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„Ich dachte nur: MS, das heißt Rollstuhl“

■ Multiple Sklerose: Erst war der Schock da, dann machte sie eine Reise nach New York. Ein Gespräch mit Christa Prahl

eit über zehn Jahren lebt Christa Prahl mit Mulitpler Sklerose. Inzwischen sitzt die 47jährige im Rollstuhl. Doch je länger die Bremerin mit der Krankheit lebt, desto stärker emanzipiert sie sich. Mit der taz sprach sie über MS, Eheprobleme und eine New York-Reise.

taz: Viele sagen, mit einer so schweren Krankheit wie MS ist das Leben eigentlich zuende. Aber Sie reisen nach New York...

Christa Prahl: Seit ich hier allein in meiner neuen Wohnung lebe, bin ich sehr stolz auf mich. Da habe ich spaßeshalber gefragt: Was kostet so eine Reise nach New York, und geht das überhaupt als Behinderte? Danach haben Freunde Geld zusammengeschmissen, damit ich meinen Wunschtraum erfülle. Im September letzten Jahres bin ich geflogen.

Warum gerade New York?

Als Grafikdesign-Studentin habe ich an der Hochschule zusammen mit Anderen ein dreieckiges Buch über Picasso gestaltet. Mein Kapitel befaßte sich mit dem Kubismus und dem Bild „Les Desmoiselles d' Avignon“. Hier sind meine Entwürfe...

(Versucht eine Mappe zu öffnen)

Wenn ihre Hand so stark zittert, sind das Symptome?

Ja, ja. (Pause) Ich habe mir immer so gewünscht, daß ich das Bild sehen kann. Denn „Les Demoiselles d'Avignon“ist das erste Bild, in dem Picassos kubistischer Stil überhaupt zum Tragen gekommen ist: Würfel, Säule, Dreieck. Es hängt im New Yorker Museum of Modern Art. Aber ich habe nicht geglaubt, daß ich das schaffen kann als Behinderte.

Wie war es dann, das Bild zu sehen?

Oh, ich habe so geheult. Ich bin ja schon öfters im Rollstuhl in Museen gewesen, auch hier in der Kunsthalle. Aber von meiner Rollstuhlposition kann man die Bilder nicht richtig sehen. Augenhöhe heißt ja, daß Sie stehen. Aber dieses Bild von Picasso war wirklich überwältigend.

Machen Sie sich eigentlich auch selber ein Bild von ihrer Krankheit?

Ich habe mir vorgestellt, daß mein Körper gemauert ist. Von oben bis unten, in kubistischen Formen. So wie man eben ein Haus baut, mit Steinen und so. Und dort, wo die Nervenumhüllungen gerissen und gebröckelt sind, da müssen wieder Steine rein.

Das klingt ja wie versteinert...

Stimmt vermutlich. Ich war fürchterlich erschrocken über die MS-Diagnose. Heute nenne ich das „Diagnose-Schock“. Nach meinem Studium als Grafikdesignerin bewarb ich mich 1984 bei einer Bremer Firma. Wir sind uns einig geworden und ich bekam den Job. Als ich dann zu Hause war, rief der Zuständige an und sagte: „Das hätten Sie mir aber sagen müssen, daß Sie behindert sind.“Da bin ich aus allen Wolken gefallen. Ich sagte: „Ich bin nicht behindert.“Doch, das könne man ja sehen, ich zöge mein linkes Bein nach. „Oh“, sagte ich, „das habe ich noch gar nicht bemerkt.“Daraufhin bin ich zum Arzt. Das war's dann.

Und Beschwerden hatten Sie keine?

Ich dachte, ich hätte Gelenkrheuma, weil ich nicht lange stehen konnte und Schmerzen in Knie und Hüfte hatte. Also bin ich nie schnell gelaufen; sonst fand ich mich aber gesund. Heute weiß ich, als ich während meines Studiums eine Augenmuskellähmung hatte, war das mein erster Schub. Mein Hausarzt hatte mich daraufhin ins Krankenhaus geschickt, aber dort wurde MS zu 100 Prozent ausgeschlossen. Also habe ich fröhlich weiterstudiert.

Was geschah, nachdem die MS Diagnose feststand?

Da bin ich sofort in Rente gegangen. Das konnte ich, weil ich vor dem Studium 17 Jahre Plakatdruckerin war. Ich hatte irgendwie resigniert, habe nur geweint. Es war eine furchtbare Zeit. Ich dachte nur: MS gleich Rollstuhl. Ich wußte auch nichts über die Krankheit. Aber Selbsthilfe-Gruppen habe ich abgeblockt. Mein Mann konnte mir auch nicht helfen. Der war selbst schockiert und hat nur gesagt: „Wir holen jetzt den Rollstuhl“. Dabei konnte ich mich noch gut bewegen. Trotzdem hatten wir nach der Diagnose kein Sexualleben mehr. Wir waren einfach sehr geschockt. Vor zwei Jahren habe ich meinen Mann nach 27 Ehejahren verlassen. Es ist nicht einfach als Behinderte, den Mann zu verlassen.

Sind Sie jetzt glücklicher?

Ich habe gelernt. Anfangs habe ich alle Welt für meine Krankheit verantwortlich gemacht. Aber jetzt weiß ich, ich kann am besten damit umgehen, wenn ich zufrieden mit mir bin. Seit ich hier alleine wohne, geht es mir auch körperlich besser. Dafür tue ich viel: Morgens stehe ich fünf Minuten aufrecht am Bett, damit ich keinen Hüftschaden kriege. Dann gibt's Krankengymnastik, Ergotherapie, Logopädie, Massage. Fünf Tage hat die Woche – so viele Therapien habe ich auch.

Und Medikamente?

Da weigere ich mich, Versuchskaninchen zu spielen. Ich lese immer mal einen Artikel in der Zeitung, wo steht, sie hätten etwas gefunden. Aber es wirkt dann doch nicht. Nein, Medikamente nehme ich nicht.

Jetzt waren Sie in New York. Haben Sie noch einen Traum?

Laufen.

Fragen: Susanne Leinemann

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