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Im Dunkeln ist gut Funkeln

In der Altmark und im Wendland soll ein Sternenpark entstehen, der die Regionen verbindet und sanften Tourismus fördert. Aber wofür braucht es überhaupt Dunkelheit – und ist zu wenig Licht nicht unsicher für Menschen zu Fuß und auf Fahrrädern?

Die Dunkelheit in der Altmark ist selbst im internationalen Vergleich außer­gewöhnlich. Das ist vor allem gut für Tiere – und für Ster­nen­­­gu­cke­r*in­nen Foto: Simon Kremer/picture alliance

Aus Dahrendorf Katharina Federl

Um 22.56 Uhr steigt Helmut Schnieder am ehemaligen DDR-Grenzturm in Dahrendorf aus seinem Auto und hält ein kleines schwarzes Messgerät in Richtung Himmel. Er drückt auf den Startknopf, es piept einige Male, dann erscheint eine Zahl auf dem Display. 21,2 Magnituden zeigt das sogenannte Sky Quality Meter (SQM) an, ein Gerät, das die Helligkeit des Himmels misst. Wegen dichter Wolken sind in dieser Frühlingsnacht nur wenige Sterne zu sehen. Schnieder zeigt auf den Polarstern, auf Arktur, Wega. Bei klarem Himmel, erklärt der Astrofotograf, könnte man von hier aus die Milchstraße erkennen.

Dahrendorf liegt in der Altmark, eine knapp 5.000 Quadratmeter große Fläche im Norden Sachsen-Anhalts. Durchzogen von klaren Seen, weiten Wäldern und Rapsfeldern gilt sie als Paradies für Na­tur­freun­d*in­nen und Rad­fah­re­r*in­nen und als eine der dunkelsten Regionen Deutschlands. Das liegt auch an ihrer geringen Bevölkerungsdichte: Auf einer Fläche von einem Quadratkilometer leben in der nordwestlichen Altmark gerade mal 19 Menschen. In Berlin sind es mehr als 4.000.

Gemeinsam mit dem angrenzenden Wendland in Niedersachsen soll die Altmark zu einem international anerkannten Sternenpark werden. Dafür setzen sich die „Altmarkmacher“ ein, ein Förderverein des lokalen Tourismusverbands. Rund 30 Personen engagieren sich in der Initiative, auch Schnieder unterstützt tatkräftig. 2001 eröffnete der erste Sternenpark in Flagstaff, Arizona. Inzwischen gibt es weltweit rund 200. Im Februar 2014 ernannte die Organisation DarkSky, damals noch International Dark-Sky Association (IDA), den Naturpark Westhavelland zum ersten Sternenpark Deutschlands.

Um als solcher zu gelten, müssen Kommunen nachweisen, dass sie Lichtverschmutzung systematisch und dauerhaft reduzieren, etwa durch die Umrüstung der Straßenbeleuchtung nach den Standards einer Beleuchtungsrichtlinie. Demnach sollen Leuchten vollständig nach unten abgeschirmt sein, um kein Licht in den Himmel abzugeben. Die Lichtfarbe darf maximal 3.000 Kelvin betragen, um den Blauanteil gering zu halten. Außerdem muss das Licht nachts gedimmt oder ganz abgeschaltet werden.

Den Altmarkmachern geht es bei dem Projekt nicht nur um einen klaren Blick in die Sterne, es geht ihnen um die Dunkelheit selbst. Denn in Zeiten zunehmender Umweltbelastung und schwindender Biodiversität gilt sie als ökologisch wertvolle und zu schützende Ressource. Ohne künstliches Licht können sich nachtaktive Tiere ungestört fortbewegen, fortpflanzen und orientieren. Auch Pflanzen, deren Wachstumszyklen sich an Tag- und Nachtzyklen orientieren, reagieren empfindlich auf dauerhafte Bestrahlung.

In der Altmark und im Wendland wird ein großer Teil der Straßenlaternen schon seit Jahren nachts abgeschaltet, als Sparmaßnahme. Fährt man nach 23 Uhr durch die Dörfer, ist jede noch so kleine künstliche Lichtquelle so auffällig wie ein Flutlichtmast auf einem dunklen Fußballplatz.

Welche Lichtfarbe wir als angenehm empfinden, hängt von ihrer Farbtemperatur ab, gemessen in Kelvin. Je niedriger der Wert, desto wärmer erscheint das Licht für Menschen. Je höher die Farbtemperatur, desto größer der Blauanteil. Blaues Licht greift intensiver in biologische Prozesse ein, beim Menschen ebenso wie bei Tieren.

Viele Insekten und Vögel werden durch blaues Licht irritiert oder angezogen, oft mit tödlichen Folgen. Besonders lichtempfindlich sind Nachtfalter, die 95 Prozent aller in Deutschland vorkommenden Schmetterlingsarten ausmachen. Auch Glühwürmchen sind während ihrer Paarungszeit auf Dunkelheit angewiesen. Ihr Bestand ist in den vergangenen Jahren bereits stark zurückgegangen. Bei Menschen hemmt blaues Licht die Produktion des Schlafhormons Melatonin, was den natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus stören kann.

In klaren Nächten reicht für Schnieder ein Schritt vor seine Haustür, um zu zeigen, wie besonders der Himmel über seiner Heimat ist. Sein Messgerät zeigt dort 21,72 Magnituden, genauer: Magnituden pro Quadratbogensekunde (mag/arcsec²) – ein Wert, der selbst international als außergewöhnlich gilt. Zum Vergleich: In Berlin-Mitte liegt er bei 18,1, in Rotterdam und Teilen Norditaliens bei unter 18. Je höher der Wert, desto dunkler der Himmel. Ein Unterschied von einer Magnitude bedeutet eine Helligkeitsveränderung um den Faktor 2,512. Der Himmel über dem Wendland ist also rund 40-mal dunkler als der über Berlin.

In Deutschland gibt es nur noch wenige andere Orte, an denen es so dunkel ist wie im Wendland. Dazu zählen etwa die Nordseeinseln Spiekeroog und Pellworm. Doch auch in abgelegenen Regionen breitet sich künstliches Licht zunehmend aus. Gründe dafür sind immer mehr Siedlungen, Industriebauten und Verkehr. Setzt sich niemand für den Erhalt von Dunkelheit ein, drohen weitreichende Folgen. Die Lebensräume von Tieren schrumpfen, Bestäuber verschwinden, Ökosysteme geraten aus dem Gleichgewicht.

„Uns geht es darum, aus dem Nichts etwas Positives zu machen, die Wertigkeiten umzudrehen“, sagt Amanda Hasenfusz, ehrenamtliche Vorsitzende und Pressesprecherin der Altmarkmacher. Sie betreibt eine Herberge in Dahrendorf, nur 500 Meter von der ehemaligen innerdeutschen Grenze entfernt. Helmut Schnieder lebt in Schnega, was auf der westlichen Seite im niedersächsischen Wendland liegt. Im Sternenpark wollen die beiden ehemalige West- und Ostgebiete vereinen, trotz aller strukturellen Unterschiede.

Wie realistisch die Kooperation zwischen Wendland und Altmark ist, ist aktuell noch nicht absehbar. Andreas Hänel, deutscher Vertreter von DarkSky, erklärt, dass es verschiedene Zertifizierungsstufen gibt. Die höchste Stufe, ein sogenanntes Dark Sky Reserve, sei in der Region Altmark-Wendland prinzipiell möglich, aber anspruchsvoll. Die Zertifizierung als Reserve hätte den Vorteil, international Aufmerksamkeit zu erzeugen und touristische Entwicklung zu fördern. Allerdings müssten dafür mindestens 700 Quadratkilometer Fläche zusammenkommen und dort rund 80 Prozent der Bevölkerung der strengen Beleuchtungsrichtlinie zustimmen. Naheliegender sei zunächst ein Sternenpark im Wendland, da dort mit dem Naturpark Wendland-Elbe schon geeignete Strukturen bestehen.

„Uns geht es darum, aus dem Nichts etwas Positives zu machen“

Amanda Hasenfusz, Verein Altmarkmacher

Schon vor der angestrebten Zertifizierung wollen die Altmarkmacher in der gesamten Region sogenannte Sternenbeobachtungspunkte einrichten – besonders dunkle Orte, an denen Be­su­che­r*in­nen den Nachthimmel beobachten und mehr über astronomische und ökologische Zusammenhänge erfahren können. Auch der ehemalige Grenzturm in Dahrendorf ist als solcher Ort vorgesehen. Nächtliche Sternenführungen sollen den Tourismus zusätzlich ankurbeln und die Region wirtschaftlich stärken.

Tourismus und Naturschutz stehen sich nicht selten widersprüchlich gegenüber. Bekommt eine Region mehr Aufmerksamkeit, kommen mehr Menschen, Verkehr, Infrastruktur, Lärm und auch Licht. Manche Be­woh­ne­r*in­nen befürchten, dass ihre Region von Tou­ris­t*in­nen überrannt werden könnte. Wie passt das zu einem Projekt, das sich das Ziel setzt, Ruhe und Dunkelheit zu bewahren? Amanda Hasenfusz sieht die Lösung in einem klar definierten Leitbild: bildungsorientierter und nachhaltiger Tourismus, mit dezentralen Angeboten statt Großveranstaltungen.

Helmut Schnieder geht es bei dem Sternenpark vor allem um den ökologischen Effekt von Dunkelheit, um den Schutz seltener Tier- und Pflanzenarten, um eine gesündere Umwelt und einen bewussteren Umgang mit Ressourcen. Auch Kommunen mit chronisch klammen Kassen können von den Umrüstungen profitieren. Denn moderne, umweltfreundliche Straßenlaternen reduzieren nicht nur Lichtverschmutzung, sondern sparen langfristig auch Kosten und bringen damit Vorteile für jeden Einzelnen in der Region. „Aber wenn eine Nachbargemeinde ihre Beleuchtung hochdreht“, erklärt Schnieder, „dann leidet die ganze Region.“

Dass Lichtverschmutzung nicht an Gemeindegrenzen endet, hat man im Sternenpark Rhön längst erkannt. Die angrenzende Stadt Fulda verabschiedete 2019 deshalb eine eigene Lichtrichtlinie und rüstete ihre Altstadtbeleuchtung um. Wegen ihrer Bemühungen darf sie sich heute Sternenstadt nennen. Erste Ergebnisse aus dem städtischen Monitoring und dem bundesweiten Forschungsprojekt „Artenschutz durch umweltgerechte Beleuchtung“ deuten die Auswirkungen der Umrüstung an: An einigen Standorten kann eine Reduktion des Insektensterbens um bis zu 50 Prozent festgestellt werden.

„Das Problem ist nicht die Dunkelheit“

Sabine Frank, Nachtschutzbeauftragte

Was ist aber mit den Menschen, die nachts mit dem Fahrrad oder Auto unterwegs sind oder sich in dunklen Straßen unwohl fühlen? Vonseiten der Stadt Fulda heißt es auf Anfrage, es gebe heutzutage gute technische Lösungen, mit denen sich das Licht auf ein Minimum reduzieren lässt, ohne die Verkehrssicherheit oder das Sicherheitsempfinden der Menschen wesentlich zu beeinträchtigen.

Fuldas Nachtschutzbeauftragte Sabine Frank warnt zudem vor einer Stigmatisierung der Dunkelheit: „Das Problem ist nicht die Dunkelheit, sondern dass sich Menschen, insbesondere Frauen, an unbelebten Orten unsicher fühlen, wenn sie alleine sind. Die Antwort darauf kann nicht sein, noch eine Lampe aufzustellen.“ Stattdessen plädiert sie für mehr Präventions- und Aufklärungsangebote sowie für den Ausbau von Schutzräumen für Frauen – egal, wie spät oder dunkel es ist. Auch eine Studie aus England und Wales konnte keinen direkten Zusammenhang zwischen reduzierter Straßenbeleuchtung und einem Anstieg von Kriminalität feststellen.

Der Sicherheitsaspekt ist in der Altmark und im Wendland selten ein Thema, denn die Nacht gehört hier den Tieren. Viele Wölfe, Rehe und Wildschweine sind in der Region unterwegs, ebenso bedrohte oder sensible Arten wie Fischotter und Biber. Auch Amphibienarten, etwa Kröten und Frösche, sind in der Dämmerung aktiv.

Und Helmut Schnieder. Stundenlang beobachtet und fotografiert der 75-Jährige nachts den Sternenhimmel. Einmal habe er neun Nächte hintereinander kein Auge zugetan, zu fasziniert sei er von dem, was sich über ihm abspielt. In einer Welt voller Dauerbestrahlung ist das vielleicht die schönste Form der Schlaflosigkeit.

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