IS in Syrien: Schwere Kämpfe in Kobane
Laut Aktivisten haben IS-Kämpfer mehrere Stadtteile in der syrischen Grenzstadt erobert. Erstmals setzten die USA gegen den IS im Irak Kampfhubschrauber ein.
SURUC/DEN HAAG/BERLIN afp/dpa/ap | Die Kämpfe zwischen Extremisten der Gruppe Islamischer Staat (IS) und kurdischen Milizionären in der nordsyrischen Stadt Kobane haben sich nach Angaben von Aktivisten auf Viertel im Süden und Westen ausgeweitet. Zudem habe es neue Luftangriffe der US-geführten Koalition auf IS-Stellungen im Osten der Stadt gegeben, teilten die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte und ein Aktivist vor Ort am Dienstag mit.
Die IS-Dschihadisten hatten zuvor drei Viertel im Osten der syrischen Stadt an der Grenze zur Türkei erobert. Korrespondenten der Nachrichtenagentur AFP auf der türkischen Seite der Grenze berichteten von anhaltenden heftigen Schusswechseln in Kobane. Nach Behördenangaben aus der türkischen Stadt Suruc nahe Kobane passierten über Nacht etwa 700 Flüchtlinge die Grenze, darunter auch Kämpfer der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG). Von den Flüchtlingen seien 47 verletzt gewesen, auch sieben Leichen seien über die Grenze gebracht worden.
Die IS-Kämpfer hätten eine Industriezone sowie die Viertel Maktala al-Dschadida und Kani Arabane in ihre Gewalt gebracht, erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Montagabend. Erstmals setzten die USA bei ihren Angriffen gegen den IS im Irak Kampfhubschrauber ein.
Der Chef der Beobachtungsstelle, Rami Abdel Rahman, sprach von „guerillaartigen“ Kampfszenen in Kobane. Hunderte Zivilisten seien aus Angst vor den Dschihadisten, die für ihre brutale Gewalt bekannt sind, aus dem Osten der Stadt in die Türkei geflohen.
Trotz heftiger Gegenwehr der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) und Luftangriffen der internationalen Militärallianz rücken die Dschihadisten seit Tagen unaufhaltsam vor. Am Montag hissten sie zwei schwarze Fahnen am Ostrand der Stadt, wie ein AFP-Fotograf von der türkischen Seite der Grenze beobachtete. Sollte es ihnen gelingen, die auf Arabisch Ain al-Arab genannte Stadt einzunehmen, würden sie ein langes Stück der türkisch-syrischen Grenze kontrollieren.
„Peschmerga brauchen Waffen und Munition“
Der örtliche Kurdenvertreter Idris Nahsen bestätigte am Telefon, dass es im Ostteil der Stadt heftige Gefechte gebe. Zugleich kritisierte er, die US-geführten Luftangriffe reichten nicht aus. Die Peschmerga bräuchten Waffen und Munition.
Der kurdische Journalist Mustafa Bali sagte der Nachrichtenagentur AFP, angesichts der Straßenkämpfe hätten die kurdischen Milizen die verbleibenden Zivilisten aufgefordert, die Stadt zu verlassen.
Bereits mehr als 186.000 Menschen flohen vor den Kämpfen in die Türkei. Ankara hat zwar Truppen an der Grenze zusammengezogen, doch bisher nicht in die Kämpfe eingegriffen.
In Syrien bombardierte die US-geführte Koalition am Sonntag und Montag IS-Stellungen nahe Raka, Deir Essor und Kobane, wie das US-Nahostkommando (Centcom) mitteilte. Im Irak seien drei Angriffe gegen die Dschihadisten nahe Falludscha und Ramadi geflogen worden, an denen Belgien und Großbritannien beteiligt gewesen seien.
US-Luftwaffe setzt erstmals Kampfhubschrauber im Irak ein
Derweil setzte die US-Luftwaffe nach eigenen Angaben erstmals Kampfhubschrauber gegen den IS im Irak ein. Die Helikopter hätten sich auf Anfrage der irakischen Regierung am Sonntag und Montag an mehreren Angriffen beteiligt, teilte das Centcom mit. Da die Hubschrauber tiefer und langsamer fliegen als Kampfjets und Bomber, sind sie bei feindlichen Angriffen stärker gefährdet. Wo genau die Helikopter zum Einsatz kamen, wurde nicht mitgeteilt.
Bei einem IS-Angriff im Osten Iraks wurden laut Sicherheitskräften mindestens fünf Kurdenkämpfer getötet. Der IS habe von Dschalaula aus Verteidigungsstellungen der Peschmerga etwa fünf Kilometer außerhalb der Stadt attackiert, sagte ein ranghoher kurdischer Offizier am Montagabend. Der IS hatte die strategisch wichtige Stadt Dschalaula nordöstlich von Bagdad am 11. August eingenommen.
Das Pentagon gab neue Zahlen zu den bisherigen Luftangriffen gegen den IS bekannt. Demnach führten arabische und andere verbündete Staaten der USA rund zehn Prozent der Angriffe aus, nämlich knapp 195 von insgesamt fast 2.000 Einsätzen. Die beteiligten arabischen Staaten – Bahrain, Jordanien, Katar, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate – geben nur ungern Auskunft über ihr Engagement. Dieses hat jedoch für Washington und den Westen hohen symbolischen Wert.
Von den westlichen Ländern haben bislang Frankreich, Belgien, Großbritannien, Dänemark, die Niederlande und Australien Fluggerät für den Einsatz gegen den IS bereit gestellt. Die bislang abgefeuerte Munition hatte laut Centcom einen Wert von rund 62,4 Millionen Dollar (knapp 50 Millionen Euro). Die Luftangriffe im Irak begannen am 8. August, am 23. September wurden sie auf IS-Stellungen in Syrien ausgeweitet.
Kurden in Europa protestieren gegen IS-Terror in Kobane
Kurdische Demonstranten haben am Montagabend in mehreren Städten Europas mit Protestaktionen und Besetzungen auf die verzweifelte Lage in der umkämpften syrischen Grenzstadt Kobane aufmerksam gemacht. Die islamistische Terrormiliz IS versucht derzeit, Kobane gegen den erbitterten Widerstand kurdischer Kämpfer unter ihre Kontrolle zu bringen.
Im niederländischen Den Haag drang am Montagabend eine große Gruppe kurdischer Demonstranten in das Parlament ein. Nach einem Gespräch mit der Vorsitzenden der Zweiten Parlamentskammer, Anouchka van Miltenburg, verließen die Protestierer am frühen Morgen das Gebäude wieder, berichteten niederländische Medien am Dienstag.
Am Flughafen der belgischen Hauptstadt Brüssel gab es ebenfalls eine Solidaritätsaktion von Kurden. Dort forderten Kurden ein entschlossenes Vorgehen der internationalen Gemeinschaft gegen den IS und humanitäre und militärische Hilfe für die Einwohner von Kobane.
Auch in mehreren deutschen Städten gab es Proteste mit einigen tausend Teilnehmern. In Düsseldorf und Bonn drangen die Demonstranten kurzzeitig in Gebäude des Westdeutschen Rundfunks und des Auslandssenders Deutsche Welle ein. In Berlin versammelten sich nach Polizeiangaben etwa 600 Kurden. Für den Vormittag (10.00 Uhr) war eine weitere Demonstration in der Hauptstadt angemeldet. Auch aus Hamburg, Dortmund, Münster und Essen wurden spontane Demonstrationen gemeldet.
Eine Massenschlägerei mit rund 100 Beteiligten gab es in Celle. Hier trafen in der Nacht auf Dienstag nach ersten Erkenntnissen Gruppen von Muslimen und Jesiden aufeinander. Nach einigen verbalen Auseinandersetzungen eskalierte der Streit und beide Parteien gingen aufeinander los. Anwohner alarmierten die Polizei, die zusätzliche Einsatzkräfte aus der Region heranziehen musste. Insgesamt 70 Beamten gelang es schließlich, die Massenschlägerei aufzulösen. Fünf Menschen wurden verletzt, einer davon schwer. Gegen die Beteiligten laufen nun Strafverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung und schweren Landfriedensbruchs.
Anti-IS-Mission kostete bislang 1,1 Milliarden Dollar
Die US-Militäroperationen gegen die Terrormiliz Islamischer Staat schlugen bisher mit 1,1 Milliarden Dollar (rund 876 Millionen Euro) zu Buche. Das teilte das Pentagon am Montag mit. Demnach wurden allein 62 Millionen Dollar für Attacken der Marine ausgegeben.
Laut dem US-Zentralkommando feuerten amerikanische Kriegsschiffe im Persischen Golf und Roten Meer 47 Tomahawk-Marschflugkörper auf acht Ziele der Al-Kaida-Zelle Chorasan im Westen der syrischen Stadt Aleppo ab. Die Gruppe soll Anschläge im Westen geplant haben. Insgesamt setzte die Navy den Angaben zufolge fast 185 Kriegsgeräte ein.
Die US-Luftwaffe übertraf diese Zahl bei weitem. Rund 1000 Waffen hätten Kampfjets abgefeuert. Über die Kosten der Operationen der Air Force wurden keine Angaben gemacht.
Zu Beginn der Mission Mitte Juni waren die Ausgaben überschaubar, stiegen jedoch stark an, als die USA am 8. August ihre Luftoffensive gegen die Terrormiliz Islamischer Staat im Nordirak starteten. Ende August beliefen sich die Kosten täglich auf 7,5 Millionen Dollar. Im September wurden die Luftangriffe auf Syrien ausgeweitet.
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