IS-Gruppe in Ägypten: Gefährliche Partner
Weltweit bekennen sich immer mehr Gruppen zum Islamischen Staat. Nun hat die Terrormiliz auch einen Ableger im Nordsinai.
KAIRO taz | Die Nachricht hätte im Netz ebenso verpuffen können. In einer Audio-Nachricht verkündete die Gruppe Ansar Beit al-Makdis (ABM), die sogenannten Helfer Jerusalems, dass sie sich nun offiziell dem „Islamischen Staat“ (IS) anschließt. Das war am 12. November. Vielleicht wäre es auch nicht weiter relevant, wenn sich irgendeine unbedeutende Gruppe zum IS bekennt.
Aber die ABM ist nicht irgendeine Organisation, sondern die größte und aktivste Terrorgruppierung, die im Nordsinai seit 2011 operiert. Sie ist für den Tod Hunderter Soldaten verantwortlich. Nun verkündet ebendiese Gruppe, dass sie dem IS-Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi huldigt und verspricht ihm Gefolgschaft. Zeitgleich ruft sie das ägyptische Volk auf, gegen die Militärherrschaft vorzugehen.
„Worauf wartet ihr, nachdem eure Würde immer wieder verletzt wird“, wird in der Erklärung gefragt, „nachdem das Blut eurer Söhne von einem rücksichtslosen Tyrannen und seinen Soldaten vergossen wird? Wann werdet ihr eure Schwerter herausholen und euch eurem Feind entgegenstellen.“
Seit diesem Monat hat die Terrormiliz IS also einen Ableger im bevölkerungsreichsten arabischen Land, in Ägypten. Von diesem Anschluss profitieren beide militanten Seiten, erklärt der ägyptische Salafisten- und Dschihadisten-Experte Ahmed Zaghloul. „Das verschafft der ABM in Ägypten einen starken Partner, der ihnen logistisch, finanziell und planerisch unter die Arme greift. Der Schritt erhöht auch deren internationales Dschihad-Image“, sagt er.
Abu Bakr al-Baghdadi, Anführer der Miliz Islamischer Staat (ISIS) im Irak und in Syrien, hat seine Organisation am 29. Juni in Islamischer Staat (IS) umbenannt. Gleichzeitig rief er ein weltweites Kalifat aller Muslime aus. Neben der im Nordisinai operierenden Gruppe Ansar Beit al-Makdis haben seither weitere Milizen Baghdadi die Treue geschworen.
Eine von ihnen ist Ansar al-Scharia in der Stadt Derna in Libyen. Am 6. Oktober rief sie ein Kalifat aus und unterstellte sich Bahgdadi. Für die Dschihadisten ist Derna nun Hauptstadt der Barka-Provinz (Cyrenaika) im Osten des Landes.
In Algerien spaltete sich Mitte September eine Gruppe von al-Qaida im islamischen Maghreb ab. Sie nennt sich Kalifat der Soldaten in Algerien und schwor al-Baghdadi die Treue. Einem Video zufolge ist die Gruppe für den Mord an der französischen Geisel Hervé Gourdel verantwortlich.
In Asien hat IS Einfluss in Afghanisten und Pakistan. Auf den Philippinen legten gleich zwei Gruppen den Treueschwur ab: Abu Sayyaf und eine Abspaltung der Moro Islamischen Befreiungsfront. (taz)
Eine Konkurrenz zu al-Qaida
Aber auch der IS profitiere davon, dass er nun einen Fuß in Ägypten hat, vor allem in seiner Konkurrenz zu al-Qaida. Und selbst das Regime habe etwas davon, wenn es nun seine innenpolitischen Probleme als Teil des weltweiten Antiterrorkampfes vermarkten kann.
Unklar ist, ob sich mit diesem Zusammenschluss die Taktik der ABM ändert. Bisher richteten sich die Anschläge hauptsächlich gegen Militär und Polizei. Bis auf wenige Ausnahmen im Nildelta und in Kairo fanden diese im Nordsinai statt. Ein mysteriöser Angriff auf ein Schiff der ägyptischen Marine vor der Küste des Nildeltas diesen Monat könnte ein erster Hinweis sein, dass die Militanten zu immer waghalsigeren Operationen greifen, wenngleich die Berichte über den Angriff voller Widersprüche sind und die Armee selbst nur wenige Informationen gibt. Acht Seeleute gelten seit dem Angriff als vermisst.
Möglich ist auch, dass die ABM nun ihre Anschläge auf Kairo ausweitet. Tatsächlich wird auch über Widersprüche innerhalb der Gruppe spekuliert. Der militante Zweig jenseits des Suezkanals, also im Nildelta und in Kairo, hatte sich öffentlich dagegen gesperrt, sich dem IS anzuschließen und auch dementsprechende Erklärungen abgegeben. Ob diese Widersprüche eine Verwirrtaktik waren oder ob diese weiterhin bestehen, ist nicht bekannt.
Dass die ABM die Muslimbrüder immer wieder verbal angreift, hält die Regierung in Kairo nicht davon ab, die ABM und die Muslimbruderschaft in einen Topf zu werfen und beide als Terrororganisationen zu behandeln. Die gleichgeschalteten ägyptischen Medien sprechen immer wieder davon, dass hinter den Anschlägen im Sinai letztendlich die Muslimbruderschaft stecke.
Anschläge auf die Armee
Derweil greift die ABM immer wieder die Muslimbruderschaft an, die nach dem Sturz Mubaraks zu den Wahlen angetreten war und deren Kandidat Mohammed Mursi zum Präsidenten gewählt worden war, bevor er letzten Sommer durch das Militär von seinem Amt entfernt worden war. In derselben Erklärung, in der die ABM dem Kalifen des Islamischen Staates huldigt, heißt es auch in Richtung Muslimbruderschaft, dass „weder beschämender Frieden noch blasphemische Demokratie zum Ziel führen“. Schließlich könne jeder sehen, was mit denen geschieht, die diesen Weg versuchen.
Die ABM war von Anfang an eine Konkurrenz zu den Muslimbrüdern, schildert Zaghloul. Zunächst habe die sich in ihrem Anfangsstadium darauf konzentriert, Erdgasleitungen in Richtung Israel und Jordanien zu sprengen. Als der Muslimbruder Mohammed Mursi in Kairo sein Präsidentenamt antrat, wurde er von den Militanten sofort zum Ungläubigen deklariert. Nachdem das Militär die Macht übernahm und später Militärchef Abdel Fatah al-Sisi Präsident wurde, sahen die Dschihadisten darin einen „Krieg gegen den Islam“ und konzentrierten sich zunehmend auf Anschläge auf die Armee. So fasst Zaghloul die Geschichte der ABM zusammen.
Erst diese Woche veröffentlichte sie ein Video von einem Angriff auf eine Straßensperre des Militärs im Nordsinai, bei dem Ende Oktober 33 Soldaten ums Leben kamen. Gezeigt werden eine Explosion an der Straßensperre, dann brutale Szenen, wie ABM-Dschihadisten die verletzten Überlebenden einer nach dem anderen niedermetzeln. Es ist ein Krieg, in dem keine Gefangenen gemacht werden.
Dem setzt die Armee ihre eigenen Videos vom Kampf gegen den Terror entgegen. Panzer kommen zum Einsatz. Häuser werden sie von Helikoptern aus mit Raketen beschossen oder durchsucht. Das Ganze ist unterlegt mit dramatischer Musik. Dann gibt es noch eine Vielzahl von Videos, die in den sozialen Netzwerken kursieren. Eines zeigt, wie Soldaten sinnlos auf zwei Beduinen einprügeln, die bereits halbtot auf dem Boden liegen.
Auf der //www.facebook.com/Egyptian.Armed.Forces.I:Facebookseite des Militärs heißt es dazu, die beiden dort zu sehenden Männer seien bei einer Operation getötet worden. Später hieß es dann vonseiten der Armee, man wolle die Echtheit des Videos untersuchen. Seitdem war nichts mehr darüber zu hören. Es ist schwer, sich ein unabhängiges Bild zu machen: Journalisten ist es untersagt, in den Nordsinai zu reisen und von dort zu berichten. Selbst das Telefonnetz im Nordsinai ist über weite Teile des Tages abgeschaltet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland