls hat man schon lange nicht mehr so lässig daherparlieren hören wie bei der Pressekonferenz, die er am Mittwochabend gegeben hat. Es war keine gewöhnliche PK. Fans haben die Fragen gestellt. Die konnten sich für einen Platz im Presseraum der DFB-Akademie in Frankfurt am Main bewerben und Journalisten spielen.
Keine negative Bewertung über Nagelsmann
100.000 Mal ist auf das Video davon auf dem Youtube-Kanal des DFB geklickt worden. Und wenn der DFB die Kommentarspalte nicht geputzt hat, dann gab es keine einzige negative Bemerkung über den Bundestrainer und seine Mannschaft. „Wie sympathisch und ehrlich kann ein Trainer sein? Julian Nagelsmann: ja!“, hat jemand kommentiert.
Schon seit zwei Jahren versucht das Nationalteam über die Fan-PKs das Image einer unnahbaren PR-Maschine abzustreifen. So hat das Fan-Volk zum Beispiel erfahren, dass Kai Havertz so manche Matheklausur in den Sand gesetzt hat und auch beim Klavierspielen nicht weit gekommen ist. Echte Nachrichten sind das nicht.
Bei Nagelsmann war das anders. So weiß man jetzt, dass er unmittelbar nach der Heim-EM, mit der sein Vertrag mit dem DFB enden wird, eine neue Anstellung anstrebt. Beim Verband oder einem Klub, wie er meinte, woraufhin tags darauf DFB-Sportdirektor Andreas Rettig gleich einhakte und meinte, wenn es gut laufe bei der EM, dann könne Nagelsmann gerne auch Bundestrainer bleiben.
Eine Anhängerin des VfB Stuttgart durfte sich dann noch freuen, dass vier Spieler des Tabellendritten der Bundesliga nominiert worden sind, und ein Bayernfan wird sich gefreut haben, dass Nagelsmann eine Rückkehr auf den Trainerposten des Rekordmeisters zumindest nicht ausschließen wollte.
Vermeintlich arrogant
Die Stimmung war prächtig und der in seiner Zeit beim FC Bayern nicht selten wegen seiner vermeintlich arroganten Ausstrahlung geschmähte Nagelsmann durfte bestens gelaunt verkünden, dass es Ende Mai beim Trainingslager der Auswahl in Blankenhain bei Weimar ein Training vor Publikum geben wird.
Das wird dann vielleicht wieder live auf dem Youtube-Kanal des Verbands übertragen – so wie das Training am Dienstag in Frankfurt. „Vielleicht habt ihr ja noch mal Bock“, meinte da der Kommentator. Die Fans sollen das Gefühl bekommen, hautnah dabei zu sein. Und für den leichteren Content gibt es sicher bald jede Menge Kurzvideos auf Tiktok. Die Plattform ist nun auch offizieller Partner des DFB.
Hashtag „Herzzeigen“ steht an der Bande des Chemnitzer Stadions an der Gellerstraße. Es ist kein Hinweis auf einen Kongress der Kardiologen, nein, die U21 gastiert in Sachsen. Am Freitagabend hat sie gegen den Kosovo 0:0 gespielt und eine Handvoll Großchancen versiebt. Am Dienstag steht in Halle/Saale ein Spiel gegen Israel an.
Die U21 ist derzeit der erfolgreiche kleine Bruder der, nun ja, großen A-Nationalmannschaft, 2017 und 2021 wurden sie Europameister, nur im Vorjahr passten sich die Nachwuchskräfte dem Niveau der Alten an: EM-Aus in der Vorrunde. Chris, der auch bei frischen acht Grad im Chemnitzer Stadion noch Shorts trägt, findet die U21 trotzdem viel besser als die große Nationalmannschaft.
Stadionwurst für 4,50
Zum öffentlichen Training sind vielleicht 80 Leute gekommen, ein paar Familienväter mit der Tochter oder dem Sohn, ein paar Jugendliche und eben auch Chris’ Truppe, die regelmäßig zu Spielen des Chemnitzer FC geht. Das Chemnitzer Veranstaltungsportal hat vergessen, auf das öffentliche Training hinzuweisen und die Regionalzeitung Freie Presse vom Donnerstag auch. Ein Kiosk hat geöffnet für die Zaungäste: Die Stadionwurst kostet 4,50 Euro, die Brezn 3,50 Euro. Ein DFB-Mensch filmt das Häuflein auf den Rängen für die Social-Media-Kanäle, und man darf gespannt sein, wie er aus diesen doch recht trostlosen Szenen etwas macht.
Chris hat keine Berührungsängste mit dem Reporter aus Berlin. Mit seinen Antworten unterhält er die halbe Tribüne, ein CFC-Fan schaut sich belustigt um, als Chris über Heimatliebe parliert, lauthals erklärt, warum er die deutsche Fahne mag und der Osten seine Schwierigkeiten mit dem DFB habe. Chris hat Lagerist gelernt, der Berufsabschluss hat dann irgendwie nicht hingehauen, und jetzt ist er zuhause, weil ein Kind zu betreuen ist. Chris mag Fußball, vor allem die Dortmunder Borussia, und deswegen schaut er sich halt an, was dieser Youssoufa Moukoko am Donnerstagabend so anstellt auf dem Trainingsplatz.
Die Euphorie, die der DFB nun mit so vielen Aktionen im Vorfeld der Europameisterschaft zu entfachen versucht, sie brennt in Chemnitz nur auf kleiner Flamme. Der Osten schaut nach dem vergurkten Katar-Abenteuer mit einer gewissen Skepsis auf die Machenschaften des Fußballbundes und die Politisierung des Ballspiels. Der DFB könne ja seinetwegen ein mediales Feuerwerk zünden, entscheidend is’ auf’m Platz, findet Chris, der offensichtlich keine bunten Werbefilmchen und rosa Trikots sehen will, sondern erstmal Leistung und Tore: „Ich warte da mal ab, was passiert.“
Das A-Team ist in der Bringschuld, die finalen Schlachten um Punkte und die Herzen der Fans werden nicht im virtuellen Raum geschlagen. Immerhin: Die U21 hat bis zum Nullnull gegen Kosovo alle EM-Quali-Spiele gewonnen. Sie steht an der Tabellenspitze der Gruppe.
Trainer der U21, kein einfacher Job
Trainer der U21 ist Antonio Di Salvo. Kein einfacher Job. Denn er hat die Nachfolge des ebenso erfolgreichen wie beliebten Stefan Kuntz angetreten. Zur Pressekonferenz erscheint Di Salvo mit dem Spieler Eric Martel zu früh. Beklommenheit kommt auf, als er stumm mit seinem Schützling auf dem Podium sitzt. Es sind vor allem DFB-Angestellte, die den Raum füllen.
Di Salvo sagt nicht viel, auch nicht zum neuen Ausrüster Nike. Er sei davon wie alle überrascht worden. Dass sein Team zweimal im Osten spielt und Nagelsmanns Auswahl sogar in Thüringen zur EM-Vorbereitung absteigt, ist für Di Salvo keine besondere Sache: „Wir wollen überall in Deutschland spielen, und Fans haben wir auch in Ostdeutschland“, sagt der Coach emotionslos.
Chris hat die Pressekonferenz natürlich nicht verfolgen können, verpasst hat er ohnehin nichts, aber ein paar Fans durften schon zuschauen: privilegierte vom Fanclub Nationalmannschaft. In diesem merkwürdigen Konstrukt, das einst mit Sponsorengeld von Coca Cola gegründet wurde, haben sich über 50.000 Leute eingeschrieben.
Aber weil dieser offizielle Fanclub kaum mehr ist als eine bürokratische Verwaltung von Interessen, hat der DFB nun auch andere Fanclubs zugelassen; elf Mitglieder müssen sich zusammenfinden und einen bestimmten Wertekanon unterzeichnen. Über 100 solcher Initiativen gebe es mittlerweile, sagt ein Mitarbeiter des Fanclubs Nationalmannschaft in Chemnitz.
Im Schlepptau hat er die Sieger des aktuellen Gewinnspiels, zwei Berliner, einer ist Fan von St. Pauli, der andere mag einfach Fußball. Der Pauli-Fan hat während der WM 2022 nur das Finale geschaut, wegen Katar und so, der andere erklärt recht eloquent, warum Politik und Fußball eigentlich nicht zusammengehören.
Chris hat sich wieder in Reihe eins zu seinen Freunden gesetzt. Sie schauen, wie die U21-Jungs Tore heranschleppen. Die ersten Zuschauer gehen, nach nur zehn Minuten. Ein Ordner fragt: „Zu langweilig?“
„Ja, irgendwie schon.“
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