■ Im ehrenamtlichen Bereich gäbe es Millionen Arbeitsplätze. Ein Vorschlag, wie der verdiente Lohn zu den gemeinnützig Tätigen kommt: Ehre? Wir brauchen Geld!
Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Arbeitsplatz und merken es nicht! Einen, den Sie sich selbst geschaffen haben, der Spaß macht und Sinn hat. Sie helfen ihrem alten Nachbarn beim Einkauf, Sie arbeiten in einer Flüchtlingsinitiative und erledigen Behördengänge für ImmigrantInnen. Sie sind eine Grüne Dame, die Kinder über Weihnachten im Krankenhaus betreut. Oder Sie holen überflüssige Lebensmittel aus Restaurants ab, um sie an Obdachlose weiterzugeben.
Die staatlichen Organe unterstützen Sie moralisch, Roman Herzog klopft Ihnen auf die Schulter. Berufene PolitikerInnen bemängeln gar, daß Engagement wie Ihres immer mehr abnehme in dieser kalten Gesellschaft. Und die Herren im schwarzen Talar senken betend das schwere Haupt und befürchten, die Prinzipien der katholischen Soziallehre würden von ungezügelter Profitgier dahingerafft.
In dem Bemühen, das Problem der Arbeitslosigkeit zumindestens theoretisch zu entschärfen, destillieren WissenschaftlerInnen aus Ihrer Tätigkeit gleich ganze gesellschaftspolitische Konzepte. Die gemeinützige und ehrenamtliche Tätigkeit solle gefördert werden, meint etwa der Soziologe Ulrich Beck, um den Arbeitslosen einen Lebenssinn zu geben und der Gesellschaft die Dienste zur Verfügung zu stellen, die der Staat noch nie leisten wollte oder immer weniger leisten will. Sie sind wichtig, hilfreich und gut. Ihre Tätigkeit hat allerdings einen Schönheitsfehler: Sie bekommen kein Geld dafür. Auch nicht, wenn Sie arbeitslos sind und es gut gebrauchen könnten. Da sind die staatlichen Mildtäter dann plötzlich hartherzig. Nein, öffentliche Mittel könne man nicht erübrigen: die leeren Kassen... Weniger staatliche Tätigkeit sei angesagt, nicht mehr.
Der Staat macht sich zunehmend überflüssig. „Weg, nur weg mit dem Kram!“ lautet die Devise der Privatisierer. Nicht nur staatliche Flughäfen, Energieversorger und Unternehmen kommen unter den Hammer, auch soziale Einrichtungen stehen zum Verkauf. Wer will sie haben? Investoren, greift zu! In der Regel verringert sich dadurch die Zahl der Arbeitsplätze. Manche Beratungseinrichtung und öffentlich finanzierte Ausbildungswerkstatt, mancher Betreuungsdienst wird gleich ganz geschlossen. Zurück bleibt ein weites Feld sinnvoller Tätigkeiten, die nicht mehr erledigt werden – sieht man einmal von Ihrem Engagement und dem vieler anderer ehrenamtlicher HelferInnen ab. Der Rückzug des Staates muß nicht schlecht sein. Als Umverteiler und Geldgeber brauchen wir ihn allerdings noch.
Ein Vorschlag: Er soll die Tätigkeiten finanzieren, die sich die Menschen ohnehin schon geschaffen haben. Das könnte so funktionieren: Kommunen, Länder oder der Bundestag legen Kriterien dafür fest, was als gemeinnützige, deshalb auch entlohnenswerte Tätigkeit betrachtet wird. Privater Klavierunterricht, Hausarbeit und das Schreiben von Flugblättern gehören nicht dazu. Wohl aber Bildungsarbeit, Betreuung, Pflege, Umweltschutz und andere Arbeiten, die der Öffentlichkeit nützen. Auf dieser Basis stellen Ihnen die Arbeiterwohlfahrt, das Rote Kreuz oder die Bezirksämter der Städte eine Bescheinigung über die von Ihnen geleistete Arbeitszeit aus. Daraufhin brauchen Sie nur noch zur Hauptkasse der Kommune zu gehen, um sich pro Arbeitsstunde einen zu versteuernden Lohn von fünfzehn Mark auszahlen zu lassen. Leicht einzusehen, daß Blankobescheinigungen, mit denen alles mögliche als gemeinützige Tätigkeit anerkannt wird, nicht im Sinne des Erfinders sind. Eine gewisse Kontrolle ist notwendig. Beauftragte der Organisationen haben das Recht, sich die Tätigkeit anzuschauen und die betreuten Personen zu befragen.
Man muß sich klar darüber sein, daß Kontrolle ein Eindringen in die Privatsphäre mit sich bringt, nicht immer trennscharf sein kann und Arbeiten, die bislang dem kapitalistischen Markt nicht unterworfen waren, von Stund an zumindestens teilweise seinen Gesetzen, wie zum Beispiel dem Rationalisierungsdruck, unterworfen sind. Als Nachbarschaftshelfer stehen Sie damit ab sofort in Konkurrenz zu anderen, die die Arbeit vielleicht schneller und billiger erbringen. Doch die Vorteile überwiegen solcherart Nachteile. Arbeitslose bekämen die Chance, jenseits des ersten Arbeitsmarktes ein Teileinkommen zu erwirtschaften. Der Allgemeinheit wäre gedient – zumal die Arbeiten häufig billiger geleistet würden, als die bürokratischen Institutionen sie gemeinhin verrichten. Damit bekäme auch das durchaus zukunftsweisende Konzept von Ulrich Beck den entscheidenden Kick. Während Beck die gemeinnützigen Tätigkeiten bloß ideell aufwerten will, um die Arbeitslosigkeit wegzudefinieren, würde neuerdings auch Geld zur Verfügung stehen, damit sich den ehrenvollen Dienstleistern wohlverdiente Einkommensquellen erschließen.
Klar ist, daß die Sache die Gesellschaft und den Staat etwas kostet. Milliardenbeträge wären jährlich notwendig, um persönliche, gemeinnützige Dienstleistungen auf eine neue Art zu finanzieren. Das Geld könnte teilweise aus den bisherigen Budgets für Sozial- und Arbeitslosenhilfe bezahlt werden. Denn die neuen Tätigkeiten würden auf die alten Transferansprüche teilweise angerechnet, so daß die öffentlichen Haushalte auch Einsparungen verzeichnen. Gleichzeitig müßte man jedoch weitere Quellen erschließen. Die Öko- oder Energiesteuer, die nach der Bundestagswahl im September wahrscheinlich erhoben wird, könnte einen Beitrag leisten. Allerdings kann die Umweltsteuer nicht für alles herhalten. Sie ist schon für die Wirtschaftsförderung und die Senkung der Beiträge zur Sozialversicherung eingeplant. Folglich ist eine Umverteilung innerhalb der staatlichen Etats notwendig.
Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit stellt die Entlohnung bislang unentgeldlich erbrachter Leistungen nur ein Mittel neben anderen dar. Daneben müssen die Arbeitszeit in der Wirtschaft verringert und mehr Geld für Arbeitsbeschaffung ausgegeben werden. Trotzdem wird das alles das Problem der Arbeitslosigkeit nicht lösen, denn, um mit André Gorz zu sprechen, das Reich der Notwendigkeit schrumpft unaufhaltsam. Aufgrund der enormen Produktivitätssteigerungen werden auch künftig Millionen von Erwerbspersonen für den Produktionsprozeß überflüssig sein. Was können, was sollen sie tun? Die Entlohnung von GemeinutzarbeiterInnen entspricht dem Zeitgeist der Entstaatlichung, reagiert auf die ökonomischen Prozesse und führt zu neuen Ufern. Hannes Koch
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