Ikea plant Wohnviertel: Oh wie schön ist Billybü
Ikea plant Stadtviertel in Europas Metropolen, auch in Hamburg. Auf mindestens fünf Hektar soll dort eine Welt entstehen – oder nur eine seelenlose Siedlung?
Der Hamburger Immobilienmarkt ist ein sicherer Hafen für Investitionen. Das weiß auch der schwedische Möbelkonzern Ikea, der nun, so berichtete das Hamburger Abendblatt, möglichst in Innenstadtlage, einen kompletten Stadtteil aus dem Boden stampfen will. Die mit dem Projekt beauftragte Tochterfirma Inter Ikea sei auf der Suche nach einer geeigneten Fläche von mindestens fünf Hektar. Eine Retortenstadt als Antwort auf Wohnungsnot und explodierende Mieten in Hamburg? – Es folgte ein Sturm der Empörung. „Keiner braucht und will Instant-Städte von einem Investor“, sagte etwa die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linken, Heike Sudmann.
Nachdem Inter Ikea bis Mittwochnachmittag für Presseanfragen nicht erreichbar war, dementiert das Unternehmen nun die Pläne und spricht von einem „Missverständnis“. Inter Ikea habe gegenüber dem Abendblatt auf ein ähnliches Projekt in London verwiesen, wo der schwedische Möbelkonzern auf elf Hektar ein Viertel mit 1.200 Wohnungen, Büros, Hotels und Gewerbeflächen baut. Der zitierte Inter-Ikea-Sprecher Harald Müller habe gesagt, „ein solches Projekt könnte in Zukunft auch in großen deutschen Städten interessant sein“. Die Aussage sei aber rein „hypothetisch“. Konkrete Pläne gebe es nicht.
Wenn nicht gleich für einen ganzen Stadtteil, so sucht der Konzern nach taz-Informationen aber mindestens für den Bau von Studentenwohnheimen nach geeigneten Flächen, in Hamburg und europaweit. Auch eine Kette von Budget-Design-Hotels ist bei Inter Ikea anvisiert. Frühestens im Herbst will der Konzern mit den genauen Details zu den Standorten an die Öffentlichkeit. „Auch Hamburg ist hier im Fokus“ sagte der Inter-Ikea-Sprecher vergangene Woche der taz.
Empfohlener externer Inhalt
Überraschen dürfte der Größenwahn aus dem Hause Ikea nicht. Denn der schwedische Möbelkonzern ist auf Expansionskurs. In Hamburg hat er sein erstes Pilotprojekt noch nicht im Griff – und tritt die Flucht nach vorne an. In Altona will das Unternehmen im Oktober mit dem Bau der ersten Ikea-Filiale in Innenstadtlage beginnen. Zunächst hatte der Konzern behauptet, nur eine City-Filiale für kleine Artikel zu planen, wenig später wurde daraus ein Vollsortiment. Die Neuansiedlung des Möbelhauses ist umstritten, nicht zuletzt, weil Ikea das versprochene tolle Liefer- und Mobilitätskonzept bis heute nicht vorgelegt hat. Bis heute gehen die Gutachten von Ikeas Hypothese aus, dass die Hälfte der Kunden schon mit Bus und Bahn anreisen wird. Damit viele Kunden mit dem ÖPNV anreisen, sind Lieferkonzepte entscheidend. Auch die Frage, wie die Möbel vom Kaufhaus wegkommen sollen, wenn nicht mit dem Auto, ist bislang unklar.
Die Sprecherin aus der Expansionsabteilung des Konzern, Simone Settergren, betont, dass die Pläne von Inter Ikea rein gar nichts mit dem geplanten Möbelhaus in Altona zu tun haben. „Inter Ikea kümmert sich um die Finanzanlagen von Ikea“, so Settergren.
Die Stadt aus der Retorte als debile Stadtplanungsidee ist nicht gerade neu. Ähnlich „visionär“ war Mitte der 90er auch die Walt Disney Company, die im US-amerikanischen Bundesstaat Florida die Planstadt „Celebration“ hochgezogen hat. Das Leben der rund 11.000 Bewohner wird dort in einem 70 Seiten starken Buch geregelt. Und auch das Schulwesen läuft nach Disneys Ansichten. Nach der Finanz- und Immobilienkrise ist die Party in Celebration aber inzwischen vorbei. Der Disney-Konzern hat umgesattelt und baut nun Gated Communities von Ferienhäusern in Florida – Kaufpreise zwischen 1,5 und 8 Millionen Dollar.
Die megamanischen Unternehmensväter Disney und Kamprad treffen sich nicht nur im Geiste ihrer stadtplanerischen Fantasien: Disney, der in seinen Filmen die heile Welt schuf, schwärmte früher für Mussolini und Hitler. Und Kamprad war als Jugendlicher von Hitler und seiner Ideologie begeistert und schloss sich einer nazistischen Organisation an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Rückzug von Marco Wanderwitz
Die Bedrohten
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül