Identitätsnachweis für Geflüchtete: Mit Zwang zum Pass
Flüchtlinge müssen an der Beschaffung ihrer Pässe mitwirken, sonst bekommen sie Sanktionen. Doch nicht immer sind sie selbst schuld.
Menschen mit einer Duldung sind in Deutschland verpflichtet, dabei zu helfen, dass sie ihren Pass oder andere Dokumente beschaffen, die ihre Identität beweisen. Denn ohne Papiere können sie nicht abgeschoben werden. Und eine Duldung bedeutet lediglich die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung.
„Weil sie ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sind, hat das Amtsgericht Göttingen die Durchsuchungsbeschlüsse ausgestellt“, sagt ein Sprecher der Stadt Göttingen über die Pakistaner.
„Das Ziel ist klar: Sie wollen Angst und Druck aufbauen“, schreiben die Aktivist*innen des Göttinger Bündnisses über die Behörde. Schon zuvor seien Geflüchteten, wenn sie nicht mitgewirkt hätten, nur noch Drei-Tages-Duldungen und Sanktionen ausgesprochen worden. „Damit drängen sie die Menschen in Armut, Perspektivlosigkeit, Illegalisierung und machen sie quasi handlungsunfähig.“
Manche schmeißen ihre Pässe weg
In Deutschland haben zwischen Anfang Januar und Ende Juli 2018 insgesamt 50.932 Menschen einen Asylantrag gestellt. 29.550 davon hatten keine Papiere. Das sind 58 Prozent. Die Zahlen stammen aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken.
Auffällig ist, dass Menschen aus Ländern wie Somalia, Nigeria oder Algerien zu mehr als 95 Prozent keinen Pass hatten und dieser Anteil bei Menschen aus Syrien, deren Asylanträge häufiger anerkannt werden, mit knapp über 24 Prozent deutlich geringer lag.
Dass Menschen keinen Pass mehr haben, hat ganz unterschiedliche Gründe. Manche schmeißen ihre Papiere freiwillig bei der Überfahrt nach Europa über Bord, andere werden beklaut oder verlieren sie auf der Flucht. Einige hatten nie Papiere. „Es ist auch glaubwürdig, wenn Geflüchtete berichten, dass Schlepper die Pässe eingesammelt haben“, sagt Kai Weber vom niedersächsischen Flüchtlingsrat.
Während das Asylverfahren läuft, ist das noch kein Problem. Dann können die Betroffenen nicht gezwungen werden, sich an die Behörden ihres möglichen Verfolgerstaates zu wenden, um einen Pass zu besorgen. Doch wenn der Antrag abgelehnt wurde, liegen die Karten anders. Dann besteht in Deutschland besagte Mitwirkungspflicht.
Und wenn die Geflüchteten nicht helfen, dürfen die Behörden von dem Betroffenen „alle Datenträger, die für die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit von Bedeutung sein können“ verlangen. Das kann zum Beispiel das Handy sein. Wer seinen Pass nicht besorgt, dem drohen Sanktionen. Es können finanzielle Leistungen gestrichen und Essen und Körperpflegeprodukte nur noch als Sachleistungen ausgegeben werden. Geduldete brauchen auch eine Arbeitserlaubnis. Wer nicht mithilft, einen Pass zu besorgen, der bekommt sie meist nicht.
Mit Pass droht die Abschiebung
Das bringt die Betroffenen in ein Dilemma: ohne Pass keine Arbeitserlaubnis, Sachleistungen und damit kein normales Leben. Mit Pass droht jedoch die Abschiebung.
Auf Seite 43 berichten wir über einen jungen Ägypter aus Hamburg, der es geschafft hat, auf eigenen Beinen zu stehen. Eine eigene Wohnung und einen Arbeitsplatz hatte er gefunden – und wieder verloren. Dabei hatte er sich um einen Pass bemüht. Aber die ägyptischen Behörden arbeiten langsam und die Hamburger erteilen ihm solange keine Arbeitserlaubnis. Der Job ist weg. Pech gehabt.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will die Situation noch weiter verschärfen. In dieser Woche hat er einen Gesetzesentwurf mit dem vermeintlich harmlosen Titel „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ in die Ressortabstimmung gegeben. „Ausreisepflichtige, denen die fehlende Durchsetzung ihrer Ausreisepflicht zuzurechnen ist, etwa weil sie ihre Identität verschleiern, sind hinsichtlich ihres Status von denjenigen, die unverschuldet nicht ausreisen können, zu unterscheiden und stärker zu sanktionieren“, heißt es in dem Entwurf, der im Netz kursiert.
Sie sollen künftig keine Duldung mehr bekommen können, sondern nur eine Ausreiseaufforderung. Und Geflüchtete, die nicht daran mitwirken, an ihre Papiere zu kommen, sollen sogar in Haft genommen werden dürfen. Die Haft diene dazu, die Abschiebung zu ermöglichen und „Druck auf den Ausländer auszuüben, mit dem Ziel, seine Kooperationsbereitschaft zu erhöhen“, heißt es in dem Entwurf.
Zunächst müsste jedoch die SPD zustimmen. Und der Protest von Aktivist*innen wie denen vom Göttinger Bündnis gegen Abschiebungen ist der Großen Koalition in Berlin gewiss.
Mehr über die Probleme bei der Passbeschaffung und der Mitwirkungspflicht von Geflüchteten lesen Sie im aktuellen Wochenendschwerpunkt der taz.nord oder am E-Kiosk.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen