IN OSTAFGHANISTAN ERKLÄREN DIE USA ALLE ZU KÄMPFERN: Zum Abschuss freigegeben
Es sind schon abenteuerliche Vorstellungen, die hinter so manchem Bericht und Kommentar über den Krieg in Afghanistan stecken. Da ist stets von „Kämpfern“, von „Festungen“ und von „Kampfzonen“ die Rede – als handele es sich um Armeen nach europäischem Vorbild und um ein Kriegsgebiet in einer unbesiedelten Region. Bei den in den Bergen Ostafghanistans Gejagten, so das verbreitete Bild, handelt es sich ausschließlich um potenzielle Attentäter und Terroristen, deren gezielte Tötung deshalb notwendig und gerechtfertigt ist.
Bewohnte Dörfer in dem Kriegsgebiet passen ebenso wenig in dieses plumpe Bild wie Berichte, dass einige der gejagten mutmaßlichen Mitglieder von al-Qaida und Taliban sich mit ihren Familien in der bombardierten Region aufhalten. Für den jetzt eingetretenen Fall, dass trotz der rigiden Abschottung doch einmal etwas an die Öffentlichkeit gelangt, hat US-Verteidigungsminister Rumsfeld vorgesorgt. Er erklärte schlicht jeden Menschen, der sich in der von ihm definierten Kampfzone aufhält, zu Mittäter oder Mittäterin: zum Abschuss freigegeben – Alter und Bewaffnung spielen keine Rolle.
Israel wird zu Recht verurteilt, wenn es gezielte Tötungskommandos ausschickt und Häuser mutmaßlicher Hamas-Führer auch dann bombardiert, wenn dort ganze Familien wohnen. Auch die aktuellen Massenfestnahmen der Regierung Ariel Scharon werden zu Recht kritisiert. Es geht nicht darum, dieses Unrecht zu relativieren. Es geht auch nicht um eine Gleichsetzung der Auseinandersetzungen im Nahen Osten und in Afghanistan. Und es geht schon gar nicht um ein Schönreden der al-Qaida und Taliban. Aber ein wenig sollte man sich schon über die hier und dort angelegten Kriterien Gedanken machen. Denn wer in Afghanistan so undifferenziert vorgeht, der muss der israelischen Regierung eines leider zugestehen: Es ist wohl wahrscheinlicher, dass unter den vielen von ihr Festgenommenen oder Erschossenen ein künftiger Attentäter ist als unter den von den US-Streitkräften mit Hilfe der deutschen KSK in Afghanistan Gejagten und Bombardierten. ERIC CHAUVISTRÉ
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